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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 29.08.2016
LeuteAuf a Glas'l mit Journalist Peter Thalmann

Was bleibt von Rio?

Veröffentlicht
am 29.08.2016
Peter Thalmann berichtete für Rai Südtirol von den Olympischen Spielen. Der Journalist über seine Eindrücke zwischen Sport, Glamour und Elend.
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Peter Thalmann vor den Olympiaringen im Olympiapark

Peter Thalmann, 36, lebt mit seiner Frau und dem fünf Monate alten Sohn in Kaltern. Er ist seit drei Jahren Redakteur bei Rai Südtirol, zuvor studierte er in Innsbruck Politikwissenschaft, arbeitete beim Onlineportal Stol und bei In Südtirol und war Moderator bei Südtirol 1. In seiner Freizeit spielt er Theater bei der „Kühnen Ü Bühne“. Gemeinsam mit Markus Kaserer, Kameramann Georg Jocher und Cutter Hannes Depaoli berichtete er von den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Wir treffen uns am Kalterer See.

Peter, wir sitzen am Kalterer See in der Sonne. Wo ist es besser, hier oder an der Copacabana?
Natürlich ist der Kalterer See viel schöner (lacht). Und hier ist es momentan viel wärmer. In Brasilien ist Winter, da kann es schon mal nur 18 Grad haben und regnen.

Wie war es in Rio?
Vor allem war es sehr intensiv. Wir hatten fünf Stunden Zeitverschiebung, also war 3 Uhr Nachmittag absoluter Redaktionsschluss: Da beginnt die Tagesschau. Die Wettkämpfe beginnen aber erst am Vormittag. Wir mussten also innerhalb kurzer Zeit unsere Fernsehbeiträge machen, danach bis Mitternacht die Radiobeiträge für den nächsten Morgen. Und das drei Wochen lang jeden Tag. Man bekommt auch mit, wie sehr das IOC die Spiele kontrolliert.

Welche Ereignisse hast du verfolgt?
Ich war enttäuscht, wie wenig ich von anderen Sportarten mitbekommen habe. Mich hätten viele Ereignisse interessiert, aber es fehlte einfach die Zeit. Wir haben uns auf die Südtiroler Sportler konzentriert.

Was sagst du zu deren Abschneiden?
Tania Cagnotto war ein Märchen. Vor vier Jahren zwei mal Vierte, jetzt Silber und Bronze. Das war sehr emotional. Bei einer der Siegerehrungen gab es ja auch den Heiratsantrag an die chinesische Wasserspringerin, da hatte glaube ich jeder ein Tränchen im Auge. Wasserspringer Maicol Verzotto und Eva Lechner haben etwas enttäuscht. Enttäuscht war auch Petra Zublasing, die die Medaille mit dem letzten Schuss verspielte und schon hart daran zu knabbern hatte. Die Tennisspieler Karin Knapp und Andreas Seppi haben beide gut gespielt, aber die Gegner waren einfach zu stark. Simone Gianelli war super, er war das Hirn der Volleyballmannschaft. Die haben super gespielt, das Finale haben sie gegen Brasilien leider verloren. Aber wenn 12.000 Menschen bei jedem Ballkontakt pfeifen, bekommst du als Sportler einfach zittrige Knie. Die Italiener wurden vor jedem Aufschlag ausgepfiffen und beschimpft.

Die angeblich unsportlichen brasilianischen Fans waren in der Tat immer wieder Thema …
Das hat mich echt gestört. Sie sind eine große Sportnation, machen selber sehr viel Sport. Aber Fußball ist klar die Nummer eins. Wenn ein Spiel der dortigen Liga lief, wurde in den Bars Fußball geschaut, Olympia kam danach wieder. Die Brasilianer haben die sehr chauvinistische Fußball-Publikumsmentalität zu Olympia mitgenommen. Im Tennis herrscht während der Ballwechsel eigentlich absolute Ruhe. Aber hat jemand gegen einen Brasilianer gespielt, wurde der gnadenlos ausgepfiffen. In einem Fußballstadion fällt so etwas ja kaum mehr auf, aber abseits davon kennt man das nicht – wie bei der Leichtathletik, wo der französische Stabhochspringer Renaud Lavillenie ausgebuht wurde.

