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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 14.09.2017
LeuteInterview mit Johanna Mitterhofer

Die Gemeinden und ihre Asylwerber

Veröffentlicht
am 14.09.2017
Obwohl sie in der Flüchtlingsunterbringung kaum Kompetenzen haben, tragen Gemeinden dabei große Verantwortung. Eine junge Südtiroler Forscherin hat sich das genauer angesehen.
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Flüchtlinge in Tisens

„Man gewöhnt sich an die Situation, aber das Problem ist noch nicht gelöst“, sagt Johanna Mitterhofer und meint damit die Herausforderungen von Gemeinden, die Asylbewerber in der Europaregion beherbergen. Nach einem Anthropologiestudium in England ist Mitterhofer seit vier Jahren wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Minderheitenrecht an der EURAC Research in Bozen. Gemeinsam mit Politik- und Rechtswissenschaftlern bearbeitet sie Themen, die mit Herausforderungen und Chancen rund um alte und neue Minderheiten zu tun haben. Im Herbst 2016 hat die Pustererin eine Studie mit 16 Gemeinden aus Südtirol, dem Trentino und Tirol durchgeführt, die mit weniger als 25.000 Einwohnern durchschnittlich 38 Asylbewerber aufnehmen sollten. Was die Forscherin dabei wissen wollte: Wie gehen Bürgermeister und Bürgermeisterinnen in der Europaregion damit um, als letztes Glied in der Kette so wenige Kompetenzen zu haben, aber so viel Verantwortung zu tragen?

Was hat Sie dazu bewogen, diese Studie mit Bürgermeistern und Integrationsbeauftragten aus der Europaregion durchzuführen?
Im vergangenen Jahr waren Asylheime und deren Bewohner ständig in den Medien. Nachdem wir kurz vorher in der EURAC bereits eine Studie zu Integrationspolitiken in den Gemeinden durchgeführt haben, wollte ich in meiner eigenen Forschung noch genauer hinschauen. Vor einem Jahr hatten Südtirols Gemeinden nämlich noch nicht am SPRAR-Programm der italienischen Regierung teilgenommen. Den Bürgermeistern und Gemeinden wurde also einfach eine gewisse Anzahl an Asylbewerbern zugewiesen, mit denen es von heute auf morgen zu leben galt. Mich hat es einfach interessiert, wie man als kleine Gemeinde ohne Erfahrung mit Migranten mit so einer Situation umgeht und was Lösungen für gewisse Probleme sein könnten.

Ausschnitt aus der Studie

Bereits in der Einführung zu Ihrer Studie nennen Sie Zahlen: Mals hat 59 Asylsuchende auf nur knapp 5.000 Einwohner aufgenommen, Reith in Tirol 85 auf knapp 1.300 Einwohner. In den drei von Ihnen untersuchten Ortschaften im Trentino hingegen liegt der Prozentsatz der Asylsuchenden bei unter 0,6 Prozent. Was unterscheidet Tirol, Südtirol und das Trentino in ihrer Umgangsweise mit Asylbewerbern?
Im Trentino liegt der Fokus bereits seit Längerem auf der sogenannten „micro accoglienza“. Dort ist man sich sicher, dass es einfacher ist, Menschen zu betreuen und zu integrieren, wenn sie in kleinen Gruppen in kleinen Wohnungen selbstständig untergebracht werden. Das Gegenargument von Südtirol und Tirol war, dass diese Art der Unterkunft oft schwieriger zu managen und teurer sei.

Was war in den Ergebnissen schließlich besonders interessant für Sie?
Dass einige Bürgermeister, die am Anfang nicht überzeugt waren, nach dem Überwinden der Anfangsphase verstanden haben, dass die Realität weniger schlimm als gedacht war. Dadurch wurde mir klar: Sobald der abstrakte Begriff eines Flüchtlings zu einem konkreten Individuum wird, wird es viel einfacher, einen Zugang dazu zu finden.

Ist es deshalb vielleicht sogar sinnvoll, Gemeinden einfach zur Aufnahme aufzufordern?
Es ist bestimmt schwierig, wenn man wartet, bis sich alle freiwillig melden. Besonders, weil die Aufnahme von Asylbewerbern keine vorübergehende Situation ist. Mittlerweile ist diese Problematik Realität geworden und jede Gemeinde hat die Verantwortung, hier eine Rolle zu spielen.

Trotzdem werden den Gemeinden nicht wirklich Kompetenzen eingeräumt, oder?
Durch das SPRAR-Programm hat sich das seit meiner Studie bereits etwas geändert. Wenn vorher die Provinz die Asylbewerber verteilt hat, können die Gemeinden nun selbst mit einem eigenen Projektantrag zur Leitung und Führung eines Asylbewerberheimes teilnehmen. So kriegen sie die Kompetenz, die Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Konnten Sie in Ihrer Studie feststellen, wo die Probleme der Gemeinden im Umgang mit Asylbewerbern liegen?
Zentral waren Ängste, Vorurteile und zum Teil auch Rassismus von Seiten der Bevölkerung. Verständlicherweise hat man anfangs vor Fremdem Angst. Zudem war es für die Bürgermeister oft schwierig, die Bevölkerung zu informieren, da Zahlen und Fakten sich sehr schnell änderten und sie oft nicht wussten, an wen sie sich zur Information wenden sollten. Das hat Verunsicherung mit sich gebracht.

„Bürgerversammlungen sehe ich mit gemischten Gefühlen. Dort finden oft die Menschen eine Arena, die ihren rassistischen Ansichtsweisen Luft machen wollen.”

