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Sara Gostner
Veröffentlicht
am 13.11.2024
LebenInterview mit Roland Benedikter

Was Macht mit uns macht

Veröffentlicht
am 13.11.2024
Sie ist nicht greifbar und trotzdem zieht sie sich wie eine unsichtbare Struktur durch jeden Bereich unseres Lebens: Die Rede ist von Macht. Roland Benedikter, Soziologe und Co-Leiter des Center for Advanced Studies von Eurac Research in Bozen, beleuchtet sie für uns aus allen Perspektiven und hilft uns zu verstehen: Warum braucht der Mensch Macht?
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BARFUSS: Herr Benedikter, was ist Macht eigentlich?  
Roland Benedikter: Macht ist ein Begriff, der sehr viele Facetten aufweist. Ganz grob kann man sie in drei Dimensionen unterteilen: In der ersten Dimension spricht man von philosophischer, in der zweiten von institutioneller oder staatspolitischer und in der dritten Dimension von geopolitischer Macht. Um Macht wirklich zu verstehen, darf man aber nicht  nur jede Dimension für sich betrachten, sondern auch in ihrer Wechselbeziehung zueinander. Ein sehr komplexes Unterfangen.

Können Sie uns die erste Dimension erläutern?
Die philosophische Macht umfasst die Fähigkeit, Vorstellungen darüber zu formen, was als Wahrheit, Moral oder Wissen gilt. Sie wirkt tiefgehend, da sie die Basis für gesellschaftliche Strukturen legt.
Laut der philosophischen Machttheorie von einflussreichen Denkern, wie zum Beispiel Michel Foucault, ist Macht überall. In jeder zwischenmenschlichen Beziehung, jeder gesellschaftlichen Aktion, jedem  Zusammenwirken von Menschen. Sie ist eine Eigenschaft von Beziehungen, die immer und unausweichlich Hierarchien herstellt. Diese Hierarchien sind aber meist nicht formalisiert, und genau da liegt das Problem: Sind sie nicht formalisiert, können sie sich auf Ausbeutung, Unterdrückung oder Ausgrenzung beziehen und in nicht gewollte Beziehungsmuster münden. Macht gehört damit quasi zum Naturzustand des Menschen – und ist unserer Gesellschaft einfach inhärent.

Macht ist am effektivsten, wenn sie sich nach Freiheit anfühlt.

Michel Foucault

Was ist mit der zweiten Dimension?
Die zweite Dimension ist die staatspolitische Macht. Wie beziehen Akteure in einer Demokratie formale, also institutionalisierte Machtbeziehungen in ihre Aktionen ein? Wie können demokratische Institutionen mit machtbildenden Hierarchien überhaupt umgehen? Das sind staatspolitische Fragen, die aber durchaus auch Verfassungen von Demokratien betreffen.
Wer ist im Widerstreit verschiedener Ansichten in einer Demokratie gleichberechtigter Meinungen überhaupt legitimiert, Entscheidungen über die Regelung von Machtbeziehungen zu treffen? In diesen Fragen erkennt man – etwas konkreter als in der Philosophie – Legitimationsstrukturen von Macht und fragt sich: Wohin bewegen sich diese Strukturen? Das Machtmonopol bezüglich Gewalt beispielsweise lag in offenen Gesellschaften beim Staat. Angesichts der jüngsten Krisen verschiebt sich dieses aber immer stärker in Hybridformen wie zum Beispiel die Ansicht, Gewalt sei wenigstens in bestimmten Situationen eine Form notwendiger persönlicher Selbstermächtigung. Ein Zuwachs an Selbstbewaffnung der Bevölkerung hat stattgefunden, in Europa, aber auch in Italien. Die Legitimation „direkter“ (das heißt nicht nur philosophischer) Machtausübung verschiebt sich in einer Gesellschaft also immer wieder.

