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Thomas Tribus
Veröffentlicht
am 11.08.2014
LeuteAuf a Glas'l mit Alexander Indra

Im Schmelztiegel der Immigration

Veröffentlicht
am 11.08.2014
„Keiner wollte das Boot bergen“, erzählt Alexander Indra im Interview. Für seine Bachelorarbeit besuchte der Student Flüchtlingsorte in Süditalien.
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In den letzten Monaten gingen immer wieder Meldungen von Flüchtlingsmassen aus Nordafrika, die nach Europa wollten, durch die Medien. Es war Anfang des Jahres, als sich Alexander Indra entschied, seine Bachelorarbeit über dieses Thema zu verfassen. Er reiste für seine Recherchen unter anderem nach Süditalien, zu den Flüchtlingszentren Lampedusa und Cara di Mineo. Indra war auch während der Proteste in der Türkei in Istanbul und hat diese fotografisch festgehalten. Seine Arbeit fand so großen Anklang, dass sie in Ausstellungen in Meran, Bozen und Bologna gezeigt wurde.
Ich komme fünf Minuten zu spät am vereinbarten Treffpunkt an. Indra steht schon vor dem Café und begrüßt mich freundlich. Wir setzen uns in die Bar und bestellen beide einen Cappuccino.

Erzähl mal: Wieso hast du die Flüchtlingspolitik in Italien zum Thema deiner Bachelorarbeit gemacht?
Ich war mir anfangs nicht ganz sicher, worüber ich meine Arbeit schreiben sollte, deshalb habe ich angegeben, dass ich die Dynamik einer Reise oder eines Ortswechsels untersuchen wollte. Es hat mich schon immer interessiert, was mit einem Menschen passiert, der in eine komplett andere Umgebung, mit einer anderen Religion und Kultur, geworfen wird. Als die Medien im Frühjahr immer öfter von Flüchtlingsströmen aus Nordafrika berichteten, kristallisierte sich auch mein Thema heraus: die Immigration. Am Anfang habe ich hier in Südtirol recherchiert. Ich wollte aber immer nach Süditalien, dem Schmelztiegel der Immigration, wohin ich dann zusammen mit meinen Freunden auch gefahren bin.

Was habt ihr dort unten erlebt?
Wir begannen unsere Reise in Catania, im Osten von Sizilien. Schon am zweiten Tag sind wir in eine Situation geraten, die uns sehr bewegt hat. Wir waren vor Ort und haben die Telefonnummer einer Aktivistin in die Hände bekommen, die sich für Flüchtlinge in Süditalien einsetzt. Ich rief sie an und bat um ein Interview. Sie sagte mir aber, dass sie im Moment keine Zeit dafür hätte, da sie Bahntickets für 150 Flüchtlinge besorgen müsse. Sie klang sehr aufgeregt. Wir waren zufällig in der Nähe und so sind wir einfach zu ihr hingefahren. Als wir bei ihr ankamen, waren alle 150 Flüchtlinge schon weg, nur zwei von ihnen waren noch da. So kamen wir mit ihnen ins Gespräch. Einer der beiden erklärte uns, dass er ein palästinensischer Flüchtling sei und schon länger in Europa wohnen würde. Er sei hier, weil sich der Rest seiner Familie gerade auf der Überfahrt von Afrika nach Italien befinden würde. Er erzählte uns, dass er gerade den Funkkontakt zum Boot seiner Familie verloren hätte und sich große Sorgen machen würde, da sie sich seit acht Tagen ohne funktionsfähigem Motor auf hoher See befinden würden.

Warum wurden sie nicht von der Marine gerettet?
Das Problem war, dass sich der Kutter zwischen italienischen und griechischen Hoheitsgewässern befand. Dadurch schoben sich Griechenland und Italien gegenseitig die Verantwortung zu. Keiner wollte das Boot bergen.

Weißt du, ob das Boot gerettet wurde?
Wir begleiteten den Mann die folgenden Tage und hielten ihn über die neuesten Tweets der italienischen Marine auf dem Laufenden. Die berichtet auf Twitter nämlich, ob und wie viele Flüchtlinge sie bergen. Nach zwei Tagen gab es Berichte, dass die Marine ein Fischerboot mit 450 Flüchtlingen gerettet hatte. Auf dem Boot war auch die Familie des Mannes. Er war sichtlich erleichtert und dankte uns für unsere Hilfe.

Wie hast du das Erlebte wahrgenommen?
Als wir mitbekamen, dass die Leitung vom Satellitentelefon plötzlich tot war, hat uns das schon sehr mitgenommen. Die Dinge, die uns Betroffene erzählten, waren besonders schlimm für mich. Einer hat uns erzählt, dass er das schon das fünfte Mal mitmachte. Auch der bürokratische Aufwand hat mich sehr verwundert: Da streiten sich zwei Länder darum, ob man 450 Menschen rettet oder sie bei drei Meter hohen Wellen mit defektem Motor im Meer treiben lässt.

Du bist auch zu den Flüchtlingszentren gereist.
Ja, wir waren im Flüchtlingszentrum Cara di Mineo, in der Nähe von Catania. Es soll das größte Flüchtlingszentrum Europas sein. Es beherbergt im Moment über 4.000 Menschen. Dabei ist es nur für 2.000 Menschen ausgelegt. Das Zentrum liegt mitten im Nirgendwo, es ist elf Kilometer vom nächsten Dorf entfernt. Es ist eine alte Militärbasis, die zum Flüchtlingszentrum umgebaut wurde. Es ist zwar kein Gefängnis, die Flüchtlinge dürfen jederzeit raus, aber was will man da auch? Hier fängt die gescheiterte Politik an: Man gibt den Flüchtlingen keine Chance, sich zu integrieren. Man schafft eine eigene kleine Gesellschaft in der Gesellschaft. Normalerweise sollte es maximal drei Monate dauern, bis ein Asylantrag angenommen wird. Viele Flüchtlinge sind aber oftmals mehr als ein Jahr dort. Ich habe mit einem jungen Mann gesprochen, der seit elf Monaten darauf wartete, dass sein Antrag angenommen würde.

Warum dauert es so lange, einen Asylantrag durchzubringen?
Ich vermute einen wirtschaftlichen Grund dahinter. Wenn man bedenkt, dass es immerhin 500 bis 600 Arbeitsplätze in den Flüchtlingszentren gibt, dann ist der italienische Staat – besonders in wirtschaftlich mageren Zeiten wie diesen – ganz sicher nicht daran interessiert, diese aufs Spiel zu setzen. Da lässt man einen Flüchtling lieber ein paar Monate länger warten, als dass man ihm den Asylschein zur Weiterfahrt ausstellt.

Wie geht es den Flüchtlingen in den Flüchtlingszentren?
Ein Anwalt, der sich für Menschen dort einsetzt, hat uns erzählt, dass viele Flüchtlinge sagen, es ginge ihnen gut. Viele würden aus ärmsten Verhältnissen kommen und wären niedrige Standards gewohnt. Viele Lager werden aber kritisiert, da sie so abgeschottet sind. Manche Zentren gleichen einem Schmelztiegel: Es gibt sehr viele verschiedene Nationalitäten und Ethnien dort. Viele können auch nach einem Jahr noch kein Wort Italienisch, da ihnen der Kontakt zur Außenwelt fehlt. Flüchtlingen würde es normalerweise zustehen, 2.50 Euro pro Tag zu bekommen. Sie bekommen aber stattdessen ein Päckchen Zigaretten. Das spart Geld.

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