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Christian Kreiß war Investmentbanker und ist heute Professor für Finanzierung an der Fachhochschule Aalen. Von ihm erschien unter anderem das Buch „Gekaufte Forschung – Wissenschaft im Dienst der Konzerne“. Kreiß referierte vor Kurzem auf Einladung der Umweltgruppe Vinschgau im Kulturhaus Schlanders über den Einfluss der Industrie auf Forschungsergebnisse. BARFUSS hat ihn bei dieser Gelegenheit zum Gespräch getroffen.
Herr Kreiß, Sie waren einst Investmentbanker und sind jetzt Hochschulprofessor. Ein beträchtlicher Wandel, was das Arbeitsumfeld und das Einkommen angeht, nehme ich an.
Investmentbanking war spannend und gut bezahlt. Interessanter waren die Deals mit sehr faszinierenden Menschen, das war sehr intensiv und herausfordernd.
Investmentbanker haben keinen guten Ruf. Waren Sie ein „Böser“?
Ich habe mich nie so gefühlt. Sie haben zum Beispiel ein Unternehmen, das ungeheuer kreativ ist, aber einen riesigen Geldmangel hat. Dann bringen Sie das Unternehmen als Investmentbanker an die Börse und es blüht auf. Die Belegschaft verdoppelt sich, die Forschung, der Absatz gehen stark nach oben. Der Chef von Goldman Sachs USA, Lloyd Blankfein, sagte mal, „I’m doing Gods work“. Da entsteht ein Google, ein Amazon, und das hab’ ich gemacht. Es gibt allerdings auch die Private Equity-Branche, das habe ich auch gemacht, da hat man kein so gutes Gewissen.
Warum der Wechsel?
Irgendwann stellt man sich die Frage: „Geld oder Leben?“. Unter Familiengesichtspunkten war es eine einfache Entscheidung. Nominal hat sich das Einkommen halbiert, real war es nicht so schlimm, weil man als Beamter ja viele Vorteile genießt. Man hat viel mehr Zeit für Familie und Kinder, aber auch für selbstbestimmtes Arbeiten. Als Beamter auf Lebenszeit können Sie forschen, worüber Sie wollen, wie und wann Sie wollen. Die beste Berufsentscheidung meines Lebens.
„Aber wir sind nicht auf Augenhöhe, wir müssen auf die Knie gehen, um Gelder für die Forschung zu bekommen. Die Geldseite schafft an.“
Das widerspricht jetzt aber Ihrer These! Sie sagen, die Forschung sei nicht frei.
Sie wird immer weniger frei. Heute kann nur mehr die Hälfte der Forscher an Hochschulen frei arbeiten, vor einer Generation waren es fast alle. Die Drittmittel waren damals minimal, das Geld kam direkt von der Hochschule. Heute ist jeder zweite Euro in Deutschland Drittmittel. (Drittmittel sind Gelder, die Universitäten durch staatliche Forschungsprogramme, von Stiftungen oder aus der Wirtschaft zufließen, außerhalb der eigentlichen Hochschulfinanzierung, Anm. d. Red.)
Das heißt, das Geld kommt als Forschungsvorgabe über Landesprogramme, Bundesprogramme, EU-Programme oder direkt von privaten Geldgebern. Diese Programme sind stark industriedominiert, in den zuständigen Gremien sitzen hauptsächlich Lobbyisten, die sagen, worüber geforscht werden soll.
Diese Entwicklung kommt nicht von allein. Natürlich hat die Industrie ein Interesse daran, aber es muss auch jemanden geben, der das zulässt.
Die Studentenzahlen steigen seit 20, 30 Jahren sehr stark, der Forschungsaufwand nimmt zu, die Finanzierung der Hochschulen verbessert sich aber nicht annähernd so stark. Deshalb betteln die Universitäten regelrecht um Gelder aus der Wirtschaft. Kooperation mit der Industrie ist ja wunderbar, wenn sie auf Augenhöhe ist. Aber wir sind nicht auf Augenhöhe, wir müssen auf die Knie gehen, um Gelder für die Forschung zu bekommen. Die Geldseite schafft an.
Welche Forschungsfelder sind besonders betroffen?
Es gibt riesige Unterschiede. Jede Branche ist anders. Besonders schlimm ist es in der Pharmabranche. An staatlichen Krankenhäusern und Universitätskliniken wird zu 90 Prozent jene Pharmaforschung gemacht, die von den Pharmakonzernen vorgegeben wird. Die Ergebnisse sind entsprechend.
„Ein Medikament kann zum Beispiel wirksam sein, wenn man es drei Monate einnimmt, aber schädlich, wenn man es über ein Jahr einnimmt. Entsprechend passt man das Design der Studie an oder produziert so lange Studien, bis die Ergebnisse passen.“
Wie meinen Sie das?