Es hapert also vor allem an der Kommunikation?
Genau. EU, Staat, Provinz und auch Gemeinden müssten zusammenarbeiten, tun es aber nicht ausreichend. Auch wenn sich der Austausch seit Beginn meiner Studie bestimmt verbessert hat, braucht es strukturierte Netzwerke mit regelmäßigen Treffen, während dieser man sich in einem geschützten Raum austauschen kann.

Sie sprechen von Bürgerversammlungen?
Nein, nicht direkt. Eher von Versammlungen unter Bürgermeistern, bei denen man sich austauschen und verstehen kann, warum etwas in einer anderen Gemeinde vielleicht viel leichter funktioniert hat als in der eigenen. Bürgerversammlungen sehe ich mit gemischten Gefühlen. Dort finden oft die Menschen eine Arena, die ihren rassistischen Ansichtsweisen Luft machen wollen. Andererseits sind es wichtige Momente, in denen viele Menschen erreichen und sachlich informieren kann. Außerdem können die Bürger in einem kontrollierten Rahmen alles loswerden, was sie sagen wollen.

Denken Sie, dass solche Situationen von Politikern auch zu Wahlzwecken ausgenutzt werden?
Leider haben viele Politiker Angst, mit einer positiven Einstellung gegenüber dem Ganzen eher Wähler zu verlieren als sie zu gewinnen. Es gibt ganz wenige Bürgermeister, die prinzipiell gegen die Aufnahme von Flüchtlingen sind. Genauso wenige gibt es aber auch, die von Anfang an proaktiv für die Aufnahme von Flüchtlingen sind.

Forscherin Johanna Mitterhofer

Haben die von Ihnen befragten Gemeinden auch Lösungen für die genannten Probleme erwähnt?
Alle haben gemeint, dass man als Bürgermeister trotz eigener Ängste und Vorurteile eine Vorbildfunktion hat und deshalb selbstbewusst auftreten und gemeinsam mit der Bevölkerung nach Lösungswegen suchen muss. Die Bevölkerung zu informieren und offensiv und proaktiv auf sie zuzugehen, sei zudem wichtig. Außerdem war es für alle Bürgermeister wichtig, sich einen Unterstützerkreis aufzubauen und transparent mit diesem umzugehen. Von vielen wurde aber nach wie vor angesprochen, dass man als Gemeinde sehr von der Provinz abhängt und es dort noch große Lücken gibt. Sowohl fehle es an Transparenz als auch an einer proaktiven und offenen Haltung. In der Provinz sieht man die Situation heute noch eher als vorübergehenden Notfall als den heutigen Normalzustand.

Dabei haben viele ehemalige Asylbewerber mittlerweile bereits Aufenthaltsrecht. Ist Integration auch ein Thema in der Studie?
Natürlich. Ich habe herausgefunden, dass Integration bis zu einem gewissen Punkt einfach ist, aber dann schwierig wird. Anfangs finden sich eigentlich überall Menschen, die helfen und zu wichtigen Partnern nicht nur für Bürgermeister, sondern auch für die Provinz werden. Wenn die Asylbewerber oder Flüchtlinge dann aber Arbeit oder Wohnung suchen müssen oder versuchen, soziale Kontakte im Dorf oder in der Stadt zu finden, dann wird es oft schwierig. Es bleiben nach wie vor Parallelgesellschaften bestehen: Südtiroler, die nichts mit Migranten zu tun haben wollen, nehmen sie auch nicht wirklich wahr und lernen sie dadurch auch nicht als Mitmenschen, die Sorgen und Träume wie wir alle haben, kennen. Langfristig müssen Menschen, die hier leben, arbeiten oder eine Familie haben, aber als Südtiroler anerkannt werden.

„Verantwortung sollte nicht nur auf die Gemeinden und deren Bürgermeister verteilt werden, sondern auch auf die einzelnen Bürger in der Gemeinde.”

Wie würden Sie an Stelle der Bürgermeister denn handeln?
Ich würde versuchen, anfangs so viele interessierte Menschen wie nur möglich zu finden, die mir helfen. Die freiwillige Zivilgesellschaft ist einfach sehr wichtig. Verantwortung sollte nämlich nicht nur auf die Gemeinden und deren Bürgermeister verteilt werden, sondern auch auf die einzelnen Bürger in der Gemeinde.

Wo sehen Sie die Zukunft?
In Zukunft muss man sich um die Menschen kümmern, die berechtigt sind, hier zu bleiben und folgedessen nicht mehr in den Strukturen bleiben dürfen. Wir müssen neue Wege finden, um mit Migranten umzugehen. In einer Gesellschaft, die sich verändert, müssen sich Dienste und Strukturen, aber auch Denkmuster und unser Verhalten eben auch verändern. Immerhin ist es heute die Normalität, dass nicht alle Menschen, die hier leben, Tschurtschenthaler heißen oder Ururgroßeltern hatten, die im gleichen Tal gewohnt hatten. Südtirol ist nicht mehr wie vor 200 Jahren. Aber vielleicht war es das auch nie. Vielfalt und Anders-Sein hat es immer schon gegeben. Früher war der „Ausländer“ vielleicht jemand aus dem Nachbardorf, der einen anderen Dialekt gesprochen hat. Oder der Italiener. Heute kommt „der Fremde“ halt von weiter weg.

Die Studie wurde in der letzten Ausgabe des Südtiroler Jahrbuchs für Politik „Politika“ veröffentlicht. Momentan forscht Johanna Mitterhofer zu Jugendlichen der sogenannten zweiten Generation und deren Arbeitssuche. Die Ergebnisse werden als Empfehlung für Politik und Ämter am Ende der Studie an diese übergeben. Außerdem soll es im nächsten Jahr eine Konferenz dazu geben.

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