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Veröffentlicht
am 21.11.2024
LeuteInterview mit Moritz Holzinger

Verkehrswende jetzt – nicht irgendwann

Veröffentlicht
am 21.11.2024
Moritz Holzinger thematisiert auf Social Media Probleme im Verkehrssystem und zeigt klimafreundliche Lösungen auf. Warum und wie er das macht und weshalb er mit seiner Kritik immer wieder aneckt, verrät er im Interview.
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Moritz Holzinger will Veränderung – und das möglichst bald. Der 25-jährige Content-Creator nutzt Instagram, um auf Probleme im öffentlichen Verkehr aufmerksam zu machen und Lösungsansätze für eine klimafreundlichere Mobilität zu teilen. Zwischen Pendleralltag und Klimakrise fordert er eine Neuausrichtung unseres Verkehrssystems und hinterfragt vermeintlich „grüne Lösungen“. Im Interview spricht Moritz über seine Visionen für eine gerechtere Mobilität, die Herausforderungen, die die Verkehrswende mit sich bringt, und warum Aufklärung dabei eine Schlüsselrolle spielt.

Wer ist Moritz Holzinger?
Moritz Holzinger:
Moritz Holzinger ist ein Mensch, der stets versucht alles rational zu betrachten. Im privaten Leben manchmal fast schon zu sehr (lacht). Ich glaube, viele Dinge, die ich in meinem Leben tue, sind daraus entstanden, dass ich über Dinge nachgedacht und sie hinterfragt habe. So ging es mir sowohl beim Thema Klimakrise als auch beim Thema Mobilität.

Auf deinem Instagram-Account veröffentlichst du Content rund um den ÖPNV. Meine Oma hat kein Instagram, mit welchen Worten erkläre ich ihr am besten, was du tust?
Ich habe das meiner Oma auch erst kürzlich erklärt (lacht). Ich glaube, ich habe Folgendes gesagt: „Ich mach Erklärvideos im Internet. Das ist so wie Fernsehen, nur, dass man sich aussuchen kann, was man sich anschaut.“

Du nutzt die Öffentlichkeit dazu, um auf Missstände bei öffentlichen Verkehrsmitteln hinzuweisen. Was treibt dich da an?
Die meisten Länder nehmen das Thema Mobilität nicht sonderlich ernst. Damit meine ich, dass es Maßnahmen gäbe, die wissenschaftlich und rational betrachtet Sinn ergeben würden, die jedoch nicht umgesetzt werden: Städtebau, der für Menschen anstelle von Autos ausgerichtet ist, sprich keine große Straßen oder unsichere Kreuzungen. Fortbewegungsmittel, die unsere Umwelt weniger beeinflussen. Durch diese Maßnahmen könnten wir sowohl der Klimakrise entgegenwirken als auch Todesfälle vermeiden, die durch die aktuell praktizierte Art von Mobilität herbeigeführt werden.
Eine Ausnahme bilden vielleicht die Niederlande, Dänemark und die Schweiz, aber die meisten unserer Nachbarländer denken nicht um. Südtirol legt noch einmal einen drauf. Hier wird als Alternative zu umweltschädlichen Treibstoffen wie Benzin und Diesel auf wasserstoffbetriebene Mobilität gesetzt. Diese wird als nachhaltig dargestellt, obwohl das nicht der Realität entspricht.

Das heißt?
Wasserstoffbetriebene Fahrzeuge verwenden nur 22 Prozent der ihnen zugeführten Energie für die Fortbewegung. Der Rest geht durch die geringe Effizienz verloren. Bei diesel- oder benzinbetriebenen Fahrzeugen ist der Prozentsatz sogar noch geringer. Elektrisch betriebene Vehikel haben hingegen eine Effizienz von 73 %. Das bedeutet, dass wir mit der Energie, die wir für wasserstoffbetriebene Busse verwenden, drei elektrisch betriebene fahren lassen könnten. Das versteht jede:r, der oder die sich mit Physik beschäftigt und dieses Physikverständnis erwarte ich mir von Mobilitätslandesrät:innen. Darum kritisiere ich viel und werde dafür kritisiert, viel zu kritisieren (lacht).

Eine extreme Reduktion des Autoverkehrs ist schwierig. Manche Menschen sind auf ein Auto angewiesen und das ist mir auch bewusst.

