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Noah Ennemoser
Veröffentlicht
am 29.06.2020
LeuteInterview über Rassismus

„So etwas darf es nicht geben“

Veröffentlicht
am 29.06.2020
Der Bozner Bapa Dame Diop kämpft seit Jahren gegen Rassismus. In Südtirol ist man im Umgang mit Minderheiten zwar geübt, dennoch wird hier gerne in Gruppen gelebt.
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Bapa Dame Diop auf dem Waltherplatz in Bozen

Eine junge Frau hält ein braunes Wellpappschild hoch, worauf mit schwarzer Farbe „BLACK LIVES MATTER“ steht. Immer wieder nickt sie zustimmend in Richtung Rednerbühne auf dem Bozner Waltherplatz. Sie ist eine von rund 400 Menschen, vor allem Jugendlichen, die sich an diesem Nachmittag im Frühsommer in der Bozner Innenstadt versammelt haben. Sie sind hier, um für George Floyd und viele weitere einzustehen. Sie wollen ein Zeichen gegen Rassismus setzen. Rund um die Waltherstatue haben sich die Teilnehmer*innen im Abstand von einem Meter voneinander zu einem Halbkreis formiert. Viele der jungen Leute lachen und unterhalten sich belebt untereinander. Es ist aber vor allem Wut und Betroffenheit spürbar. Auf den Stoffbannern und Pappschildern, die sie in die Höhe halten, steht: „Rascism is a pandemia too“, „Non sono straniero sono stra nero“ oder „Schweigen bedeutet Mitschuld“.
Als über Lautsprecher eine Schweigeminute ausgerufen wird, knien sich alle unaufgefordert nieder. Nach einer Minute bricht einer aus den vorderen Reihen das Schweigen mit der weltweiten Protestparole: „I can’t breath!“ Augenblicklich stimmen alle mit ein.

Auch in Bozen fanden Anti-Rassismus-Demonstrationen statt.

Die ersten Redner*innen betreten die Bühne und betonen, dass der wahre Kampf gegen den Rassismus sich nicht hier auf dem Waltherplatz austrüge, sondern im Alltag eines jeden Einzelnen, dass unser aller Handeln jetzt gefordert sei. Einer von ihnen ist Papa Dame Diop, 51 Jahre alt und einer der Mitveranstalter. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und erzählt von verwehrten Rechten und fordert mehr Achtung und Wertschätzung. Der gebürtige Senegalese ist kein Unbekannter in der Szene, er ist einer, der schon seit Jahren vorausgeht im Kampf gegen Vorurteile, Diskriminierung und Rassismus. Über Brescia kam er 2012 nach Bozen, wo er eine Familie gründete und jetzt als Fabrikarbeiter und Gewerkschafter tätig ist. Nach seiner Rede nimmt er sich Zeit für ein Interview.

Die Redner*innen haben die Omnipräsenz des Rassismus hervorgehoben. Warum findet ein solches Zusammentreffen hier in Bozen erst jetzt statt?
Das stimmt nicht. Solche Veranstaltungen fanden bereits vor dem Tod von George Floyd statt, nur unter anderem Namen, „Nein zum Rassismus“ beispielsweise. Es fehlte lediglich die mediale Präsenz dazu. Als George Floyds letzte Worte um die Welt gingen, haben wir diese, wie viele andere auch, aufgegriffen und ausgelegt: Ich kann wegen des Rassismus nicht atmen, ich kann wegen der Diskriminierung nicht atmen und wegen der Gewalt ebenso wenig.

Was hindert dich am Atmen?
Zum Beispiel der Satz: „Wir vermieten nicht an Ausländer.“ In einem demokratischen Land wie Italien und hier in Südtirol darf es so etwas nicht geben. Der Staat hat die Aufgabe, gegen diese Art des Rassismus vorzugehen. Was soll das bedeuten, dass nicht an Ausländer vermietet wird? Ich werde von Betroffenen angerufen und erfahre von solchen Problemen. Meist haben die Wohnungsanwärter eine geregelte Arbeitsstelle. Sie zahlen wie jede*r andere ihre Steuern. Dennoch finden nur die Wenigsten eine Unterkunft. Sollten manche zu diesen Wenigen gehören, ist es nicht selten, dass sie außerhalb der Stadt und weit weg von ihrer Arbeitsstelle wohnen. Doch neben dieser Art der Diskriminierung gibt es noch viele weitere.

Welche?
In der Konvention von Straßburg aus dem Jahr 1992 wurde festgelegt, dass Ausländer, nach fünfjähriger Aufenthalt, an den Gemeinderatswahlen teilnehmen dürfen. Leider trat dieses Gesetz in Italien nie in Kraft.

