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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 08.01.2018
LeuteWeltreise mit Kind

Auf Lebensreise

Veröffentlicht
am 08.01.2018
Die Wohnung aufgelöst, das Auto verkauft: Mit einem One-Way-Ticket hat sich eine junge Familie aufgemacht, die Welt zu sehen.
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Julius Mulser und Christina Spiegelberger aus Kastelruth haben in ihrem Leben Platz gemacht für die Familie. Ihre Wohnung haben sie aufgelöst, das Auto verkauft. Alles, was sie noch besitzen, haben sie in fünf Kartons verpackt und zu einer Freundin in den Keller gestellt. Das ist genau ein halbes Jahr her. Den Rest ihres Besitzes haben sie auf drei Rücksäcke aufgeteilt, die sie seitdem zusammen mit Söhnchen Sebastian quer durch die Welt tragen.

„Ich war total unzufrieden mit meiner Arbeit, hatte keine Lust mehr, morgens aufzustehen und konnte weder Sebastian noch Christina so oft sehen, wie ich es mir eigentlich gewünscht hätte“, erinnert sich Julius Mulser an die Zeit vor dem Antritt der großen Reise. Gemeinsam mit seinem Bruder betrieb der 33-Jährige die letzten Jahre über eine Firma, die im Biomasse-Bereich tätig war. Er selbst arbeitete als Lkw-Fahrer. Viele Arbeitsstunden und wenig Zeit für seine Familie waren an der Tagesordnung. An einem Morgen im März entschied er, dass sich etwas ändern musste.

Sebastian ist am liebsten auf dem Roller unterwegs

Freundin Christina Spiegelberger, die aus Salzburg kommt, hat zu der Zeit nicht nur zwei Fehlgeburten, sondern auch die Hausgeburt ihres Sohnes Sebastian hinter sich. Mit der Arbeitssituation von Julius ist auch sie nicht zufrieden. Immer wieder lässt sich die gelernte Krankenschwester von reisenden Familien im Internet inspirieren. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten, begeistern sie.

„Das Modell, wie es Zuhause in Südtirol vielfach gelebt wird, ist absolut nicht meins“, erklärt Christina, „ich will, dass auch der Papa die Möglichkeit hat, sein Kind zu sehen.“ Da sie in der Vergangenheit selbst viel unterwegs war, schlägt sie Julius kurzerhand eine Weltreise mit Kind als Auszeit vor. Mit einem One-Way-Ticket nach Bali machen sie sich im Juni dieses Jahres schließlich auf die längste Reise ihres Lebens. „Mehr als zwölf Tage war ich vorher noch nie im Urlaub“, lacht Julius. Nach zwei Monaten auf Bali geht es für eine Woche nach Kuala Lumpur und anschließend für zwei weitere Monate nach Australien. Dort lebt die Familie im VW-Bus, den sie Wilma tauft.

Ihren Alltag ordnen Julius, Christina und Sebastian dem Rhythmus der Sonne unter – und sind glücklicher als je zuvor. „Wenn man der Natur so nahe ist, stellt sich die Frage: Was braucht man eigentlich wirklich?“, sagt Julius. Auf ihrer Reise wird Christina erneut schwanger. Weil ihr die Übelkeit während des Roadtrips zu schaffen macht, fliegt die Familie von Australien zurück nach Bali. Mittlerweile wohnt sie in einem kleinen Bungalow auf der Insel Koh Phangan in Thailand. Ihre Reise finanziert sie sich momentan durch Erspartes. Immer wieder treffen die drei auf Familien, die einen ähnlichen Lebensweg eingeschlagen haben. Gegenseitig motivieren sie sich, ihn weiterzugehen.

Wie viel Zeit man in Südtirol in die Arbeit investiert und wie wenig man dafür zurückkriegt, stehe in keinem Zusammenhang – da sind sich Julius und Christina einig. Schließlich fange das Leben nicht erst nach der Pension an. „Geld ist zwar wichtig, aber nicht die Essenz des Lebens“, sagt die 28-jährige Christina, „man kann auf so vielen Wegen seinen Unterhalt verdienen, wir müssen uns nur wieder öffnen dafür.“ Die Trennung von Leben und Arbeit ist für sie ein Paradox. Genauso wie der Verzicht auf die gemeinsame Zeit mit der Familie aufgrund der Arbeitszeiten. „Es muss sich etwas ändern in unserer Gesellschaft“, ist sich die Salzburgerin sicher.

Christina erzählt vom großen Stellenwert der Kinder in der asiatischen Gesellschaft und von der Kultur dort – man nehme sich mehr Zeit, miteinander zu sprechen. „Wenn man sich in Südtirol auf der Straße unterhält, zählt nur, wie viel Stress man gerade hat“, fügt Julius hinzu. Wer hingegen nichts tue und einfach nur lebe, werde mit Missachtung beäugt. Ein Grund, warum sich der Kastelruther nach der Entscheidung für die Weltreise oft fragte, was sein Umfeld wohl darüber denkt. „Man soll sich aber nicht bestimmen lassen davon, was die Gesellschaft von einem will“, resümiert der 33-Jährige. Er und Christina haben ihre Komfortzone verlassen. Sie kämpfen mit Sorgen und Ängsten. „Aber das gute Gefühl überwiegt“, sagt Christina. Angst werde nur in den eigenen Köpfen produziert, genauso wie die Sicherheit.

Keine Vorgaben, kein Zeitplan, kein Druck. Jeden Tag gestaltet die kleine Familie jetzt so, wie sie es will. „Das Schwierigste für mich war, auch einmal nichts zu tun“, meint Julius. Sein größtes Vorbild sei Sohn Sebastian. Mit seinen fast drei Jahren geht er mit der Situation am besten um. „Er geht auf alle zu, verständigt sich und vertraut. Außerdem beschäftigt er sich super mit sich selbst“, erzählt Christina. Zwei Schaufeln, ein Eimer, ein Auto und eine Trommel zählen zu seinen Spielsachen. Den Rest baut er sich unterwegs selbst. „Reisen mit Kind ist ganz leicht“, meint die junge Mama, „man muss sich nur etwas besser organisieren.“

Bald ist die Familie zu viert

Akribisch durchgeplante Tage kennt ihr Sohn nicht. Die Eltern wollen Sebastian in kein System hineindrängen. „Seine natürliche Begeisterung soll ihm erhalten bleiben“, sagt Christina. Ob Sebastian einmal in die Schule gehen wird, darf er selbst entscheiden. Auch sein zukünftiges Geschwisterchen wird selbst bestimmen, wo es geboren wird.

Wie sie die Geburt gestalten wird, weiß Christina noch nicht genau. Ihre Gedanken dazu teilt sie aber auf ihren Accounts auf Facebook, Instagram und Youtube mit der Welt. Als Blogger setzen sich die beiden Reisenden mit Themen auseinander, die sie im Alltag beschäftigen. „Vielleicht trauen sich so auch andere, etwas in ihrem Leben zu verändern“, erklärt Christina. Julius und sie wollen aufhören, zu jammern und zu kritisieren und als Vorbilder leben. Dafür sind sie auf eine Reise gegangen, die sie zurück ins Leben führen soll.

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