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„Ökologisch“, „nachhaltig“ und „fair“ sind Schlagworte, die sowohl den Markt als auch die Konsumgesellschaft prägen. In den Supermarktregalen wimmelt es von „grünen Versprechen“. Werbesendungen suggerieren, das Produkt trage zur Lösung des Klimaproblems bei. Doch was steckt hinter den Versprechungen und bei wem gilt „Grüner Schein statt Sein“? Gunde Bauhofer, Direktorin der Verbraucherzentrale Südtirol, klärt darüber auf, wie Unternehmen sich grün geben und worauf beim Einkauf zu achten ist.
Ab wann spricht man jedoch konkret von „Greenwashing“?
Wörtlich übersetzt bedeutet „Greenwashing“, etwas grün zu waschen, gemeint ist jedoch, etwas grün zu färben. Konkret bedeutet das, dass Unternehmen sich selbst, einem Produkt oder einzelnen Aspekten vom Kerngeschäft einen grüneren Anstrich geben, als es tatsächlich der Fall ist. Dadurch entsteht ein nachhaltiges, umweltfreundliches und gesellschaftsbewusstes Bild, das sich besser verkaufen lässt. Die Grenze zwischen echtem Engagement und „Greenwashing“ ist manchmal schwer zu ziehen. Grundsätzlich wird die Grenze dort gezogen, wo mehr Schein als Sein herrscht. Natürlich gibt es Unternehmen, die sich wirklich für eine bessere Welt einsetzen. Diese haben auch das Recht, diese Leistung in ihrem Verkauf zu bewerben. Es gibt aber auch solche, die damit ausschließlich kassieren wollen und mit kleinen Umweltprojekten große Umweltsünden kompensieren.
Welche Branchen machen vom „Greenwashing“ am meisten Gebrauch?
„Greenwashing“ zieht sich durch alle Sparten: von der Lebensmittelindustrie zu Modeunternehmen, von der Mineralölindustrie zu Kaffeekapselherstellern. Ich glaube nicht, dass irgendein Industriezweig davon ausgeschlossen werden kann. Gemeinsam haben sie alle, dass einzelne grüne Aspekte vom Gesamtkonzept abgekoppelt und in den Vordergrund gerückt werden.
Gibt es dafür berühmte Beispiele?
Der britische Mineralölkonzern „Britisch Petroleum“ (BP) nennt sich nun „beyond petroleum“, was so viel wie „jenseits von Erdöl“ bedeutet. Allein diese Namensänderung ist bereits der Inbegriff von „Greenwashing“. Verschwiegen wird hinter dem grünen Image, dass BP im Jahre 2010 für die Explosion der Bohrplattform „Deepwater Horizon“ und der damit verbundenen Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko verantwortlich war. Nach wie vor stammt ein erheblicher Großteil des Umsatzes aus Erdgas und Erdöl und nicht aus erneuerbaren Energiequellen. Dies ist eine der beliebtesten Formen von „Greenwashing“: Das umweltbelastende Kerngeschäft, also das Gesamtkonzept, wird hinter einem vermeintlich grünem Anliegen versteckt. Ein anderes Beispiel: Der schwedische Textilhersteller „H&M“ hat eine Altkleidersammlung ins Leben gerufen, bei der Altkleiderstücke in den Filialen abgegeben werden können und vom Konzern angeblich recycelt werden. Dabei ist „H&M“ ein Synonym für „Fast Fashion“: billige Kleidung, die unter schlechten Arbeits- und Umweltbedingungen produziert und von den Käufern und Käuferinnen nur wenige Male getragen wird. Die Abgabe der nicht mehr benötigten Kleidungsstücke wird mit einem Einkaufgutschein belohnt und treibt somit den Kreislauf des Konsums noch zusätzlich an. Das eigentliche Kernproblem, der Konsumkreislauf von „Fast Fashion“, wird nicht behoben.
Viele Unternehmen werben damit, dass sie etwas praktizieren, was eigentlich schon gesetzlich vorgeschrieben ist.
Mit welchen Tricks werden Kunden und Kundinnen sonst noch getäuscht?
Auf den Etiketts von Produkten finden sich oft Schlagwörter wie „nachhaltig“, „grün“, „ökologisch“ oder „fair“. Auch Begriffe wie „naturnah“ oder „naturbelassen“ werden oft verwendet. Solche Begriffe sind nicht gesetzlich geschützt, wie etwa „biologisch“, und können nach Lust und Laune hinzugefügt werden. Zudem wird mit eigenen und oft erfundenen Zertifizierungen, beispielsweise in Form von Gütesiegeln, getäuscht. Der Hintergrund des Etiketts zeigt meist eine unberührte Landschaft: grüne, saftige Wiesen und glückliche Kühe. Diese Bilder vermitteln ein positives Bild und eine Scheinvorstellung davon, wo und wie das Produkt produziert worden ist. Viele Unternehmen werben auch damit, dass sie etwas praktizieren, was eigentlich schon gesetzlich vorgeschrieben ist, wie eine faire Entlohnung oder eine zweijährige Garantie. Besonders dreist finde ich, dass die meisten Unternehmen nur einen Bruchteil an Geldern in eigentliche Umweltinitiativen fließen lassen und den Großteil ins Marketing, wo diese wenigen Initiativen dann beworben werden, investieren.
