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Veröffentlicht
am 10.11.2020
LeuteStraßenzeitung zebra.

Die Hackerin

Veröffentlicht
am 10.11.2020
Softwareentwicklerin Patrizia Gufler aus Ratschings ist ein Technik-Nerd, ihr Steckenpferd heißt IoT: Internet der Dinge. Sie tüftelte bei IBM und gründete das Hacking-Event „Hack the Alps“.
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Die Arbeitszeit teilt sich Patrizia Gufler frei ein.

Dass ihr Herz für die Technik schlägt, wusste Patrizia Gufler schon als Mittelschülerin. Trotzdem riet man ihr bei der Berufsberatung zu Handelsoberschule oder Realgymnasium. Erst nach der HOB-Matura kam sie über eine Zwischenstation als Sekretärin bei der Firma Leitner mit Elektrotechnik und Informatik in Berührung. „Da hat es mich eiskalt erwischt!“, sagt die 32-Jährige. Ganz ohne Vorkenntnisse nahm sie in ihrem Jahrgang als eine von sechs Frauen das Informatikstudium an der Uni Bozen in Angriff und schloss es drei Jahre später als eine von zweien ab. Den Master hängte sie an der Uni Innsbruck dran, arbeitete nebenbei für ein Softwareunternehmen. Ihre Tage waren lang, die Nächte kurz. „Das hält man nur eine Zeit lang durch“, weiß die Informatikerin heute. In ihrer Branche müsse man aufpassen, neben all der Technikverliebtheit und dem Ehrgeiz auch noch Ruhezeit einzuplanen. Balance findet sie im Sport, beim Meditieren und in der Natur. So bleibt genug Energie für ihre große Leidenschaft: IoT – das Internet der Dinge. Dabei geht es um Technologien, die physische und virtuelle Gegenstände miteinander vernetzen und zusammenarbeiten lassen. Ein Beispiel ist das Navigationssystem im Auto, das mit anderen Autos verbunden ist, aber auch anhand von Handysignalen erkennt, wo sich Stau bildet.

Gufler arbeitete mehrere Jahre beim Softwarekonzern IBM.

Hacker in intelligenten Socken
Der Funke für IoT sprang bei einem Praktikum beim Softwarekonzern IBM in Stuttgart über: In einem Team junger, internationaler Studierender erarbeitete Patrizia Gufler Prototypen im Bereich Sensorik. Nach dem Praktikum reiste sie mit einer Freundin nach Las Vegas zu einem der größten Hackathons mit über 700 Entwickler*innen aus verschiedensten Ländern. „Beim Hacken denken die meisten gleich an Cyberkriminalität, aber es ist viel mehr als das“, erklärt die Informatikerin und erzählt von Hacker, die etwa Sicherheitslücken von Unternehmen ausfindig machen, um diese vor Angriffen zu schützen. Breiter auslegt bedeute ‘hacken‘ lediglich, dass technisch versierte Leute an der Lösung eines Problems tüfteln. Genau das passiert bei einem Hackathon. Bei diesen meist ein- oder zweitägigen Events stellen Unternehmen und Startups ihre Produkte zur Verfügung und laden Entwickler*innen dazu ein, sich damit zu beschäftigen, ihrer Kreativität und ihrem Einfallsreichtum freien Lauf zu lassen und so neue Lösungsansätze, Einsatzmöglichkeiten oder Kombinationen zu entwickelt. Meist in Teams werden Prototypen gebaut und nach Ablauf der Frist präsentiert. Die innovativsten Ergebnisse werden prämiert. Patrizia Gufler ist begeistert: „Für Unternehmen sind Hackathons sehr interessant, denn sie bekommen Inputs aus ganz neuen Richtungen und es entstehen oft unglaublich tolle Dinge!“ Auch für die Teilnehmer*innen sei so ein Treffen sehr bereichernd und der Spaß komme auch nicht zu kurz. Bei ihrem ersten Hackathon in Las Vegas hat sie mit einer Freundin intelligente Socken mit intelligenten Lampen kombiniert und einen Prototypen zum Erlernen von Tanzschritten gebaut, der über Lichtzeichen signalisiert, ob die gemachten Schritte richtig oder falsch sind.

