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Ich habe mich selten so allein gefühlt wie im Moment. Sozial isoliert. Und das, obwohl ich mit meinem Partner lebe, mit dem ich mich rege austausche und eine wunderbare Beziehung führe. Ich bin also in dem Sinn nicht alleine. Ich habe aber nie zu jenen Menschen gehört, die ihre Freundschaften vernachlässigen, sobald sie sich im Hormonrausch einer neuen Partnerschaft befinden. Der Wert von Freundschaft wurde mir als Kind von meinen Eltern stets gepredigt, und immer war mir bewusst, dass Freunde das Seil sind, das hält, wenn alle anderen Stricke reißen. Ohne meine Freunde wäre ich nicht so leicht über Beziehungsschmerz, Enttäuschungen im Leben und sonstige Rückschläge hinweggekommen. Stets waren es Freunde, waren es soziale Erlebnisse mit ihnen, die mich aus dem Schmerz rissen und erhabene Gefühlszustände aus Lachen, aus Wärme, aus Vertrautheit zurückbrachten.
Gerade deshalb lege ich großen Wert darauf, Freundschaften zu pflegen. Dazu gehört ein regelmäßiger Kontakt, dazu gehört es, da zu sein, wenn man einander braucht. Eine Freundschaft pflegen heißt für mich, sich für das Leben des Anderen zu interessieren. Ehrlichkeit gehört dazu und Verlässlichkeit, sich an Abmachungen halten. Gute Freunde inspirieren einander und kitzeln aus dem Inneren heraus, was man alleine vielleicht nicht entdeckt hätte.
Doch in letzter Zeit scheint es mir, als hätten diese Dinge kaum mehr Bedeutung, an Abmachungen würde sich kaum noch jemand halten, die Leute konzentrieren sich vermehrt auf sich selbst und isolieren sich zunehmend in ihren eigenen vier Wänden. Immer öfter passiert es, dass Verabredungen kurzfristig abgesagt werden. Dass Freunde sich kaum melden, man wochenlang voneinander nichts hört. Mir fehlt der inspirierende Austausch mit meinen Freunden. Soziale Erlebnisse mit den wichtigsten Wegbegleitern, an die man sich Jahre später schmunzelnd erinnern wird, scheinen so weit entfernt, wie aus einem anderen Leben.
Zu Anfang der Pandemie wurde wenigstens geskyped, doch virtuelle Gespräche sind anstrengend geworden, und so wurde selbst der dünne virtuelle Kontaktfaden gekappt. Als soziales Highlight bleibt der Couch-Ausflug mit dem Kater oder ein Abend mit dem Partner vor Netflix.
Die Rahmenbedingungen liegen zurzeit nicht sehr günstig für einen regen sozialen Austausch und kollektives Bonding. Bei jedem Treffen schwingt Unsicherheit mit, die der Freundschaft Schwere verleiht: Ist es moralisch okay, beim befreundeten Pärchen zu Abend zu essen? Fühlt sich die Freundin wohl, wenn ich sie auf einen Kaffee zu mir einlade? Kann ich meine Maske abnehmen, wenn ich neben meinen Kumpels spaziere? Der Lockdown, die Hygienemaßnahmen, die sich ständig ändernden Regeln haben dem Weinabend mit Freunden die Leichtigkeit genommen, dem Gespräch mit der besten Freundin die Intimität, dem Leben die Spontanität.
Vielen vergeht unter diesen Bedingungen die Lust auf soziale Interaktion. Doch fangen wir langsam an, diese Isolation als neue Realität zu verinnerlichen, uns an den couch-potato-Lebensstil gewöhnen.
Die Spätfolgen der Pandemie beschränken sich nicht auf Erschöpfung oder Geschmacksverlust. Sie gehen über physische Symptome hinaus und betreffen das soziale Verhalten vieler Menschen. So wird die Pandemie immer öfter als Ausrede hergenommen, um nicht aus der kuscheligen Jogginghose schlüpfen zu müssen, in der man den ganzen Tag im Homeoffice verbracht hat. Und weil man auf Netflix doch noch eine Folge der Lieblingsserie schauen möchte, anstatt sich aufs Fahrrad zu schwingen und zum Park zu radeln, erzählt man lieber was von „Kontaktvermeidung wegen anstehendem Oma-Besuch“ und sagt das Treffen kurzfristig ab.
Die Spätfolgen der Pandemie beschränken sich nicht auf Erschöpfung oder Geschmacksverlust.
Es ist wie beim Sport. Hört man einmal für zwei Wochen mit dem regelmäßigen Joggen auf, verfällt man leicht in eine Trägheit, aus der es schwer ist, herauszukommen. Wieder mit dem Joggen zu beginnen wird zum herausfordernden Kraftakt. Und so wird es uns zurzeit zu anstrengend, rauszugehen, Freunde zu treffen – im richtigen Rahmen natürlich, mit wenig Leuten, am besten im Freien.
Wir müssen sicherstellen, dass die sozialen Lockdown-Symptome temporär bleiben, und unsere Gesellschaft nicht dauerhaft zu einer asozialen Masse verkümmert. Unter der Digitalisierung leidet unser aktives Miteinander bereits – man denke an die repräsentativste Szene des 21. Jahrhunderts: Ein Pärchen, er starrt aufs Handy, sie starrt aufs Handy.
Umso mehr müssen wir gegen ein allgemeines soziales Abstumpfen ankämpfen; dafür sorgen, dass Dinge, die eine Freundschaft ausmachen – Verlässlichkeit, gemeinsame Abenteuer, eine Schulter zum Anlehnen – nicht vergessen werden; ein Wort weiterhin zählen lassen, Gemeinschaftssinn wieder hochhalten und uns daran erinnern, dass Freundschaften und soziale Interaktion für ein glückliches Leben und persönliches Wachstum unentbehrlich sind.
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