Die Formen von „Greenwashing“ scheinen unzählig. Können Verbraucher und Verbraucherinnen die leeren Versprechungen der Unternehmen überhaupt durchblicken?
Ein grundsätzliches Problem habe ich damit, dass die Verantwortung, „Greenwashing“ oder andere Marketinglügen zu durchschauen, an die Konsumenten und Konsumentinnen abgegeben wird. Dadurch entsteht für mich eigentlich erst der Ursprung von „Greenwashing“. Den Verbrauchern und Verbraucherinnen wird eingeflößt, dass sie grün und nachhaltig kaufen müssten, anstatt dass Unternehmen grün produzieren. Es wird so getan, als ob allein Verbraucher und Verbraucherinnen den Wandel in der Hand hätten. Aber das ist nicht so, zumindest nicht nur. Zuerst sollte ein gesetzlicher Rahmen geschaffen werden, innerhalb dessen es nur noch zugelassene Produkte gibt. Die Konsumenten und Konsumentinnen sind das letzte Glied der Kette. Als solches können sie einiges dazu beitragen, bestimmte Umstände zu ändern. Gefragt ist jedoch jedes Glied der Kette und nicht nur ein einzelnes.
Als Konsument will ich nicht für grünes Marketing mit wenig Inhalt bezahlen. Was kann ich konkret tun?
Verbraucher und Verbraucherinnen können sich an zertifizierte Gütesiegel halten. Um mich jedoch an Gütesiegel orientieren zu können, muss ich mich erstmal mit ihrer Bedeutung auseinandergesetzt haben und wissen, welche zertifiziert – wie beispielsweise das europäische Bio-Siegel – und welche frei erfunden sind. Es gibt zwar Mittel und Wege, dennoch kann man sagen, dass das Einkaufen zur Pflichtdisziplin wird und Konsumenten und Konsumentinnen einer kritischen Auseinandersetzung mit den Artikeln und Hintergrundrecherche oft nicht ausweichen können.
Wenn ich mich einmal bewusst mit dem Thema auseinandergesetzt habe, kenne ich mich aus.
Welche Folgen hat „Greenwashing“?
In erster Linie werden Konsumenten und Konsumentinnen schlicht in die Irre geführt. Sie glauben, dass ihr Konsum ihrem ethischen Standard entspricht. De facto ist oft das Gegenteil der Fall. Diese Irreführung zerstört das Vertrauen. „Greenwashing“ hat auch globale Auswirkungen: Ein scheinbar nachhaltiges Produkt, das damit wirbt, rohstoffschonend zu sein, findet stärkeren Absatz. In Wahrheit ist es jedoch nicht rohstoffschonend und diese bereits knappen Ressourcen werden noch stärker verbraucht. Wird dies im großen Stil betrieben, kann man sich ausmalen, was das für die Umwelt bedeutet.
Wie sieht es preislich aus?
Grüne Produkte lassen sich unheimlich gut verkaufen und viele Verbraucher und Verbraucherinnen sind auch bereit, einen Aufpreis für Nachhaltigkeit zu zahlen. Dieser wäre durchaus gerechtfertigt, wenn auch das drinnen stecken würde, was draufsteht. Es passiert aber auch, dass der Aufpreis für ein vermeintlich grünes Produkt gezahlt wird und somit viel Geld für nichts fließt. Ich glaube, dass wir uns alle darin einig sind, dass ein Ei aus Freilandhaltung mehr kosten darf als ein Ei aus Käfighaltung. Erfahre ich nach meinem Einkauf, dass ich ein Ei aus Käfighaltung für den Preis eines Eis aus Freiland- oder Biohaltung bezahlt habe, ärgere ich mich natürlich ungemein.
Bedeutet dies folglich, dass Konsumenten und Konsumentinnen ohne Recherche und Hintergrundwissen gar nicht mehr einkaufen können, ohne auf „Greenwashing“ hereinzufallen?
In einer gewissen Weise kann man das so sagen, ja. Der Vorteil ist dabei natürlich: Wenn ich mich einmal bewusst mit dem Thema auseinandergesetzt habe, kenne ich mich aus. Aller Anfang ist schwer. Bei diesem Thema geht es viel um die Einstellung: Hinterfragen wir Dinge und diskutieren wir darüber? Schaffen wir ein Bewusstsein für dieses Thema?
Wird „Greenwashing“ auch sanktioniert?
Nach italienischem Gesetz darf man nicht mit Dingen werben, die durchschnittliche Konsumenten und Konsumentinnen in die Irre führen und zu einer wirtschaftlichen Entscheidung verleiten, die sie andernfalls nicht getroffen hätten. Könnte man also nachweisen, dass durch „Greenwashing“ Entscheidungen getroffen worden sind, die andernfalls nicht getroffen worden wären, würden die Hersteller und Produzenten zu einer Strafe verurteilt werden.
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