„Not only über Öffis ärgern“ steht in deiner Insta Bio. Du betonst in deinen Videos, dass es nicht deine Aufgabe ist, Lösungen zu präsentieren, denn die liegen schon auf dem Tisch. Wie schaut der ideal geregelte öffentliche Verkehr deiner Meinung nach aus? Und wie schaffen wir den Wandel?
Das ist eine gute Frage. Eine extreme Reduktion des Autoverkehrs ist schwierig. Manche Menschen sind auf ein Auto angewiesen und das ist mir auch bewusst. Wir müssen überlegen, wie wir Mobilität mit weniger Autos bewältigen, mit beispielsweise 20 % des aktuellen Ausmaßes. Das wäre eine Reduktion von 80 %. Das ist machbar. Klarerweise kann nicht in jedes verzweigte Tal ein Bus fahren. Die Astat belegt jedoch, dass 70 % der Südtiroler Bevölkerung in städtischen Gebieten oder deren direkter Umgebung lebt. Diese besiedelten Gebiete kann man durch öffentlichen Verkehr gut verbinden und genau das brauchen wir. Die Hauptstrecken, von Mals nach Innichen und vom Brenner nach Salurn, werden derzeit offiziell im 30-Minuten-Takt von Zügen befahren. Das entspricht jedoch nicht der Realität. Es gibt immer wieder Ausfälle, Wartezeiten belaufen sich teilweise auf zwei Stunden. Wenn ein regelmäßiger Zugverkehr gewährleistet werden würde, würden viele Menschen auf den ÖPNV umsteigen.

Personen, die von Zuhause ins Büro fahren, würden mit dem Umstieg auf das Rad einen großen Unterschied machen.

Und innerhalb der Gemeinden?
Da sollten Radwege eingeführt werden. Wenn man sich die Niederlande anschaut, beispielsweise die Stadt Utrecht, dann fällt auf, wie wenig Autos es dort gibt. Die Autos, die es gibt, sind sinnvolle Autos, welche wirklich gebraucht werden. Zum Beispiel Lieferwagen von Handwerkern, die ihr Werkzeug natürlich nicht im Bus von A nach B bringen können. Personen, die von Zuhause ins Büro fahren, würden mit dem Umstieg auf das Rad einen großen Unterschied machen. In anderen Ländern funktioniert das schon ganz gut. Große Vorbilder sind also die Niederlande mit dem Radverkehr und die Schweiz mit dem Zugverkehr. Im Kanton Zürich besitzt jeder Haushalt durchschnittlich 0,7 Autos, in Südtirol sind es 2,3.

Die beste Lösung für Südtirol, aber auch für den Rest der Welt wäre eine Mischung aus diesen beiden Ländern: In den Städten müsste man das handhaben wie die Niederlande, zwischen den besiedelten Gebieten wie die Schweiz. Das würde uns auch einiges an Geld sparen. Eigentlich ist es ein absoluter No-Brainer, dass man das nicht schon längst angegangen ist. Menschen leben gesünder, friedlicher, fitter. Es gibt weniger Tote, mehr Umweltschutz und die Finanzen sind auch gedeckt.

Was glaubst du, braucht es, um auch politischen Machtinhaber:innen klarzumachen, dass wir diese Umstellung brauchen?
Ich freue mich, wenn Videos wie meine einen Beitrag leisten. Im Idealfall wäre es jedoch Aufgabe der Politik, Mythen aufzuklären und die Menschen zu informieren. Ich glaube, es sind vor allem zwei Erkenntnisse notwendig. Erstens: Sollte man nicht zu den 70 % der Südtiroler Bevölkerung gehören, die nah an einer Stadt wohnen, dann hat man eben ein Auto. Das ist in Ordnung so. Zweitens: Es geht nicht darum, sich zwischen Auto und ÖPNV zu entscheiden. Die beiden Konzepte lassen sich kombinieren. Wer in Feldthurns wohnt, muss nicht mit dem Auto bis nach Brixen fahren, sondern mit dem Auto nach Klausen und dann mit dem öffentlichen Nahverkehr weiter. Wenn man gute Auffangparkplätze hat und gratis parkt, dann funktioniert dieses Prinzip.

Besitzt du eigentlich selbst noch ein Auto?
Ja. Tatsächlich versuche ich es zu verkaufen. (lacht) Ich bin mit dem Auto auch längere Strecken gefahren, nach Norwegen, Budapest und Barcelona. Im Nachhinein würde ich das nicht mehr so machen, kann aber dadurch gute Vergleiche zum Reisen mit ÖPNV ziehen.

Moritz, lass uns schnell einen kleinen Exkurs in die Volkswirtschaft machen: In den Kommentaren unter deinen Videos werden immer wieder Stimmen laut, die darauf plädieren, dass Diesel und Benzin dem Staat gut tun, dass Speck den Umsatz steigert und dass die cit. „blöden Fahrradfahrer:innen keine Steuern zahlen.“ Macht uns grüner Verkehr arm?
Das ist schnell erklärt. Jeder Mensch gibt für sein Auto monatlich mindestens 350 € aus, selbst wenn es eine komplette Schrottkarre ist. Das sind 4.200 € im Jahr. Im Vergleich: Man könnte das Klima-Ticket kaufen, den Südtirol Pass bis aufs Maximum nutzen und die schweizerische und die deutsche Vorteilskarte der dortigen Bundesbahnen erwerben. Selbst dann würden noch 2.000 € fehlen, um den Kosten eines Autos gleichzukommen. Das bedeutet, dass Personen, die auf öffentlichen Verkehr setzen, mehr Geld in der Tasche haben, das sie wiederum ausgeben können. So gelangt es zurück in den wirtschaftlichen Kreislauf.