Und als Drittes sprechen wir von der geopolitischen Macht?
Genau. Das ist die noch größere, umfassendere Dimension. Wie verhalten sich Machtbeziehungen zwischen den großen Welt-Akteuren? Es geht in dieser Dimension um militärische, wirtschaftliche und diplomatische Macht. Wir unterscheiden hier zwischen der sogenannten Soft Power (Weiche Macht) und Hard Power (Harte Macht).
Die Soft Power beruht nicht auf militärischen Ressourcen, sondern auf  kultureller Ausstrahlungs- und Anziehungskraft. Amerika war durch seine attraktive Populärkultur zwischen den 1960er und 2000er Jahren im Bereich der Soft Power führend. Denn Amerika hat in dieser Zeit die Bilder, Film- und Fernsehindustrie kontrolliert, vieles an un- oder unterbewussten gemeinschaftlichen Imaginationen kam aus Hollywood. Es gibt ein Zitat von Jean-Luc Godard, einem der bedeutendsten Regisseure des 20. Jahrhunderts, das lautet: „Wer die besten Bildergeschichten erzählt, der beherrscht die Welt.“Amerika hat die Welt beherrscht, weil es eben die besten Bildergeschichten erzählt hat und somit indirekte Propaganda betrieben hat für einen gewissen Lebensstil, ein Gesellschaftsmodell. Durch diese Form der Soft Power gelang es Amerika, seine wirtschaftliche, finanzielle und politische Macht zu stärken und zu erhalten. Das half Amerika, die einzige Supermacht zu sein.

Macht zeigt auch noch viele andere Aspekte – zum Beispiel im Geschlechterverhältnis. Menschen in Führungspositionen sind immer noch überwiegend männlich. Würden Sie sagen, Macht ist ein männliches Phänomen?
Eines der wichtigsten Weltthemen der UNESCO ist die Gleichstellung von Frauen/Mädchen und Männern/Jungen bis 2050 (UNESCO’s global priority gender equality). Davon sind wir noch weit entfernt, aber es hat für uns Priorität. Ist Macht männlich? Auf geopolitischer Ebene kann man sagen: Ja, Macht ist männlich.
In der mittleren Ebene, der staatspolitischen, ist die Gleichstellung noch unzureichend, aber es findet ein positiver Wandel statt. Anders als in der Geopolitik sind in Südtirol Frauen in einflussreichen Positionen immer präsenter. Wir haben eine Ministerpräsidentin und auch in der Landesregierung eine fortschreitende Ausgewogenheit zwischen Männern und Frauen. Vor allem aber haben wir in den neuen Generationen ein starkes Bewusstsein für die Notwendigkeit von Gleichberechtigung. In der ersten Ebene, der philosophischen, ist Macht nicht männlich, es findet sogar eine gegenteilige Entwicklung statt. Es herrscht ein starkes Bewusstsein von Gleichstellung von Mann und Frau vor, genauso wie von Toxizität zwischen Geschlechterbeziehungen. Viele einflussreiche Philosophinnen sind heute weiblich. Da hat sich in den letzten 20 bis 30 Jahren wirklich vieles getan.

Roland Benedikter, Soziologe und Co-Leiter des Center for Advanced Studies, Eurac Research

Unsere Welt ist nach wie vor stark patriarchalisch geprägt. Was denken Sie, wie würde unsere Welt unter der Herrschaft von Frauen aussehen?
Da finden natürlich schnell Pauschalisierungen statt, an denen ich mich nicht beteiligen möchte. Was ich mir wünschen würde: auf keiner Ebene Gender-Stereotype in den Vordergrund zu stellen.
Wenn Frauen an die Macht kommen würden, wäre bestimmt nicht alles automatisch gut. Frauen sind nicht einfach die besseren Menschen. Wir leben aber in einer Zeit der Krisen, Unruhen und Kriege. Wenn wir mehr Frauen hätten, die langfristig Entscheidungen mitentscheiden könnten, wäre es bestimmt von klarem Vorteil und auf jeden Fall den Versuch wert. Auf meinem eigenen Feld der Zukunftsstudien sehe ich: Frauen sind darin stark aufgestellt. Sie beschäftigen sich intensiv mit Zukünften, im Unterschied zu vielen Männern auch im Feld der sogenannten gefühlten Zukunft. Da haben wir in den kommenden Jahren Impulse zu erwarten, die dann einen Einfluss auf die Bewußtseinsentwicklung der Bevölkerung nehmen werden.

Macht ist nichts anderes als eine Struktur, die Verhältnisse ordnet.

