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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 24.10.2017
LeuteUnterwegs mit dem Pilzexperten

Kuhmaul und Judasohr

Veröffentlicht
am 24.10.2017
In Südtirol gibt es an die 5.000 Pilzarten. Pfifferling, Parasol oder Fliegenpilz sind bekannt, doch was ist mit dem Rest? Auf Exkursion mit dem Experten.
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Giftig oder essbar?

Eberhard Steiner klappt die Klinge seines hölzernen Taschenmessers aus und teilt den braunen Pilz in seiner Hand in zwei gleich große Teile. Der Filzröhrling verfärbt sein helles Fleisch innerhalb von Sekunden in ein dunkles Blau und sieht irgendwie unappetitlich aus. Dabei sagt die Verfärbung allein nichts darüber aus, ob ein Pilz essbar ist oder nicht. „Aber Filzröhrlinge wie dieser hier sind essbar“, sagt Steiner und reicht die Pilzteile in die Runde.

Eberhard Steiner ist Mikrobiologe in Innsbruck und Spezialist im Fachgebiet Mykologie. Eine Gruppe von Interessierten hat sich am Eingang des Vahner Sees um den Passeirer versammelt. Hier ist der Startpunkt ihrer gemeinsamen Wanderung, bei der sie Pilze bestimmen und der Experte deren Merkmale lehrt.

Obwohl es in Südtirol an die 5.000 Pilzarten gibt, kennen die meisten Menschen abseits von Pfifferling, Parasol oder Fliegenpilz nur wenige. Dabei trug bereits Ötzi vor 5.200 Jahren nicht nur einen Zunderschwamm, sondern auch einen Birkenporling bei sich. An ein Lederband gehängt, steht bis heute nicht mit Sicherheit fest, ob der Mann aus dem Eis den Pilz zur Wundheilung, zum Verzehr oder doch zur Zierde bei sich trug.

Hallimasch-Pilze

Auch in asiatischen Ländern werden Pilze seit Jahrtausenden nicht nur gegessen, sondern auch zur Heilung eingesetzt. „Wie lange es her ist, dass Pilze erstmals verspeist wurden, kann man aber nicht genau sagen“, meint der Experte. Was hingegen feststeht: Vor allem in Zeiten der Not war es nützlich zu wissen, welche zu den essbaren Pilzen gehören. Denn auch wenn kaum etwas anderes gedeiht – Pilze gibt es so gut wie immer.

Von den tausenden Pilzen sind nur etwa 35 Arten zum Verzehr geeignet und haben dabei auch noch einen außergewöhnlich guten Geschmack. Man nimmt an, dass an die hundert Arten giftig sind, zehn sogar tödlich. Die meisten sind aber einfach zu wenig untersucht, weiß der Pilzexperte. Daher sei es völlig legitim, dass viele Menschen in Zeiten des Lebensmittelüberflusses bei den wenigen typischen Arten bleiben. Was der Experte aber beobachtet, ist das steigende Interesse an den Pilzen.

Etwas mehr als zwei Dutzend Interessierte folgen Eberhard Steiner heute, als er am Rande des Vahrner Sees in den nebligen Wald spaziert. Am Waldrand bückt sich Eberhard. Inmitten eines Grasbüschels greift er nach einem schmalen Pilz. Dessen Hut tropft wie flüssiges Pech auf den Boden, als Steiner ihn anhebt. „Der Faltentintling“, sagt der Experte und zeigt das außergewöhnliche Gewächs in die Runde, „ein Verwandter des wohlschmeckenden Schopftintlings“.

In Verbindung mit Alkohol ist der Faltentintling giftig. Ein besonderer Stoff im Pilz hemmt den Alkoholabbau. Trotz geringem Konsum wird der Kater so um ein Vielfaches gesteigert. Dies wird auch als Antabus-Syndrom bezeichnet, nach einem Medikament, das man früher zur Alkoholentwöhnung bei Abhängigen einsetzte. Wie der Name verrät, stellte man mit den Tintlingen auch Tinte her. „Auf alten Dokumenten findet man oft sogar noch Pilzsporen“, erklärt Eberhard, klappt sein Messer wieder ein und wandert weiter.