Man kann Ergebnisse gestalten. „Massaging the numbers“, sagt der Amerikaner. Man wählt die Grundgesamtheit, die Dosierung oder die Laufzeit so aus, dass die Ergebnisse danach passen. Ein Medikament kann zum Beispiel wirksam sein, wenn man es drei Monate einnimmt, aber schädlich, wenn man es über ein Jahr einnimmt. Entsprechend passt man das Design der Studie an oder produziert so lange Studien, bis die Ergebnisse passen.
Wo wird am meisten getrickst?
Pharmakonzerne sind übel, Gentechnik noch übler. Da gibt es fast ausschließlich Forschung der Genindustrie, die zeigen will, es sei alles harmlos. Fast alle Forschungsergebnisse kommen aus internen Forschungslabors, die Daten werden nicht freigegeben, niemand kann das kontrollieren.
Wie kann man dem entgegenwirken?
Das ist nicht einfach. Wenn ich im Bereich Gentechnik forschen will, bekomme ich von den Firmen gar nicht das entsprechende Material. Man müsste Labors an öffentlichen Universitäten einrichten, aber dafür hat der Staat kein Geld. Sagt er. Gleichzeitig unterstützt der Staat die Forschung der Konzerne. Das Geld wäre da, aber es müsste direkt an die Unis gehen und nicht über Gremien verteilt werden, in denen wieder die Lobbyisten sitzen.
„Wenn eine Studie ergibt, dass ein Produkt schlecht ist, verschwindet sie in der Schublade.“
In Südtirol werden gerade zwei Debatten sehr intensiv geführt, in denen es auch um Qualität und Neutralität der Forschung geht. Man streitet über Pestizide und Impfungen. Die Politik sagt, es sei alles in Ordnung. Kleine Gruppen leisten Widerstand und sagen, wir werden belogen, es ist gar nichts gut. Was können Sie uns dazu sagen?
Bei Industriestudien kommt regelmäßig heraus, dass zum Beispiel Glyphosat nicht krebserregend und nicht genverändernd ist. Aber fast alle unabhängigen Studien sagen das Gegenteil. Wem soll ich glauben? Dem, der das Mittel verkauft, Milliardengewinne damit macht – Monsanto allein etwa 12 Millionen Dollar Umsatz pro Tag? Oder glaube ich dem Kinderarzt, der die Allergien sieht? Man glaubt dem, der mit Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit forscht, während die Forschung der Industrie immer profitgetrieben ist. Immer.
Immer?
Industriestudien sind immer gewinngetrieben und daher praktisch immer einseitig. Dieselgate, Tabakforschung und so weiter. Wenn sich die Frage stellt, „Gewinn oder Wahrheit?“, verliert fast immer die Wahrheit. Wenn eine Studie ergibt, dass ein Produkt schlecht ist, verschwindet sie in der Schublade.
Wieso gibt es keinen Aufstand der Ärzte? Einzelne treten öffentlich auf, aber von der breiten Masse hört man nichts.
Die meisten Ärzte sind gute, hilfsbereite Menschen, die sehr viel Arbeit haben und jede Woche 80 Stunden lang wissenschaftliche Aufsätze lesen müssten, um auf dem Laufenden zu sein. Das ist unmöglich. Also verlässt man sich auf Gremien. In Deutschland ist das zum Beispiel die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut (STIKO). Sie gibt Impfempfehlungen für ganz Deutschland. Von den 17 Mitgliedern der STIKO sind 13 mit der Impfindustrie verbandelt. Das ist ein Skandal erster Güte, die STIKO müsste sofort wegen Befangenheit aufgelöst werden. Das ist, wie wenn Dr. Haribo erklärt, dass Gummibärchen gesund für kleine Kinder sind.
Die ganze Impfforschung ist fest in Händen der Impfkonzerne, es gibt fast keine freie Forschung. Daher gibt es kaum Forschung zu Impfschäden, zu Prophylaxe, zur Stärkung des Immunsystems durch Krankheiten. Und jetzt lesen rechtschaffene Kinderärzte, die das Beste für ihre Patienten wollen, dass alle Profis sagen, Impfen ist super. Wenn immer die selbe Platte läuft, glaubt man es irgendwann.
Sie sagen aber nicht, impfen sei grundsätzlich schlecht. Wie finden wir einen Mittelweg zwischen Totalverweigerung und der vollen Dosis Vakzine?