Was sieht man abseits des Sports?
Als Journalist siehst du von der Stadt sehr wenig. Du wohnst in eigenen Hotels, wir zum Glück an der Copacabana. Dort ist es recht sicher, unsere Kollegen wohnten neben dem Olympischen Dorf in halbfertigen Hotels, oft ohne Strom oder Warmwasser und mit Aufzügen, die stecken blieben. Mit einem eigenen Bus geht es ins Pressezentrum – dort herrschten klimagekühlte 16 Grad, viel zu kalt, obwohl draußen auch nur 20 Grad waren – und am Abend zurück. Trotz eigener Vorzugsspur sitzt man jeden Tag bis zu drei Stunden im Bus, weil die Distanzen so groß sind. Viel Zeit bleibt da nicht, um das Land zu sehen.

„Die Leute sagen, sie freuen sich, aber ihre Gesichter sagen etwas anderes.“

Wirtschaftlich geht es den Brasilianern nicht gut.
Der Bundesstaat Rio ist Pleite. Er bekam einen Notkredit aus dem Katastrophen-Fond, mit dem man Polizei und Helfer bezahlte. Wie es nach Olympia weitergeht, weiß keiner. Für die Kontrollen bei den Sportstätten, vergleichbar mit der Sicherheitskontrolle bei einem Flughafen, waren 3.500 Personen vorgesehen. Die beauftragte Firma hatte 500 gestellt. Die wurden entlassen und das Militär beauftragt, das ohnehin schon 85.000 Menschen im Einsatz hatte. Also wurden pensionierte Polizisten und Feuerwehrleute in Armee-Turnanzüge gesteckt und schoben Dienst.

Da kommt kaum Feierlaune auf …
Olympiaeuphorie spürte man in der Stadt keine. Dafür sind die wirtschaftlichen Probleme zu groß. Die Leute sagen, sie freuen sich, aber ihre Gesichter sagen etwas anderes. Wir haben einen römischen Taxifahrer kennengelernt, der seit 15 Jahren in Rio lebt. Der sagte auch, die Fröhlichkeit sei aufgesetzt. Er hat Angst, dort geschehen täglich Morde. Einem Kollegen von ihm wollten sie das Taxi stehlen, und als er nicht schnell genug ausstieg, haben sie ihn erschossen. In die Favelas geht die Polizei nicht rein.

Ist es so schlimm, wie man immer hört?
Ich tue mich schwer, das zu beurteilen, ich war ja nicht lange dort. Aber es gibt auf jeden Fall eine starke Militärpräsenz. Ich habe zum ersten Mal einen fahrenden Panzer gesehen. Manche haben gesagt, sie fühlen sich dadurch sicher, aber ich nicht. Ein Panzer macht Angst, und wieso fahren sie damit, wenn es sowieso sicher ist? Zwei Rai-Kollegen wurde in einem Viertel, in das man als Tourist eigentlich nicht hinsollte, der Rucksack gestohlen. Sie kassierten auch ein paar Tritte – von Kindern! Erst waren es nur zwei, die ihren Rucksack wollten, die haben sie abgewimmelt, aber plötzlich waren 17 da. Da hast du auch als Erwachsener keine Chance. Und du weißt nie, ob nicht plötzlich einer eine Waffe zückt …

Wart ihr selbst in Gefahr?
Wir haben einen Beitrag über einen Doppelmayr-Lift gemacht, der vom Stadtzentrum in eine Favela führt. Als wir an der Bergstation ein Interview drehten, forderte uns ein Sicherheitsmann auf, zu gehen – zu unserer eigenen Sicherheit. Wir hatten mit unserer Kamera die Häuser gefilmt, und das hat wohl jemandem nicht gepasst. Dabei haben wir die Bergstation nicht einmal verlassen. Die Bahn fährt auch nicht immer, manchmal, wenn die Stimmung oben ungut ist, steht sie still. Aber sonst war eigentlich alles ruhig, auch die Zikamücke hat uns nicht erwischt. Die war aber auch hauptsächlich in deutschen Medien Thema, nicht in Brasilien. Die Brasilianer haben den Journalisten – aus Jux, aber auch aus Kränkung – Mückenspray geliefert.

