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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 09.04.2021
LeuteFilmemacherin Tatia Skhirtladze

Über Heldinnen

Veröffentlicht
am 09.04.2021
Vier Frauen revolutionierten in der Sowjetunion die männlich dominierte Schachwelt. Eine preisgekrönte Doku, die beim Bolzano Film Festival gezeigt wird, erzählt wie die vier zu Ikonen der Emanzipation wurden.
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Glory to the Queen

Weibliche Heldinnen sind mehr als Richtungsweiser oder Vorbilder. Weibliche Heldinnen lassen junge Mädchen träumen, zeigen ihnen, dass auch sie einmal alles werden können – Astronautinnen, Ingenieurinnen, Politikerinnen. Weibliche Heldinnen sind Grundpfeiler der weiblichen Emanzipation.

Das Drei-Millionen-Einwohner-Land Georgien im Südkaukasus hat in Nona Gaprindashvili, Nana Alexandria, Maia Chiburdanidze und Nana Ioseliani seine Heldinnen gefunden. Sie bekämpfen keine Bösewichte mit Maske und Umhang. Sie bahnen sich ihren Siegeszug mit Holzfiguren auf einem weiß-schwarz karierten Brett. Jahrzehntelang verteidigten die vier Georgierinnen etliche internationale Meistertitel im Schach und galten als weltbeste Schachspielerinnen. Durch ihre Erfolge wurden sie zu georgischen Ikonen, zu Heldinnen für eine ganze Reihe an Generationen nach ihnen. Unbeabsichtigt leisteten sie somit einen wichtigen Beitrag zur Frauenbewegung.

Der Dokumentarfilm beim Bolzano Film Festival „Glory to the Queen“ begleitet die alternden Frauen in ihrem Alltag, gräbt Erinnerungen an ihre wichtigsten Erfolge aus und folgt ihren Spuren im weiblichen Selbstverständnis der modernen georgischen Gesellschaft.

Mit ihrem ersten Film zeigt Tatia Skhirtladze, bildende Künstlerin aus Tiflis und heute in Wien lebend, die Geschichte und Gesellschaft Georgiens jenseits klischeehafter Perspektiven. Als junges Mädchen blickte Skhirtladze zu den vier Schachmeisterinnen auf; Jahrzehnte später rückt sie ihre Heldinnen wieder ins Licht – und gewinnt dafür den „Women in Film Best Pitch Award“ von EWA Network und Film Center Serbia.

Beim Bolzano Film Festival ist der Dokumentarfilm online vom 14.–18. April zu sehen.

Frau Skhirtladze, Gleichberechtigung war im Kommunismus ein wichtiges Schlagwort. Frauen wurden als gleichwertige Arbeitskräfte in der sowjetischen Propaganda dargestellt. Im Archivmaterial aus den 60er-, 70er- und 80er-Jahren, das Sie in ihrem Film immer wieder einblenden, werden die vier Schach-Ikonen jedoch als kochende Ehefrauen oder Blumenmädchen inszeniert. Hatte die Sowjetunion doch einen patriarchischen Blick auf Frauen?
Wenn es um Arbeitskraft ging, gab es Gleichberechtigung, weil man Arbeiterinnen gebraucht hat. Natürlich wurde es vom System geschätzt und propagiert, wenn eine Frau ein besonderes Talent zeigte, insbesondere, wenn sie aus einfachen Verhältnissen stammte, so wie es im Fall meiner Protagonistin Nona Gaprindashvili war. Doch Frauen wurden eher repräsentativ in den Vordergrund gerückt, das öffentliche Leben haben sie kaum mitbestimmt. Im Archiv sieht man zum Beispiel, dass eine Schachspielerin, Nana Iosseliani, als Preis eine Puppe überreicht bekommt. Ich bin überzeugt, dass es undenkbar wäre einem männlichen Elite-Schachspieler ein Spielzeugauto als Preis zu geben.

Welchen Stellenwert hatte Schach in Georgien zur Zeit der Sowjetunion?
Schachturniere waren wie eine Show: Man kaufte sich ein Ticket und ging in ein Theater oder einen Konzertsaal, um zu schauen, wie zwei Spitzensportlerinnen dort sitzen und nachdenken. Das hatte Unterhaltungswert, denn die Frauen hatten Talent und waren populär. Die Sowjetunion hat Schach als intellektuellen Sport unterstützt. Wie Schachhistoriker behaupten, haben die Revolutionsführer Lenin und Stalin ja auch gerne Schach gespielt. Es gab Schachclubs und die Trainer gingen in die Volkschulen, um dort Talente zu rekrutieren. Dabei ging es vor allem auch um den Wettbewerb gegen den Westen. Schach als strategisches Spiel war dafür ideal geeignet.

Wie steht es heute um die Bedeutung von Schach?
Heute ist Schach weltweit populärer denn je. Das liegt zum einen daran, dass wir uns im Dauerlockdown befinden und viele Leute Live-Spiele vor dem Computer verfolgen oder auf Online-Schach-Plattformen selbst spielen. Zum anderen hat die Netflixserie „The Queen‘s Gambit“ zum Schach-Boom beigetragen. In Georgien hatte und hat jetzt insbesondere Schach bei Frauen einen wichtigen Stellenwert, eben wegen der vier historischen Spielerinnen.