Meine Frau und ich haben unsere drei jüngeren Kinder gegen Tetanus geimpft und später gegen Masern, Mumps und Röteln, weil die gefährlich sein können, wenn sie im falschen Alter kommen. Es gibt wundervolle Impfungen gegen Kinderlähmung oder Tetanus. Aber mit diesem Vorwand impft man zu früh, zu viel und teilweise haarsträubende Wirkstoffe. Es gibt viele sehr umstrittene Impfstoffe.
„Die Zulassungen basieren fast nur auf industrieinternen Studien, die man nach Strich und Faden frisieren kann.“
Diese ganzen falschen oder gefälschten Studien werden von Wissenschaftlern gemacht, die der Wahrheit verpflichtet wären. Sind diese Wissenschaftler alle korrupt, unethisch, kriminell?
Nein, nicht korrupt, nicht unethisch, nicht kriminell. Nehmen wir an, Sie sind ein junger Forscher. Nach dem Studium sagt die Impfindustrie, komm zu mir, ich habe die neuesten Wirkstoffe, super ausgerüstete Labore, forsch’ doch bei mir. Mit 24 Jahren sagen Sie sich, klar, mach’ ich. Dann bekommen Sie das entsprechende Forschungssetting und legen los. Das geht ganz subtil, man kommt in ein goldenes Hamsterrad, publiziert seine Ergebnisse und so weiter. Ich unterstelle keine kriminelle Energie. Es gibt Kriminelle, aber das sind Ausnahmen. Die meisten sind anständige Leute, die in eine bestimmte Richtung gedrängt werden. Eine wichtige Frage ist: Worüber wird eigentlich nicht geforscht?
Was können Sie mir zum Thema Glyphosat erzählen?
Viele anständige Landwirte und Politiker fragen, was hast du denn mit dem Glyphosat, das ist ja gründlich getestet und zugelassen. Was regt man sich darüber auf? Aber wie ist Glyphosat zugelassen worden? Die Zulassungen basieren fast nur auf industrieinternen Studien, die man nach Strich und Faden frisieren kann. Über Laufzeit, Setting, Dosierung und so weiter. Diese Studien wurden zum großen Teil nie der freien, unabhängigen Wissenschaft übergeben. Betriebsgeheimnis, sagt Monsanto. In der Zulassungskommission sitzen weitere Lobbyisten. Die Zulassung ist nicht sauber, selbst Monsanto-interne Wissenschaftler geben zu, dass sie keinen Nachweis haben, dass Glyphosat nicht karzinogen ist. Weil sie das nie untersucht haben. Das ist ungeheuerlich.
Das klingt ein wenig verschwörungstheoretisch. Das deutsche Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sagt zum Beispiel, Glyphosat sei „eher nicht in bedenklichem Maße krebserregend“. Warum sollten die Monsanto glauben und nicht ihre eigenen Schlüsse ziehen?
Der Chef der Abteilung „Sicherheit von Pestiziden“, Roland Solecki, hat wissenschaftliche Papiere zusammen mit Forschern der Chemieindustrie veröffentlicht, in der für Pestizide zuständigen Abteilung vom BfR sitzen Mitarbeiter von Bayer und BASF. Die Behörde ist nicht ausgewogen besetzt. Es gibt den massiven Plagiatsvorwurf, dass passagenweise aus unternehmensinternen Gutachten kopiert wurde und man stützt sich ganz überwiegend auf firmeninterne Gutachten. Außerdem wurde in den der Zulassung zugrundeliegenden Studien normalerweise lediglich der reine Wirkstoff Glyphosat untersucht, aber im Spritzmittel ist noch viel mehr drin, Trägerstoffe, Verdünnungsmittel und so weiter, die sich gegenseitig beeinflussen und normalerweise viel toxischer sind.
Wie erkenne ich eine saubere Studie? Was kann ich als Nicht-Wissenschaftler tun? Denn plötzlich alles glauben, was aus dem alternativen Eck kommt, ist wohl auch nicht empfehlenswert.
Das ist unglaublich schwer. Man müsste die Studienautoren kennen und wissen, wo die stehen. Aber die großen Blätter kriegen riesige Anzeigenaufträge von Bayer, Monsanto, Syngenta und werden mit Studien und Berichten aus den Konzernen so geflutet, dass die wenigen unabhängigen Studien total untergehen.
Kann man den Betrug denn nicht nachweisen?
Das ist sehr schwierig. Nur die krasse Lüge fliegt auf, wie bei VW. Dass schon bisher die Verbrauchswerte für Treibstoff bei allen Autos nicht stimmen, wusste jeder, passiert ist aber nichts. Da wird nicht gelogen, sondern nur unsauber gearbeitet. Sie nehmen 100 Proben und suchen jene 13 aus, die ins Konzept passen.
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