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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 02.10.2018
LeutePlaudern mit dem Pilzexperten

Der Herr der Pilze

Veröffentlicht
am 02.10.2018
Steinpilz, Fliegenpilz oder „narrisches Schwamml“: Francesco Bellù kennt alle 6.000 Pilzarten Südtirols. Nur von Pilzrisotto hält er nicht viel.
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Francesco Bellù ist Mykologe und auf seinem Gebiet ein anerkannter Fachmann, wie es weltweit nur wenige gibt. Als Student in Padua beobachtet er, wie seine Kommilitonen am Campus Pilze sammeln, essen und krank werden. Er besorgte sich ein Buch über Pilze und versuchte, die Schwammelen zu bestimmen. So fing alles an. Bellù arbeitete als Onkologe am Krankenhaus Bozen und war bis zu seiner Pensionierung 2011 Direktor des Südtiroler Tumorregisters. Gemeinsam mit dem Mykologischen Verein „Bresadola“, dessen wissenschaftlicher Leiter er ist, stellt er einmal im Jahr in der Urania in Meran Pilze aus. Wir sind mit ihm durch die Ausstellung geschlendert.

Herr Bellù, hier sehen wir hunderte Pilzarten, die Sie und ihre Kollegen innerhalb von nur zwei Tagen gesammelt haben. Wie viele Pilzarten gibt es in Südtirol?
Südtirol ist eines der artenreichsten Pilzgebiete Europas. Es bildet die nördliche Grenze des Verbreitungsgebiets der mediterranen Pilze, die südliche Grenze der fennoskandinavischen Pilze, es gibt Pilze aus dem Westen und dem Osten. Hier kreuzt sich alles. Ich schätze, dass es hierzulande rund 6.000 Pilzarten gibt. Fast 5.000 haben wir bereits katalogisiert.

Wie viele davon sind essbar?
Sicher essbar sind sehr wenige. Um die 40 Arten hier in Südtirol.

Was heißt „sicher essbar“?
Bei vielen Arten gibt es Streit darüber, ob sie nun essbar sind oder nicht, weil sie Gift in kleinen Mengen enthalten. Von den meisten Pilzen weiß man nicht, ob sie essbar sind, weil niemand die chemische Zusammensetzung untersucht hat. Eine biochemische Analyse ist sehr teuer, kann einige tausend Euro kosten. Eine DNA-Analyse, mit der man die Art und die Verwandtschaft bestimmt, kostet hingegen nur zehn, zwanzig Euro.

Wie bestimmt man dann, ob ein Pilz essbar ist?
Einmal schaut man sich die Kulturgeschichte an. Pilze, die man immer gegessen hat, sind offensichtlich essbar. Probieren ist auch eine Methode. Viele tun das, und viele sind dann krank.

Das klingt nicht sehr wissenschaftlich.
Diese Methode ist auch nicht verlässlich, weil wenn ich eine kleine Menge des Pilzes esse und dann keine Vergiftungserscheinungen habe, heißt das nicht, dass der Pilz essbar ist. Die Menge macht das Gift. Risspilze etwa enthalten kleine Mengen Muscarin. Wenn ich ganz wenig von diesem Pilzgift zu mir nehme, wird mir nichts passieren. Wenn ich einen Kilo Risspilze esse, schaut die Sache anders aus.

Francesco Bellù und BARFUSS-Autor Matthias Mayr bei der Pilzausstellung in der Volkshochschule Urania in Meran

Wir sehen uns die Ausstellung an, und Bellù zeigt stolz die seltenen Exemplare der Sammlung, wie den legendären Bondarzewia mesenterica, auch Gemeiner Bergporling genannt, der am Stamm von Nadelbäumen wächst, einen Kaiserling (Amanita caesarea), sehr selten und wohlschmeckend, oder den berühmt-berüchtigten Grünen Knollenblätterpilz (Amanita phalloides).
Neben ihren vielfältigen Formen unterscheiden sich Pilze auch durch den Geruch. Der eine riecht nach Knoblauch (Knoblauch-Schwindling), ein anderer nach Anis (Grüner Anis-Trichterling) oder gar nach Aas (Tintenfisch-Gitterling).