Du darfst also nicht wählen?
Ich bin Afro-Italiener, ich habe mein Wahlrecht. Aber ich bin Aktivist für jene, die dies nicht können. Meine Freunde arbeiten hier, zahlen ihre Steuern, ihre Kinder besuchen die Schule und dennoch dürfen sie sich nicht an den Wahlen beteiligen. Sowas muss enden!

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Ich plane noch viele weitere Projekte dieser Art. Schon seit eineinhalb Jahren setzte ich mich für die Rechte von Jugendlichen ein. Ich bin daher viel am Bahnhofsgelände unterwegs. Viele sehen diese Jugendlichen als Eingewanderte, aber das sind sie nicht. Sie sind zu Schützende, in jedem Land auf der Erde. Sie verlassen ihre Heimat nicht grundlos. Es geht ihnen nicht um das Geld eines Staates oder der EU. Sie kommen häufig aus Kriegsgebieten und wünschen sich Würde und Freiheit. Um zu verstehen, welchen Problemen und Herausforderungen sie ausgesetzt sind, bringe ich ihnen Essen in den Park und treibe mit ihnen Sport. Aufgrund der Corona-Maßnahmen ist das zurzeit nicht mehr möglich, aber ich habe vor, so schnell wie möglich wieder anzufangen.

Wovon erzählen dir die Jugendlichen?
Viele wurden aus den Flüchtlingsheimen herausgeworfen, anscheinend hätten sie kein Aufenthaltsrecht gehabt. Wo sollen sie denn hin, wenn nicht auf die Straße? Zum Glück gab es während der Pandemie Auffangstationen. Aber was wird aus diesen Jugendlichen, wenn Corona kein so großes Thema mehr ist? Die Black Lives-Matter-Bewegung soll genau solche Probleme beleuchten, denn sie sind real.

Erlebst du unter den Menschen hier in Südtirol, die ja selbst eine Minderheit in Italien sind, mehr Toleranz?
Hier lebt es sich ruhig. Doch in den letzten drei Jahren, vor allem durch eine rechte Regierung, ist der Rassismus wieder erstarkt. Ihre Stimmen haben die Parteien auf Kosten der Minderheiten gewonnen. Plötzlich sprach man, nicht nur hier, sondern in ganz Italien, von „den Ausländern“ und der Hass wuchs und wuchs. Ich hoffe, dass wir dem durch solche Veranstaltungen entgegenwirken werden.

„Wir können nicht mehr atmen“: Demonstrantinnen gegen Rassismus und Diskrimierungen auf der Demo in Bozen

Was stellst du dir darunter vor?
Ein Leben zählt nicht mehr als das andere, eine Hautfarbe steht nicht über einer anderen. So habe ich es auch in Frankreich erlebt, wo ich von 2000 bis 2001 gelebt habe. Dort wird das Wort „Ausländer“ gar nicht gebraucht. In Frankreich wirst du als Person gesehen und nicht als Ausländer. Davon ist man hier noch etwas entfernt.

Was meinst du konkret damit?
Letzte Woche war ich beispielsweise in einer Bank, um einige Förmlichkeiten zu erledigen. Der Mann am Schalter fragte mich nach meiner Aufenthaltsgenehmigung. Ich gab ihm nur meine Identitätskarte, die italienische Staatsbürgerschaft besitze ich schon seit vielen Jahren. Der Mitarbeiter fragte aber erneut nach meiner Aufenthaltsgenehmigung. Er entschuldigte sich erst, nachdem ich ihn auf seinen Fehler aufmerksam gemacht hatte.

Was erwartest du dir von der Südtiroler Gesellschaft?
Leider definieren viele Südtiroler*innen die Migration durch den Bahnhofspark und verstehen dabei die wirklichen Probleme nicht. Anstatt auf Inklusion zu zielen, bilden sich Gruppen. Doch anstatt Seite an Seite zu leben, sollten wir miteinander leben.

Wie sollen wir im Alltag gegen Rassismus vorgehen, hast du einen Tipp?
Mache von deiner Stimme Gebrauch und vermeide gleichgültiges Handeln, denn Schweigen ist wie Beistand, nur für die falsche Seite.

Papa Dame Diop mischt sich wieder unter die Wütenden und Betroffenen der Veranstaltung. Es erklingt gerade der Schlussakkord des Songs „Where is the love“, der eifrig mitgesungen wurde. Es folgen die ersten Töne von afrikanischer Musik. Es bildet sich eine kleine Bühne, wo einige besonders Mutige vor den im Halbkreis stehenden Jugendlichen ihre Tanzschritte präsentieren. Viele jubeln. Vielleicht hatte Victor Hugo ja recht, als er sagte, dass Musik die Sprache sei, die wir alle sprechen.

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