Durch gesellschaftliche Phänomene wie beispielsweise Manipulation, Ausbeutung, Rassismus, Homophobie, klingt Macht erstmal, als wäre sie negativ behaftet. Was sind denn die positiven Seiten der Macht?
Wir machen oft den Fehler, Macht nur einseitig negativ zu betrachten.Das kann sie oft auch sein. Macht kann aber in vielen sozialen Zusammenhängen auch sinnvoll sein. Sie schafft Stabilität, Verlässlichkeit und somit auch eine gewisse Erwartbarkeit von Zukünften. Macht ist aus dieser Sicht nichts anderes als eine Struktur, die Verhältnisse ordnet.
Stabilität und Kontinuität gelten in unserer Gesellschaft zwar oft als überholt, veraltet oder gar selbstsüchtig, sind aber wichtige Regulative. Macht sollte jedoch immer dynamisch sein und nicht statisch. Wird sie statisch, ist sie ein Verhinderungsinstrument, das Gesellschaften in bestehenden Strukturen versteinern lässt. Verhältnisse zu ordnen, wie mittels Verfassungen von Demokratien, ist auch eine Form von Machtausübung, die jedoch von der Mehrheit der Gesellschaft so gewollt ist. Ansonsten gäbe es Anarchie, und die Macht der Straße würde herrschen. Also die Macht des Stärkeren und Unmenschlicheren. Die Behauptung von Freiheit mittels Anarchie ist der größte Betrug, den es gibt.

Sie forschen auch im Bereich der künstlichen Intelligenz. Wie wird diese bestehende Machtstrukturen verändern?
Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Die einen, wie zum Beispiel Yuval Noah Harari oder auch Elon Musk sagen, die künstliche Intelligenz könnte in den kommenden Jahrzehnten die Macht auf allen drei Ebenen an sich reißen. Wenn man das Thema verfolgt, gibt es tatsächlich Anzeichen dafür, dass diese Theorie stimmen könnte.
Auf geopolitischerEbene lassen sich Staaten wie China bereits von der KI beraten, ob gewisse militärische Aktionen ausgeführt werden sollen oder nicht. In der staatspolitischen Dimension wird KI in Zukunft stark bei der Entscheidungsvorbereitung eingesetzt werden – und dort faktischen Druck ausüben. In einer Gemeinde sollen an einer bestimmten Stelle Bäume gepflanzt werden? Binnen weniger Sekunden wird die künstliche Intelligenz Bodenbeschaffenheit und alles Nötige berechnet haben und eine passende Entscheidungsempfehlung ausspucken, dem sich die menschlichen Entscheidungsträger kaum mehr entziehen können. Das wäre dann der Weg in eine Algokratie, also eine Welt, in der Algorithmen bestimmend sind und über die menschliche Vernunft gestellt werden, zwar nicht auf explizite, aber auf implizite Weise. Auf der philosophischenEbene hagelt es an Kritik. Es wird stark darum gerungen, welchen Stellenwert der Mensch in den kommenden Jahrzehnten noch haben wird in einer von künstlicher Intelligenz geprägten Gesellschaft. Dieses Ringen um eine Neupositionierung des Menschen ist, wie ich finde, wichtig und wertvoll.

Sie glauben also, dass das Denken des Menschens wieder wichtiger wird …
Durch die immer übermächtigere Technologie kehrt die Philosophie durch die Hintertür zu ihrer eigentlichen Bedeutung zurück. Sie erfährt wieder die Wichtigkeit, die sie in der griechischen Blütezeit schon hatte. Sie war damals das Zentrum aller Dinge, auch des Wissenschaftssystems. Teilweise hat sie diese Wichtigkeit in der naturwissenschaftlichen Revolution dann verloren.

Wenn irgendwann die technologische Universalität einer allgegenwärtigen Künstlichen Intelligenz kommt, wird die Philosophie zurückkehren, als die eigentliche Fähigkeit des Menschen. Wir bei der UNESCO sagen: „Wo die künstliche Intelligenz zum Navigator des Schiffes wird, wird die Philosophie zum Extravigator.“ Das heißt: Paradoxerweise könnten durch das Wachstum des technologischen Pools auch der künstlerische und philosophische Pool eine Renaissance erleben – und beide zu ihrer alten Kraft finden. Zu der Kraft nämlich, die den Menschen befähigt, auch außerhalb des Systems zu denken, Mensch zu bleiben und das Ungedachte zu wagen.

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