Die kleinsten Pilze-Sammler

Wie ein Suchtrupp klettern die Jüngsten unter den Teilnehmern die mit Herbstlaub bedeckten Hänge hoch. Zurück kommen sie mit kleinen Behältern, gefüllt mit den verschiedensten Pilzen. Weil aus einem Exemplar rote Milch läuft, erkennt ein Kind seinen Fund auch gleich: „Das ist ein Reizger“, ruft es stolz. Neben Hut, Lamellen und Stiel sind Milch, Verfärbung oder die Farbe des Sporenpulvers signifikante Merkmale bei der Bestimmung. Auch der Geruch spielt eine Rolle. Während die einen nach Anis riechen, erinnert der Geruch der anderen nach Waschmittel oder Marzipan. Das Exemplar, das ich als erstes in den Händen halte, stinkt stark nach Fisch. „Gut erkannt“, lobt Eberhard, „das ist ein Milchbrätling.“ Beim Kochen vergehe der Gestank und ein köstliches Aroma bleibt.

500 Pilzarten erkennt der Experte mit freiem Auge. Den restlichen kann er die Gattung zuordnen. Auch wenn Eberhard Steiner sich seit knapp 20 Jahren intensiv mit Pilzen beschäftigt: Für eine genaue Bestimmung braucht er meist auch Buch und Mikroskop. Die Formen und Farben der Pilze haben ihn schon immer begeistert. Der Grund, warum er sich in Mykologie spezialisiert hat, ist einfach: „Ich wollte mich mit einem Thema beschäftigen, das es weltweit gibt.“

Von Skandinavien bis in südliche Mittelmeerregionen war der Mykologe bereits unterwegs, um Pilzarten zu bestimmen. Auch die Flora und Fauna dieser Gegenden kennt Steiner genau. Sehr viele Pilze stehen in Symbiose mit bestimmten Bäumen. So wie der Fliegenpilz, den wir unter einer Gruppe von Birken entdecken. „Die typischen Punkte auf dem Fliegenpilz sind Reste einer weißen Haut, die den Fruchtkörper umgibt, wenn er noch ganz jung ist“, erklärt Steiner und reicht den giftigen Pilz in die Runde. Früher schnitt man ihn klein und ließ ihn auf einem Teller, mit Milch und Zucker bedeckt, in der Küche stehen. „Man glaubte, das Gift töte die Fliegen“, erzählt der Experte. Das Gift hat die Fliegen allerdings nur berauscht. Gestorben sind sie, weil sie in der Milch ertranken.

Den Fliegenpilz kennen alle

Nach kurzem Fußmarsch entdecken die Teilnehmer das braune Pendant zum Fliegenpilz, den giftigen Pantherpilz. „Erkennbar ist er am Bergsteigersöckchen“, sagt Steiner und zeigt auf den Rand der Knolle am Stiel des Pilzes. Der erinnert an eine verrutschte Socke. Den besorgten Sammlern erklärt der Experte, dass die bloße Berührung von Giftpilzen laut derzeitigem Wissen nicht zu Vergiftungen führen könne. Erst wenn der Giftpilz in den Verdauungstrakt gerät, wird es kritisch. Daher sollte man beim Sammeln niemals unbekannte und daher möglicherweise giftige Pilze in den selben Korb geben wie Speisepilze. So besteht keine Gefahr, dass sich die beiden vermischen.

Kurz vor dem Ende der Wanderung um den See entdeckt der Mykologe ein besonderes Exemplar: Das Judasohr wird in asiatischen Gerichten, aber auch zur Heilung eingesetzt. Auf einem morschen Holunderstamm wachsen einige Exemplare der schrumpeligen, weinrot-braunen Pilze. Was an der Oberfläche wächst, ist dabei nur der Fruchtkörper. „Den eigentlichen Pilz sehen wir gar nicht“, sagt Eberhard und bricht ein Judasohr ab, „dieser befindet sich in Form eines Myzels im Stamm oder in der Erde“. Myzele sind wie ein Geflecht feinster Pilzfäden. Über einen Quadratkilometer groß und bis zu einigen Jahrhunderten alt können sie werden.

In Wasser eingeweicht verdreifacht sich die Größe des Judasohrs und seine Oberfläche wird glitschig. Würde man den Holunderstamm samt Judasohren mit in den eigenen Garten nehmen, könnte man sich noch jahrelang davon ernähren. Wer sich also mit Pilzen auskennt wie Eberhard Steiner, dem sichern violette Rötelritterlinge, Wieseltäublinge oder Kuhmäuler auch in Zeiten der Not bestimmt das Überleben.

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