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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 24.06.2016
LebenEuropeada in Südtirol

„Meine Heimat ist die Krim“

Veröffentlicht
am 24.06.2016
Die Krimtataren standen bei der Fußball-EM der Minderheiten in Südtirol auf verlorenem Posten – in ihrer Heimat werden sie systematisch diskriminiert.
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„Meine Heimat ist die Krim“, sagt Islyam Useinov. Der junge Krimtatare trägt die Rückennummer 8 und spielt links hinten in einer Dreierkette. Er ist Mitglied einer Auswahl von Krimtataren, die an der Europeada teilnimmt. Sein Team hat es am Dienstag dieser Woche in Pfalzen mit den Südtiroler Ladinern zu tun und sie stehen von Anbeginn auf verlorenem Posten. Schon nach wenigen Minuten fällt das erste Tor für die überlegenen Ladiner. Die Europeada ist die Fußballeuropameisterschaft der autochthonen nationalen Minderheiten, die alle vier Jahre und in diesem Jahr in Südtirol stattfindet. Das Finale geht diesen Sonntag über die Bühne, wobei die Südtiroler gute Chancen haben, den Titel zum dritten Mal in Folge zu gewinnen. Es geht aber um mehr als Fußball. Fußball ist Werbung für die Ziele der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen (FUEN), die rund 100 von über 400 Minderheiten in Europa vertritt. Das Ziel ist die „Erhaltung und Förderung der Identität, Sprache, Kultur, Rechte und Einzigartigkeit der europäischen Minderheiten.“

Die Europeada findet zum dritten Mal statt. Vertreten sind die (deutschen) Südtiroler und die Ladiner, die Zimbern, die alle aus der 303-Einwohner-Gemeinde Lusern im Trentino kommen, die Russlanddeutschen, die ungarische Minderheit in der Slowakei oder die Auswahlmannschaft der Insel Man in der Irischen See zwischen Großbritannien und Irland. Das Manx Gälisch hörte im 20. Jahrhundert als Erstsprache praktisch auf zu existieren und wurde wiederbelebt. Heute gibt es wieder rund 1.000 Sprecher. Serbja Lusatia vertritt die Sprachminderheit der Sorben in der Lausitz.

Bei der Europeada geht es mehr als um Fußball.


Im Vorgruppenspiel in Pfalzen spielten die Ladiner (grüne Trikots) gegen die Krimtataren. 

Die Krimtataren sind zum ersten Mal mit dabei. Ihr Antreten bei der Europeada stand bis zuletzt auf der Kippe: Nach finanziellen Schwierigkeiten im Vorfeld und einer kurzen Vorbereitung kamen sie mit nur 13 Spielern nach Südtirol. Ein paar von ihnen spielen in den Ukrainischen Ligen, die meisten nur aus Spaß. Zusammengespielt haben sie vor dem Turnier nie. Die Erwartungen waren nicht allzu hoch, „win and lose with honour“ das Ziel.

Vor dem Anpfiff werden die Hymnen der beiden Mannschaften gespielt, die Fans der Ladiner sind zahlreich und singen inbrünstig ihr Lied „Lingaz dla uma cara“ („Die Sprache der lieben Mutter“) mit. Nach 20 Minuten führen die Ladiner mit zwei Toren Vorsprung. Useinov und seine Mitspieler bemühen sich redlich, können aber wenig ausrichten und kommen nur selten aus der eigenen Hälfte. Zur Halbzeit steht es sechs zu null, da steht Islyam Useinov nicht mehr auf dem Platz. Er hat sich kurz zuvor bei einem Zweikampf im Strafraum am Knöchel verletzt, wird einige Zeit behandelt und humpelt schließlich vom Feld.

Wie viele seiner Mitspieler lebt Islyam nicht auf der Krim, sondern in der ukrainischen Stadt Charkiw. Dort studiert Isylam Internationales Recht. Der junge Mann ist der einzige seines Teams, der Englisch spricht. Seine Mitspieler lächeln freundlich, sagen ein paar Sätze auf Krimtatarisch oder Ukrainisch, mehr ist ihnen nicht zu entlocken. Auch Delegationsleiter und Spielertrainer Elvin Kadyrow lächelt und steckt mir seine Visitenkarte zu: „Interview schicken bitte.“ Islyam erzählt über die Geschichte, Landschaft und Kultur seiner Heimat, über Politik reden will er nicht. Man sei hier, um Fußball zu spielen. Erst ohne Kamera und Notizblock erzählt er zögerlich. „Aber nicht schreiben!“, sagt er. Dabei gäbe es viel zu erzählen.

„Win and lose with honour“ ist das Ziel.


Islyam Useinov musste verletzt das Spielfeld verlassen. Über Politik reden will er nicht.