Wie bestimmt man einen Pilz?
Der Pilz ist der Fruchtkörper des Myzels, der Pilzfäden im Boden oder im Holz. Der Fruchtkörper bildet Sporen, um sich zu vermehren. Ich schaue mir Form, Farbe und Größe an und ob die Lamellen den Stiel berühren. Wulstlinge zum Beispiel, zu dieser Gattung gehören Kaiserlinge, Knollenblätterpilze und Fliegenpilze, haben Hut und Stiel getrennt, sind also heterogen. Bei anderen sind Hut und Stiel verwachsen, was sich homogen nennt. Auch der Geruch hilft bei der Bestimmung. Die Oberfläche des Pilzes kann glatt sein, stachelig oder eine Mischung davon; an ihr finden wir Lamellen, Poren oder Röhren. Das sehe ich aber nur mit einer Lupe, sie ist das wichtigste Werkzeug des Mykologen.

Bellù braucht kein Vergrößerungsglas, denn er ist stark kurzsichtig. Wenn er einen Pilz bestimmt, schiebt er seine Brille auf die Stirn, hält den Pilz ganz nah an seine Augen und weiß in Sekundenschnelle die Art. Bei der Pilzausstellung in Meran sieht er sich stundenlang die Pilze an, die die Vereinsmitglieder in ganz Südtirol gesammelt haben, und ordnet sie zu.

Was ist das beste an den Pilzen? Das Sammeln, das Bestimmen oder das Essen?
Das Bestimmen. Essen ist sekundär. Die meisten kann man eh nicht essen, und auch der Nährwert der Pilze ist gering.

Was fasziniert Sie an den Pilzen?
Der Einfluss der Pilze auf die Umwelt. Die meisten Pilze, rund 80 Prozent, gehen eine Symbiose mit Bäumen ein und treten mit dem Feinwurzelsystem einer Pflanze in Kontakt. Mykorrhiza nennt man das. Sie sind ohne Baum nicht lebensfähig. Viele leben von abgestorbenem Baumbestand. Es gibt Pilze, die auf anderen Pilzen wachsen. Im Wald und bei den Pilzen ist alles miteinander verbunden.

Immer wieder kommt es zu Zwischenfällen mit Giftpilzen.
Ich war in Apulien auf einer Exkursion, als ein Herr zu mir kam, der sich mir als Direktor des dortigen Sanitätsbetriebs vorstellte. „Sie sind Pilzexperte”, sagte er, „bitte helfen Sie uns.” Im Krankenhaus gleich in der Nähe liege ein Mann, eine einflussreiche Person des Ortes, der wohl eine Pilzvergiftung habe. Er hatte Pilze gegessen, danach war ihm schlecht geworden, er schwitzte und konnte nicht mehr richtig sehen.

Also Gift?
Ich dachte gleich an eine Muskarinvergiftung. Ich habe mir die übriggebliebenen Pilze angeschaut und sofort gesehen, dass es Feld-Trichterlinge waren. Die sind klein, aber voller Muskarin. Sie verursachen Sehstörungen, Schweißausbrüche, Magenschmerzen und Durchfall. Es sind aber keine tödlichen Vergiftungen, nach ein paar Stunden ging es ihm wieder gut.

„Der Grüne Knollenblätterpilz war ein beliebtes Mittel für Giftmorde, weil Vergiftungserscheinungen erst bis zu zwölf Stunden nach dem Essen auftreten und man oft nicht mehr an die Pilze denkt.”

Wie kam der Mann zu den Pilzen?
Er erzählte mir, er habe ein verstecktes Plätzchen, das er immer komplett leerräumt. Er hat einfach angenommen, dass da alle Pilze gut sind. Völlig bescheuert. Solange nur ein paar wenige Trichterlinge unter den anderen waren, sieben oder acht, war es auch nie ein Problem. An jenem Tag aber gab es dort fast nur Feld-Trichterlinge, über ein halbes Kilo haben er und sein Vater gesammelt. Die konnten noch froh sein, dass nichts Schlimmeres passiert ist, es hätte ja auch ein Grüner Knollenblätterpilz dort wachsen können.