Spitzensportlerin in einer Männderdomäne

Aus anderen Ländern kennt man kaum weibliche Stars im Schach aus den 60er- bis 80er-Jahren. Im Wiener Schachclub war Frauen bis 1902 nicht mal der Eintritt gewährt. Warum ist gerade Georgien emanzipierter?
Georgien war eines der ersten Länder weltweit, in dem Frauen wählen durften. Was Schach betrifft: Laut georgischer Tradition wurde der Braut zur Hochzeit ein Schachset geschenkt. Ich würde das dem Einfluss aus dem Orient, vor allem aus Persien zuschreiben. [Von dort wurde das Schachspiel nach Europa gebracht, Anm. d. Red.]

Im Film erzählt Milunka Lazarevic, jugoslawische Schachspielerin, Schachjournalistin und Schiedsrichterin Anekdoten aus der internationalen Schachwelt und aus dem Leben der vier Protagonistinnen. Warum haben Sie gerade Lazarevic sprechen lassen?
Weil sie als „Scheherazade der Schachgeschichte“, wie sie sich nannte, die Bedeutung dieser Frauen knapp auf den Punkt zu bringen weiß. Sie wurde in meinem Film aber nicht nur zur Geschichtenerzählerin, sondern ihre Begeisterung für mein Projekt hat dazu geführt, dass die vier Protagonistinnen zugestimmt haben, mitzumachen.

Im Film lassen Sie immer wieder georgische Namensvetterinnen der vier Protagonistinnen sprechen, die erzählen, wie es zur Namensgebung kam. Was wollten Sie dabei vermitteln?
Diese Frauen machen den Film zu einer Reise durch das Land. Durch sie lernt man neue Generationen kennen und erfährt über die Lebensverhältnisse, die heute in Georgien für Frauen herrschen. Zum Beispiel die Drillinge, die erzählen, dass sie am Anfang anders hießen. Das sowjetische Frauenkomitee aber bat die Eltern um Umbenennung. Seitdem heißen die Drillingsschwestern Nona, Nana und Maia. Das gibt einen guten Einblick in das System damals. Danach erzählen sie, dass sie keine Arbeit haben: Eine Schwester ist eigentlich Pharmazeutin, die andere Pädagogin und hilft der dritten Schwester, ihr Kind großzuziehen. Eine weitere Lebensrealität von Frauen in Georgien verkörpert die Frau aus dem von Tschetschenen bevölkerten Pankisital, Nona. Sie erzählt, ihr Onkel habe ihr diesen Namen gegeben und er habe sie später auch verheiratet.

Die vier Schachmeisterinnen haben also auf viele Generationen nach ihnen gewirkt. Wie prägen sie das heutige Georgien, insbesondere die Frauenbewegung?
Die neuen Generationen kennen die vier Frauen kaum noch. Zwar sind sie VIPs und man lädt sie zu staatlichen Veranstaltungen ein, doch sind sie im öffentlichen Leben kaum mehr präsent. Für meine Generation, als die Meisterinnen noch aktiv spielten, waren sie Vorbilder, denn sie waren frei, selbstständig und erfolgreich. Sie haben uns viel Kraft gegeben für unseren Weg und unsere Entscheidungen. Leider wird über ihren Einfluss auf die georgische Gesellschaft und Emanzipation kaum diskutiert. Die vier Frauen waren sich dessen selbst nicht bewusst. Als sie den Film sahen, waren sie sehr überrascht über die vielen Namensvetterinnen. Ich glaube, mein Film kann den öffentlichen Diskurs stärker in diese Richtung lenken.

Warum haben Sie gerade dieses Thema für Ihren ersten Film gewählt?
Ausschlaggebend war für mich die Migration nach Österreich, als ich zum Studium nach Wien zog. Sobald ich sagte, dass ich aus Georgien komme, waren die ersten Assoziationen: Russland, Stalin, Sowjetunion. Nur einmal, als ich den Kulturgeschichtsforscher Ernst Strouhal kennenlernte, kam er sofort auf die Schachspielerinnen zu sprechen. Diese spannende Identifikation mit meiner Heimat über weibliche Schachspielerinnen hat bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen und später unter anderem auch zur Entscheidung geführt, einen Film darüber zu machen.

1975 Nona Gaprondashvili gegen Nana Alexandria: Rivalität und Solidarität unter Frauen

Durch Ihren Film treffen die vier Frauen Jahre nach ihrer aktiven Spielzeit nochmal aufeinander. Wie würden sie deren Beziehung zueinander beschreiben?
„Love and Hate“, sagt man auf englisch. Sie waren einerseits die größten Rivalinnen am Schachbrett, haben aber gleichzeitig im Team gespielt und Solidarität gezeigt. Das ist auch im normalen Leben so. Der Film geht in diesem Aspekt über einzelne Biografien hinaus und erzählt von allen Frauen.

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