Die Tataren leben seit vielen Jahrhunderten auf der Krim, die Ende des 18. Jahrhunderts unter russische Herrschaft fiel. Im Zweiten Weltkrieg eroberte Nazideutschland die Krim, nach der sowjetischen Rückeroberung der Halbinsel wurden die Krimtataren 1944 unter dem Vorwurf der kollektiven Kollaboration mit den deutschen Besatzern nach Zentralasien deportiert – fast 190.000 Menschen, innerhalb weniger Tage. Viele überlebten die Reise nicht. Die Vertreibung aus der Heimat verarbeitete die Sängerin Jamala im Lied „1944“, mit dem  die Krimtatarin vor einigen Wochen den Eurovision Song Contest gewann. Jamalas Urgroßmutter wurde zusammen mit ihren fünf Kindern deportiert, während ihr Mann in der Sowjetarmee gegen die Nazis kämpfte. Ihre einzige Tochter starb auf dem Weg nach Zentralasien. Der Sieg Jamalas löste bei einigen russischen Politikern Kritik aus, da sie ihn als „politisch motiviert“ und als „Ergebnis der antirussischen Politik“ werteten.

Auch nach Kriegsende hielt die russische Unterdrückung an. 1967 wurden die Krimtataren teilweise rehabilitiert, es folgte eine langsame Rückkehr der Vertriebenen. Die Krimhalbinsel ging 1954 von Russland als Geschenk an die damalige Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik über und war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion Teil der Ukraine. Seit der „Krimkrise“ 2014 ist die Halbinsel de facto wieder russisch, wobei sich die Krimtataren vehement gegen die Annexion der Krim durch Russland wehrten. Seitdem sind fast alle ihre Einrichtungen, so etwa das autonome Parlament der Krimtataren, geschlossen worden. Seit 2014 herrscht wieder eine prorussische Propaganda gegen die Minderheit, Experten sprechen von einer systematischen Diskriminierung. 

Experten sprechen von einer systematischen Diskrimierung der Krimtataren.

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1990 sollen wieder rund 20.000 Krimtataren auf der Krim gelebt haben, heute sollen es etwa 280.000 Krimtataren sein, das sind mehr als zehn Prozent der Gesamtbevölkerung der Krim. Doch aktuell verlassen verständlicherweise viele die Heimat wieder. Sie leben in der Ukraine, in Usbekistan und anderen Ländern verstreut. Bis zu fünf Millionen Tataren sollen in der türkischen Diaspora leben. Krimtatarisch wird für gewöhnlich nur innerhalb der Familie gesprochen. Die benutzte Schrift ist meist die kyrillische, verwendet wird auch ein auf dem lateinischen Alphabet basierendes Schriftbild. „Außerhalb sprechen wir meist Ukrainisch oder Russisch“, sagt Islyam. Zwei Sprachen, die sich sehr ähnlich sind. Auch am Fußballplatz klingen die zugerufenen Anweisungen eher russisch als türkisch.Lieber als über seine Heimat redet Islyam über Südtirol: Ein schönes Land habe man hier, und feine Menschen. Und: „Italy is super“. Die Krim sei mindestens genauso schön. „Es ist ein wenig wie Südtirol“, sagt Islyam. „Wir haben Berge und Weinberge.“ Das milde Klima begünstigt Weinbau und Tourismus, der Krimsekt ist legendär. Dazu das Meer, das Südtirol fehlt. Wahrlich kein schlechter Flecken Erde.

Die Krim ist ein wenig wie Südtirol.


Die Krim sei mindestens genauso schön, sagt Islyam. Im Bild ein Sonnenuntergang an der Südküste der Krim.

Die Krim ist auch mit Südtirols Geschichte verbunden. Während der Option waberten immer wieder die Namen neuer Orte durch die Gerüchteküche – Orte, an denen die auswandernden Südtiroler angesiedelt werden sollten. Auch die Krim war darunter. Islyam weiß von Hitlers einstigen Plänen, die Südtiroler auf die Krim umzusiedeln. Er findet es eine schöne Wendung, dass es nicht dazu kam, und die Tataren dafür nach Südtirol kommen können.

In der zweiten Hälfte des Spiels feuert Islyam Useinov seine Mannschaft von der Seitenlinie an, in ein Ukraine-Trikot gekleidet (die Ukraine spielt zeitgleich bei der „richtigen“ EM gegen Polen, wird das Spiel aber 0:1 verlieren). Zwei weitere Gegentore später ist das Spiel zu Ende, schon vor dem Schlusspfiff schallen „Adalet“-Rufe von der Tribüne, die Ladiner und die dazu gestoßenen Graubündener („Ils Rumantschs“) erweisen den geschlagenen Gästen die Ehre. Die Tataren gehen vor die Tribüne mit den ladinischen Fans und klatschen artig Beifall. Ein schönes Bild. Es geht um Fußball, aber nicht nur.

Hitler wollte die Südtiroler auf der Krim ansiedeln.

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Veronika Wetzel

Podvalov/Flickr

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Veronika Wetzel

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