Der Grüne Knollenblätterpilz ist tödlich giftig?
Agrippina die Jüngere soll ihren Ehemann, den römischen Kaiser Claudius, mit einem Knollenblätterpilz vergiftet und getötet haben. Der Grüne Knollenblätterpilz war ein beliebtes Mittel für Giftmorde, weil Vergiftungserscheinungen erst bis zu zwölf Stunden nach dem Essen auftreten und man oft nicht mehr an die Pilze denkt.

Zwischendurch klingelt das Telefon. Es sind Köche eines Sternerestaurants im Pustertal, die mit Bellù eine Exkursion zur Pilzbestimmung unternehmen wollen. Sie wollen mehr über Pilze lernen, um besondere Speisen zu kreieren. Bellù begleitet sie gern, sagt aber auch, in ein paar Stunden lerne man nicht viel. Deshalb im Zweifel lieber Finger weg.

Wurden Sie schon einmal als Experte zu einem Giftmord gerufen?
Nein. Oft bei leichteren Pilzvergiftungen, zum Beispiel in Restaurants, aber nie bei Todesfällen oder gar Morden.

Also eher Verwechslungen als Absicht?
Pilze der Gattung Chlorophyllum, die Safranschirmlinge, sind giftig, aber leicht mit unseren Parasol oder Riesenschirmlingen (Macrolepiota procera) zu verwechseln. Ich sehe auch viele, besonders Touristen, die nach Steinpilzen suchen und den Gemeinen Gallenröhrling (Tylopilus felleus) finden. Der schmeckt sehr bitter und führt zu Magenverstimmuneng oder Magen-Darm-Entzündungen. Allein in Mitteleuropa gibt es etwa 500 Schleierlingsarten, weltweit mehr als 2.000. Bei diesen Pilzen muss man auf hundert verschiedene Details achten, um die Art korrekt zu bestimmen.

Gibt es in Südtirol auch Raritäten?
Wir haben vor einem Jahr in Castelfeder zum ersten Mal einen Chlorophyllum agaricoides (Geschlossener Safranschirmling) gefunden, einen afrikanischen Pilz. Eine andre Rarität ist Clathrus archeri, der Tintenfisch-Gitterling – ein tropischer Pilz, dessen Sporen von Insekten verbreitet werden und den wir in Welschellen in der Gemeinde Enneberg auf 1.400 Meter Meereshöhe gefunden haben.

„Es könnte sein, dass es in ein paar tausend Jahren keine Pilze mehr gibt, wie wir sie heute kennen.”

Gibt es auch Pilzarten, die verschwinden?
Ja natürlich, das ist ganz normal. Neue Arten werden hier heimisch, alte verschwinden, es entstehen auch ganz neue Arten. Wir beobachten außerdem eine Entwicklung von den Fruchtkörpern und ihren Sporen hin zu Pilzen, die sich in der Erde vermehren. Es könnte sein, dass es in ein paar tausend Jahren keine Pilze mehr gibt, wie wir sie heute kennen.

Es gibt auch halluzinogene Pilze. Was können Sie uns dazu sagen?
Nicht viel. Psilocybinhaltige Pilze enthalten Gifte, die auf das zentrale Nervensystem wirken. Die Toxine docken an bestimmte Rezeptoren an und führen zu Halluzinationen.

Die wachsen auch bei uns?
Ich habe wenige gesehen, aber ich weiß, dass Menschen sie suchen. Denen geht es dann oft schlecht, weil diese Pilze nicht leicht zu erkennen sind. Da kann einiges schiefgehen. Man findet diese Pilze oft auf mit Mist gedüngten Wiesen oder neben Kuhfladen, denn sie wandeln Pigmente aus dem Mist in Psilocybin und Psilocin um. Manchmal kommen Menschen zur Pilzausstellung und fragen nach diesen Funghetti.

Das Durchschnittsalter in eurem Verein ist recht hoch. Besteht Gefahr, dass das Wissen um die Pilze ausstirbt?
Es gibt viele Junge in Europa, die sich wissenschaftlich mit Pilzen beschäftigen. Da wird großartige Arbeit geleistet. Dank DNA und Molekularbiologie entstehen ganz neue Möglichkeiten. Auch ich bin in diesem Bereich aktiv.

Haben die Pilze Zukunft?
Wenn der Mensch sie lässt …

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