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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 17.10.2016
LeuteInterview mit Pater Ulrich

Progressive Ansichten

Veröffentlicht
am 17.10.2016
Er war Kinderchirurg, ging ins Kloster und wurde Priester. Ulrich Kössler über das Klosterleben, fehlenden Priesternachwuchs und warum die Kirche das Zölibat überdenken sollte.
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Seine Primiz feierte P. Ulrich Kössler im Juli 2016 in der Stiftspfarrkirche des Klosters Muri-Gries in Bozen.

Ulrich Kössler, 41, ist seit sieben Jahren Teil der Klostergemeinschaft im Benediktinerstift Muri-Gries. Er studierte Medizin, promovierte 2002 und arbeitete danach in der Bozner Kinderchirurgie. 2009 ging er für eine Woche ins Kloster – und blieb. Vor wenigen Monaten wurde er zum Priester geweiht – als einer von nur acht in den vergangenen sechs Jahren.

Pater Ulrich, während der Fastenzeit vor sieben Jahren verbrachten Sie einige Zeit im Kloster. Was geschah in jener Woche mit Ihnen?
Die Woche hat mein Leben verändert. Schon zuvor war ich im kirchlichen Leben von Gries engagiert, als Ministrant und in der Jugendarbeit. Aber es war ein Durchschnittsglaubensleben ohne besondere Tiefe. Plötzlich hat sich ein neuer Weg aufgetan, die Sehnsucht hat mich nicht mehr losgelassen.

Was faszinierte Sie am Klosterleben?
Die Stundengebete, die Alltagsrituale und besonders das feierliche Singen der Psalmen. Das hat eine Leere in meinem Leben gefüllt. Danach überlegte ich, ob das Leben im Kloster etwas für mich wäre. Ich kam im Advent noch einmal eine Woche hierher, danach war alles klar. Ich hatte ein sehr offenes Gespräch mit Abt Benno, habe meinen Job gekündigt und bin eingezogen.

Sie konnten als Kinderchirurg vielen Menschen helfen. Warum waren Sie als Arzt unzufrieden?
Ich war nicht des Arztseins überdrüssig, die Faszination Kloster war größer. Die Erfahrung als Arzt ist kostbar für mein Leben als Mönch, dazu gehören vor allem Extremsituationen des Lebens wie Geburt, Krankheit und Tod. Und ich kümmere mich jetzt um meine kranken Mitbrüder.

Mit dem Eintritt wird der Novize aus seinem gewohnten Leben gerissen. Wie war das erste Jahr?
Das Noviziat war eine Herausforderung. Man ist sehr viel im Kloster und hat nur wenig Kontakt nach außen. Dafür hatte ich plötzlich sehr viel Zeit. Ich habe viel gelesen, meditiert, Orgelunterricht genommen und mich auf das Theologiestudium vorbereitet. Es war eine schöne Zeit. Ein Leben ohne Termine gibt es danach auch im Kloster nicht mehr.

Nach dem Noviziat studierte Pater Ulrich Theologie und wurde im Juni 2016 zum Priester geweiht. Heute ist er Kooperator in der Pfarre Gries und dort für die Kinder- und Jugendseelsorge zuständig. Er hat einen Lehrauftrag für Philosophie am Bozner Franziskanergymnasium, studiert Gregorianik, ist Kantor und Organist.

Warum gehen heute so wenige Menschen ins Kloster oder werden Priester? War es früher einfach normaler – bleiben jetzt nur die Berufenen übrig?
Das stimmt zum einen. Bis vor 30 Jahren war nicht jeder berufen, der ins Kloster ging. Die soziale Komponente, also die Absicherung, hat früher mehr gewirkt. Ich denke, die Zahl der Berufungen bleibt gleich, aber den Menschen fällt es schwerer, die Berufung wahrzunehmen und sich danach auch zu entscheiden. Der Mensch will sich alle Optionen offenlassen.

Sich ewig an einen Orden zu binden, ist ein großer Schritt …
Die Garantie, dass es klappt, habe auch ich nicht. Ich habe bei der Ewigen Profess versprochen, mich zu bemühen, aber was in zehn, zwanzig Jahren ist, kann niemand wissen.

