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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 03.05.2016
LebenUnterwegs mit Foodsavern

Und raus bist du

Veröffentlicht
am 03.05.2016
Jeden Tag landen Tonnen essbarer Lebensmittel im Müll. Foodsaver sammeln und verteilen sie an alle, die die Verschwendung bekämpfen wollen.
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Aurelie steht im Lagerraum eines Discounters und wühlt im Abfall. Sie holt eine Zucchini heraus, riecht daran: „Schau mal, die hat nur eine kleine Macke!“ Sie legt sie in eine Kiste, grinst und sagt: „Also mit Maniküre und ohne Handschuhe sollte man hier tatsächlich nicht herkommen.“ Dann sucht sie weiter nach noch gutem Essen.

Ich habe mich mit Aurelie und Petra in diesem Discounter in Heidelberg getroffen, weil sie mir zeigen wollen, wie viele Lebensmittel verschwendet werden. Die beiden Frauen sind Foodsaver: Sie retten Lebensmittel, die weggeworfen werden, obwohl sie noch vollkommen genießbar sind. Täglich fahren sie zu diesem Discounter, schauen in die Abfalleimer und nehmen mit, was noch gut ist. „Meistens legen die Mitarbeiter gute Waren schon für uns beiseite – das erspart uns dann das Wühlen im Mülleimer.“

Tatsächlich stehen neben dem Mülleimer drei Kisten mit Joghurt, Butter, Gemüse, belegten Brötchen. Die beiden Frauen kommen seit einigen Jahren täglich um 14.30 Uhr vorbei, um diese Lebensmittel abzuholen – und mittlerweile arbeiten Mitarbeiter und Foodsaver eng zusammen. Das war nicht immer so. Petra erzählt: „Anfangs hat man uns schon auch mal vergessen. Inzwischen kennen uns aber alle Mitarbeiter hier und versuchen uns zu unterstützen. Ihnen blutet ja auch das Herz, wenn sie mehrere Paletten Erdbeeren oder hunderte Osterhasen wegwerfen müssen.“ 

„Also mit Maniküre und ohne Handschuhe sollte man hier tatsächlich nicht herkommen.“

Aurelie
Der Fair-Teiler in Heidelberg

„Das Beste, was uns als Foodsharing passieren könnte, ist, dass wir überflüssig werden.“

Mike Opitz

Ein Berg Osterhasen im Müll: kein schöner Anblick. Doch im Vergleich zu den 18,7 Millionen Tonnen Lebensmitteln, die pro Jahr in Deutschland weggeworfen werden, sind sie nur ein Tropfen im Ozean der Verschwendung. Würde man all diese Lebensmittel in LKWs verladen und die in einer Reihe aufstellen, würden sie von Deutschland bis nach Japan reichen. Foodsaver wollen so viel Essen wie möglich vor diesem Schicksal bewahren.

Mike Opitz, Botschafter der Foodsharing-Gruppe in Heidelberg, sagt: „Das Beste, was uns als Foodsharing passieren könnte, ist, dass wir überflüssig werden. Das ist zwar unüblich für eine Organisation, aber das wäre das ideale Ziel.“ Über Südtirol kann Mike nichts sagen. Dort gibt es noch kein Foodsharing. Auch wenn das wohl notwendig wäre: Laut einer Schätzung von 2012 landen pro Südtiroler Haushalt jährlich 94 Kilo genießbare Lebensmittel im Müll – dazu kommen noch Lebensmittel aus den Unternehmen und der Industrie.

Aus diesem Grund hat die italienische Regierung erst kürzlich ein neues Gesetz in die Wege geleitet, das dem entgegenwirken soll: Künftig erhalten Unternehmen, die ihre Ware an Organisationen weitergeben, Steuererleichterungen. Auch abgelaufene Lebensmittel dürfen dann gespendet werden. Petra betont, wie wichtig das ist: „Viele verwechseln das Mindesthaltbarkeitsdatum mit dem Ablaufdatum. Da besteht aber ein großer Unterschied. Lebensmittel, deren Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen ist, halten manchmal noch Wochen.“ Aurelie wirft ein: „Letztens hatte ich ein Joghurt, das schon drei Wochen darüber war – das war noch gut. Die meisten haben leider verlernt, ihre Nase einzusetzen.“ 

Mittlerweile haben Petra und Aurelie alle Müllcontainer des Discounters durchsucht. Sie verladen die großen Kisten mit Lebensmitteln in Petras Auto. Damit fahren wir zum Fair-Teiler: Dort werden die geretteten Lebensmittel in Regale gelegt und jeder, der möchte und den Ort kennt, kann sie mitnehmen.

Der Fair-Teiler liegt versteckt hinter einem Haus –  nur Foodsharer wissen, wo. Jeder Eingeweihte darf holen, wie viel und was er mag – egal, wie viel er monatlich verdient. Die 27-jährige Aurelie freut sich beim Einräumen der Lebensmittel: „Heute gibt’s Schoko-Pudding und Bananen. Glück gehabt!“ Sie packt ein paar der Lebensmittel in ihren Rucksack. „Ich habe keine Verwandten, die mich finanziell unterstützen können, und als Französin bekomme ich keine Studienbeihilfe. Ich habe zwei Jobs, aber gut sieht meine finanzielle Situation trotzdem nicht aus. Ich helfe drei bis fünf Mal pro Woche beim Abholen von Lebensmitteln und nehme mir dann dafür das, was ich fürs Leben brauche.“

Auch Petra nimmt ein paar Sachen aus den Kisten: Salat, Joghurt und Erdbeeren. Die 44-jährige Mutter ist aus Überzeugung bei Foodsharing: „Früher habe ich in Teilzeit in einem Hotel gearbeitet, aber mir hat der Sinn bei meiner Tätigkeit gefehlt. Es werden Unmengen an Lebensmittel unnötig weggeworfen, und ich möchte meinen Beitrag leisten, damit sich etwas verändert. Das tut gut! Und indem ich Lebensmittel aus dem Fair-Teiler mitbringe, gleiche ich aus, was ich weniger verdiene.“ 

„Heute gibt’s Schoko-Pudding und Bananen. Glück gehabt!“

Aurelie
Mike Opitz zur Frage, warum er bei Foodsharing aktiv ist.

In Südtirol rettet noch kaum jemand Lebensmittel vor der Tonne. Silke Raffeiner von der Verbraucherzentrale Südtirol weist darauf hin, dass es hierzulande zwar (noch) kein Foodsharing gibt, die Umsetzung aber relativ simpel wäre: „Es braucht einfach jemanden, der einen Kühlschrank aufstellt und sich darum kümmert, dass darin nichts vergammelt. Bislang gibt es aber nur Tafeln“.

Doch zwischen Tafeln und dem Fair-Teiler besteht ein Unterschied: Tafeln dürfen nur von nachweislich bedürftigen Personen aufgesucht werden; diese dürfen nur eine bestimmte Menge an Lebensmitteln kaufen und müssen dafür ein kleines Entgelt bezahlen. Tafeln können auch nur einen Bruchteil aller aussortierten Lebensmittel vor der Vernichtung retten. In Italien enden immer noch annähernd 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel in der Tonne. Höchste Zeit also, dass auch Südtirol seine Lebensmittel-Retter bekommt. 

Fotos

Mara Mantinger

Mike Opitz

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