Neben Korruption und Kriminalität war vor allem Doping im Vorfeld der Spiele ein Thema, und Südtirol war mit dem Fall Schwazer mittendrin.
Es gibt viele Indizien, dass Schwazer unschuldig ist und viele Ungereimtheiten in der Darstellung des Leichtathletikverbandes IAAF. Die Dopingprobe war zwei Tage nicht im zuständigen Labor, sondern in Händen von Personen, die gerade gesperrt wurden, weil sie 80.000 Euro von den Russen angenommen hatten … Alle anderen Proben waren sauber. Aber das sind Indizien, keine Beweise. Der Beweis gegen ihn ist die positive Dopingprobe. Die Richter haben gesagt, wenn die Dopingprobe manipuliert wurde, dann sagt uns, wie das passiert ist. Das kann Schwazer nicht.

Deine Meinung dazu?
Ich bin kein Experte in dem Fall, aber ich glaube nicht, dass er gedopt hat. Die Sache stinkt.

Doping war bei Olympia allgemein ein großes Thema.
Während der Spiele war es nie Thema, da wird versucht, Probleme kleinzukochen. Aber es gibt Sportarten, die von Doping verseucht sind. Gewichtheben zum Beispiel. Da gibt es dieses Interview des deutschen Gewichthebertrainers, Oliver Caruso, der sich wundert, wie Athleten nach der Sperre 30 Kilo mehr stemmen als vor der Sperre. Aber sonst hörte man davon nicht viel, außer beim Schwimmen.

Was hat dich in Rio besonders beeindruckt?
Die Eröffnungsfeier. Die Brasilianer sind sehr musikalisch, bei der Eröffnungsfeier wurden viele ihrer Lieder gespielt, und alle haben mitgesungen. So eine Feier ist ja extrem durchgetaktet, auf die Sekunde. Da gibt es ein berühmtes Lied, País Tropical, als das nach einer Minute ausgeblendet wurde, haben die Leute einfach weitergesungen und die Regie musste sie lassen. Oder das brasilianische Topmodel Gisele Bündchen, das als „Girl from Ipanema” durchs Maracanã ging und das ganze Stadion sang mit. Das war schon Gänsehautstimmung.

Aber es gibt eben nicht nur Positives zu berichten …
Es hat ein paar mal geschüttet. Da sahen wir am Rande der Copacabana sehr viele Obdachlose. Die schlafen sonst am Strand und wenn es regnet, kommen sie in die Stadt. Es waren wirklich extrem viele. Rio ist eine sehr reiche und zugleich sehr arme Stadt.

Das RAI-Team: Kameramann Georg Jocher, Redakteur Peter Thalmann, Cutter Hannes Depaoli, Redakteur Markus Kaserer

Ihr wart zu viert in Rio, zwei Journalisten, ein Kameramann und ein Cutter. Die „Laubensassa“ in der Südtiroler Tageszeitung sagte dazu, von Rai Südtirol seien mehr Leute in Rio als Südtiroler Athleten. War dieser Aufwand gerechtfertigt?
Wir haben täglich Beiträge für ein eigenes TV-Magazin nach der Tagesschau und für ein das Radiomagazin gestaltet. Da bräuchte es eher mehr Leute. Olympia interessiert die Menschen. Wir haben den öffentlich-rechtlichen Auftrag, darüber zu berichten, dann braucht es diesen Aufwand auch. Wenn ich sage, mir genügen die Ergebnisse, dann habe ich die nationale Rai. Dort höre ich Berichte über Cagnotto, aber werde nie erfahren, wie es Eva Lechner oder Alex Schwazer ergangen ist. Insgesamt waren 230 Rai-Mitarbeiter aus ganz Italien da. Die hatten alle gut zu tun.

Was bleibt von den Spielen?
Es wurde sehr viel von privaten Sponsoren gebaut. Dazu zählt etwa der Olympiapark vom Erdölkonzern Petrobras, dem die Anlagen jetzt auch gehören, und der sie weiternutzen oder verkaufen wird. Aber zum Beispiel das Velodrom oder die Mehrzweckhallen wird man kaum nutzen können. Und die U-Bahn ist immer noch nicht fertig.

Und aus Südtiroler Sicht?
Besonders Tania Cagnotto wird in Erinnerung bleiben. Sie hat ihren Sport vor allem in Europa geprägt, ist Weltmeisterin und zwanzigfache Europameisterin. Sie wird im Südtiroler Sport eine große Lücke hinterlassen, so eine Ausnahmeathletin ist für Olympia 2020 nicht in Sicht.

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