Die Zahl der Neupriester in Südtirol liegt seit Jahren auf einem niedrigen Niveau. 2016 waren es zwei, 2014 einer. 2015 und 2011 waren Jahre ohne Priesterweihe. Es gibt immer weniger Priester und die wenigen verbliebenen werden immer älter: Zwei Drittel der 256 Diözesanpriester in Südtirol sind über 70. In Kösslers Kloster Muri-Gries leben elf Benediktiner, noch in den 1960er-Jahren waren es 40. Insgesamt leben in Südtirols Männerorden 180 Ordenspriester, 32 Ordensbrüder, 6 Theologiestudenten und 2 Novizen. In den Frauenorden leben 422 Schwestern, 417 davon mit ewiger Profess, und eine Novizin.

Bischof Ivo Muser weiht Ulrich Kössler zum Priester.

Was kann die Kirche tun, um mehr Priester zu gewinnen? Soll sie überhaupt etwas tun, oder wird Gott es richten?
Beides. Die Kirche könnte einen Teil beitragen und zeigen, dass das Leben in der Kirche eine gute Möglichkeit ist, glücklich zu sein. Es gibt viele Menschen, die für andere da sein wollen.

Was sollte die Kirche anders machen?
Man müsste das Ausbildungskonzept ändern. Die Priesterseminare sind leer, die Ausbildung am Priesterseminar ist überholt. Die Arbeitsbedingungen stimmen nicht mehr. Manche Priester sind für fünf oder sechs Pfarreien zuständig – da sitzt man nur im Auto. So kann ein Seelsorger nicht arbeiten. Man soll sich ja Zeit nehmen für die Menschen und nicht nur ein Sakramentenspender sein. Die Bezahlung passt auch nicht. Das Gehalt darf keine Motivation sein, Priester zu werden, aber wieso soll ein akademisch Gebildeter mit beträchtlich mehr als 40 Stunden pro Woche nicht auch mehr verdienen dürfen.

Ein oft genannte Forderung ist die Abschaffung des Zölibats.
Ordenspriester leben in der Klostergemeinschaft, da braucht es die Ehelosigkeit. Das war schon immer so. Für Weltpriester gilt die Ehelosigkeit aber erst seit dem 12. Jahrhundert, da sollte man die heutige Regelung überdenken. Das Frauenpriestertum wäre eine Chance für die Kirche. Die Pfarrgemeinden sollen außerdem wieder mehr Verantwortung tragen. Sie sollte überlegen, wer ein geeigneter Pfarrer für sie wäre. Es sollte wie in der alten Kirche sein, dass die Gemeinden jemanden begeistern und denjenigen dann auch als Pfarrer beauftragen, nicht der Bischof.

Das sind sehr progressive Ansichten, die in der Kirche nicht allen gefallen werden. Die Amtskirche spricht zwar schöne Worte, in der Sache aber geschieht wenig. Haben die Kirchenoberen Freude mit solchen Ansichten?
Sicher wird diese Ansicht nicht allen Oberen in der Kirche passen. Ich denke aber, es ist wichtig, die eigene Meinung und Überzeugung zum Ausdruck zu bringen.

Bei der Frage, wie man sich dem Abfall vom Glauben stellen kann, gibt es innerhalb der Kirche grundverschiedene Sichtweisen. Manche Priester gehen den umgekehrten Weg und sind deutlich konservativer.
Die Tendenz macht mir Sorgen, dass sich konservative Richtungen gerade unter jungen Priestern vermehrt finden. Damit wird der Kirche kein Dienst erwiesen. Alles was hinter das Zweite Vatikanische Konzil zurückwill, bringt uns als Kirche nicht weiter.

Was vermissen Sie von Ihrem alten Leben?
Manchmal das Ausschlafen in der Früh. Sonst eigentlich nichts.

Mit dem Eintritt ins Kloster verzichtet man auch auf Beziehungen.
Ich hatte bisher eher komplizierte Beziehungen, da verzichte ich nicht auf viel. Der Verzicht kann auch Befreiung sein. Die eigene Sexualität legt man an der Klosterpforte hingegen nicht ab, das ist nicht immer leicht. Die Ehelosigkeit ist ohnehin nicht das Schwierigste, die viel größere Herausforderung ist das Zusammenleben mit den Mitbrüdern. Man begegnet sich jeden Tag, das geht nicht immer konfliktfrei. Auch mit dem Gehorsam den Oberen gegenüber hat man oft zu kämpfen. Und nicht zuletzt mit dem Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes.

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