Dass uns öffentlicher Verkehr nicht arm macht, zeigt auch ein Blick auf Konzepte, wie das Dieselprivileg, oder das Dienstwagenprivileg. In Deutschland kostet das Dienstwagenprivileg 17 Milliarden an Steuergeldern jährlich. Zum Vergleich: Das Deutschlandticket beläuft sich auf 1,8 Milliarden. Summa summarum: Rechnet man die Ausgaben von Staat und Privatpersonen für privaten Verkehr zusammen, vergleicht diese dann mit jenen für ÖPNV, merkt man schnell, dass nachhaltiger Verkehr rentabler ist und uns schlussendlich wohlhabender macht.

Wenn Menschen dem Zug dann doch mal eine Chance geben, machen sie oft eine schlechte Erfahrung.

Kannst du dir erklären, warum so viele Menschen Angst vor dem ÖPNV haben?
Für manche Strecken benötigt man mit dem Auto weniger Zeit als mit den Öffis, so zum Beispiel zwischen Meran und Bozen. Wobei das oft lediglich ein Gefühl ist und in vielen Fällen Geschwindigkeitsbegrenzungen einfach nicht beachtet werden. Auf den ersten Blick sieht man auf Google Maps außerdem nur die bloße Fahrzeit – zusätzliche Zeiten wie Parkplatzsuche oder Stau werden nicht einkalkuliert. Wenn Menschen dem Zug dann doch mal eine Chance geben, machen sie oft eine schlechte Erfahrung. Beispielsweise funktionierten die Anzeigetafeln in den Zügen selten. Wenn dann auch wieder mal kein Netz am Handy ist, weiß man nicht dann nicht mal, wo man aussteigen muss. Solche augenscheinliche Kleinigkeiten können viel ausmachen und Menschen daran hindern, den Umstieg zu wagen.

Du hast einen Umweltschutz-Background, warst bei Fridays for Future, hast die Letzte Generation unterstützt. Wie spielt das in deine Tätigkeit rein?
Durch meine Zeit bei der Letzten Generation habe ich vor allem realisiert, dass es mehr bringt als man denkt, Menschen auf den Schlips zu treten. Man muss eben auch über die unbequemen Dinge sprechen, um etwas zu verändern. Nur über den neuesten Kinofilm und irgendwelche B-Promis zu quatschen, wird die Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht beseitigen. Die wichtigen Themen müssen an die Öffentlichkeit – und durch Ärgernis schafft man Aufmerksamkeit.

Hat man nicht irgendwann Climate Anxiety?
Tatsächlich hatte ich lange Zeit keine Anxiety, weil ich das Gefühl hatte, wir könnten das Ruder noch rumreißen. Mittlerweile ist klar, dass wir die Klimakrise nicht mehr so in den Griff kriegen, dass wir größere Zerstörung irgendwie im Zaum halten. Die meisten Auswirkungen sind mir jedoch bewusst und das nimmt mir die Angst. Es ist aber schon schlimm, darüber nachzudenken, was alles auf uns zukommt und auf die Menschen, die noch jünger sind als wir.

Schaffst du es noch daran zu glauben, dass wir genug an einem Strang ziehen, um die Wende zu schaffen?
Bezüglich des 1,5°C-Ziels ist dies ohnehin zu spät. Was wir jetzt noch tun können, ist darauf zu hoffen, dass wir Lösungen für ein gutes Zusammenleben finden. Unsere derzeitigen Systeme werden die Klimakrise nicht überstehen. Wir müssen uns überlegen, wie wir Phänomenen, wie beispielsweise Rechtsruck und Armut und vor allem Ungerechtigkeiten, die durch die Klimakrise ausgelöst werden, entgegenwirken können.
Beim Thema Mobilität sieht es besser aus. Wenn die richtigen Menschen mit dem richtigen Gedankengut an den richtigen Positionen sitzen und dann noch eine Prise Glück und ein paar Gelegenheiten dazu kommen, dann kann es uns gelingen.

Unter deinen Videos gibt es ab und an auch ziemlich fiese Kommentare. Wie gehst du damit um?
Die richtig bösen treffen mich gar nicht mehr, die finde ich eigentlich sogar ziemlich lustig. Vor einigen Monaten hat mich jemand wissen lassen, er würde mich verprügeln, wenn er mich jemals im Zug treffen würde. Das hat mich persönlich zwar nicht getroffen, aber wenn ich darüber nachdenke, dass manche Menschen wirklich so gewaltbereit sind, dann frage ich mich, was mit der Gesellschaft los ist. Viel mehr als irgendwelche Hate-Kommentare, bringt mich harte Kritik zum Nachdenken. Die kann auch schon mal bedrückend sein, aber auch Chance für Austausch sein.

Okay, letzte Frage: Hast du einen Lieblingsbahnhof?
Emotional hänge ich sehr am Innsbrucker Bahnhof, da beginnen die meisten meiner Abenteuer (lacht). Prinzipiell mag ich Straßenbahnhaltestellen sehr gerne. Die sind der Beweis dafür, dass man mit wenig Aufwand sehr viele Orte verbinden kann. Ein Betonstreifen, ein Schild, eine Anzeige – fertig!

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