Ein Backrohr lernt Rezepte
Später arbeitete Gufler einige Jahre für IBM in Stuttgart, baute deren IoT-Plattform mit auf, präsentierte Produkte auf den internationalen Technikmessen in Berlin, Hannover, Zürich, London und Las Vegas. Mit einem renommierten Kunden entwickelte sie ein intelligentes Backrohr. „Bei Haushaltsgeräten muss man sich fragen: Welchen Mehrwert hat es wirklich?“, sagt sie. So könne es zwar nett sein, vom Bett aus mit dem Handy die Kaffeemaschine einzuschalten, aber solange man die Tasse immer noch eigenhändig platzieren muss, könne man auch gleich den Knopf drücken. Ein Backrohr, das Rezepte lernt und dadurch genau weiß, wann es von Umluft auf Dampfen und dann zur Oberhitze umschaltet, das sei schon praktischer. Für Unternehmen hingegen habe IoT klare Vorteile. Ein Gerät, das mit dem Hersteller verbunden ist, liefert wertvolle Informationen: Darüber, ob und wie oft bestimmte Funktionen genutzt werden oder wie das Gerät instandgehalten wird. Lädt diese Möglichkeit nicht auch zum Missbrauch ein? „Ich sage nicht, dass dies geschieht, aber technisch wäre es möglich das Gerät nach einer gewissen Zeit etwa in den Wartungsmodus zu stellen“, weiß die Entwicklerin. Problematischer findet sie, dass der Mensch auch durch IoT immer gläserner wird. Und da kommen vor allem auch bestimmte Apps oder die Sozialen Medien ins Spiel, die mittlerweile in der Lage sind, ganze Gesellschaften zum Kippen zu bringen. Deshalb wünscht sie sich unbedingt mehr Medienerziehung in den Schulen, und sie empfiehlt den Film „The Social Dilemma“. Ihre Informationen und Nachrichten über die Lage der Welt bezieht Gufler aus bezahlten Zeitungsabonnements und sieht es kritisch, wenn Soziale Medien als Informationsquellen genutzt werden. Sie mahnt: „Wenn wir für einen Dienst, der mit großem Aufwand betrieben wird, nicht bezahlen, dann sind wir das Produkt.“

Rauchende Köpfe beim Hackathon

Frauen programmieren anders
Nach einigen Jahren in Deutschland war für Gufler klar: Sie will wieder nach Südtirol. Da der Bereich der Softwareentwicklung hierzulande klein und ein Angestelltenverhältnis für sie wenig attraktiv war, machte sie sich selbstständig. Sie weiß, was sie will: „Ich könnte nie ein ‚Coding Monkey‘, also reine Code-Produzentin sein. Ich brauche volle Flexibilität, Herausforderungen, angemessene Bezahlung und ich will von anderen Profis lernen.“ Fixe Bürozeiten sind ihr ein Graus. Deshalb arbeitet sie zuhause in Ratschings oder von unterwegs. Alles was sie benötigt, passt in die Laptoptasche. Die Kund*innen kommen nicht zu ihr, sie kommt zu ihnen. Gerade weil der Beruf als Informatikerin so viel Flexibilität ermöglicht, sei es auch ein idealer Beruf für Frauen. Dass sich noch immer so viele Mädchen und junge Frauen keinen technischen Beruf zutrauen, macht sie wütend und sie führt viel auf die fehlenden weiblichen Vorbilder zurück. Stereotype und veraltete Rollenbilder machten den Weg in die Technik für Frauen noch immer schwierig, dabei sei es wissenschaftlich bewiesen, dass sie dieselben Fähigkeiten besitzen wie Männer, oft sogar die besseren Voraussetzungen mitbringen. Aber es tut sich etwas. Auf dem Arbeitsmarkt sind Programmiererinnen besonders gefragt: „Frauen bringen andere Erfahrungen mit und denken auch beim Programmieren anders als Männer, das ist eine große Bereicherung und von vielen Unternehmen werden Informatikerinnen sehr gesucht.“ Patrizia Gufler will deshalb ein Vorbild sein, erzählt in Schulen von ihrem Beruf und motiviert Mädchen und junge Frauen in ihrem Umfeld dazu, eine technische Laufbahn anzustreben.

Wie Hacker in die Berge kamen
Zurück in Südtirol realisierte die begeisterte Hackathon-Besucherin dann auch einen lang gehegten Traum und gründetet gemeinsam mit Kolleg*innen den Verein „Hack the Alps“, dem sie seitdem vorsteht. Im September 2018 reisten fast 100 Teilnehmer*innen aus 17 Nationen zum 48-Stunden-Hackathon auf den Kronplatz. Eine Neuauflage war für 2020 geplant, wurde wegen Corona aber nur virtuell abgehalten. Das Ziel: Innovative Softwarelösungen für lokale Betriebe, Schulen und Gesundheitseinrichtungen im Kampf gegen das Virus. „Wir haben auch eine große soziale Verantwortung“ sagt Gufler. Die Technik und die Möglichkeiten seien wahnsinnig faszinierend. Es sei als Programmiererin aber nur schwer abschätzbar, was mit einem Code, einem neuen Produkt in der Zukunft passieren wird, wo es zum Einsatz kommen könnte und wie es Menschen oder der Umwelt auch schaden könnte. Deshalb geht es in Hackathos oft auch um gemeinnützige Projekte, wie bei jenem im März 2020. Spätestens in zwei Jahren soll es dann aber wieder einen echten Hackathon mit vielen Teilnehmer*innen aus dem In- und Ausland geben – mit Schlafsack, Laptop, Südtiroler Küche und analogem Bergpanorama.

Lisa Frei

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