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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 09.01.2018
LeuteVom Leben auf einem Bein

„Wie fliegen“

Veröffentlicht
am 09.01.2018
Bei einem Motorradunfall vor zwei Jahren verlor Alex Enderle sein linkes Bein. Nun zählt er zu den besten Sledge-Eishockeyspielern Italiens.
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Er sitzt auf seinem 50er-Scooter und steuert auf die Kurve zu. Noch bevor er auf das entgegenkommende Auto reagieren kann, wird er zu Boden geschleudert. Dann erinnert sich Alex Enderle nur noch an höllische Schmerzen. „Ich habe meine Ferse von unten gesehen, mein Bein war in Fetzen“, erzählt er. Dabei will Alex an jenem Sommernachmittag im Juli vor zwei Jahren eigentlich nur Zeit mit seiner Freundin am Kalterer See verbringen. Ein vorbeifahrender Radfahrer bastelt aus seinem Raddress einen Druckverband und bindet ihn um das Bein des Burschen. „Non mollare“ ruft er und hält Alex mit seinen Worten bei Bewusstsein. Als der am nächsten Tag im Krankenhaus von Innsbruck aufwacht, hat er ein Bein weniger.

Es folgt eine anstrengende Zeit mit vielen Schmerzen. „Was mir über den Berg geholfen hat, waren die vielen Besuche meiner Freunde“, meint der Eppaner heute. Vier Monate musste er anschließend im Kurzentrum Bad Häring bei Kufstein verbringen. Dort lernte er viele Leidensgenossen kennen, unter ihnen der Südtiroler Maximilian Huber. Auch er hatte sein Bein bei einem Motorradunfall verloren.

„Es ist eine große Prozedur, bis die Wunde verheilt, man die Prothese bekommt und sich an das fremde Bein gewöhnt“, meint Alex. Anfangs sei es komisch und ungewohnt gewesen, ein solches Ding am eigenen Oberschenkel zu tragen. Man traue sich nicht, es zu belasten und es fühle sich an, als steige man ins Nichts. „Man kann sich gar nicht vorstellen, wie schwierig es ist, darauf laufen zu lernen und die Angst vor dem Fallen zu verlieren“, erklärt der 19-Jährige.

Dennoch hat er das Schuljahr trotz Fehlstunden mit ein paar Nachprüfungen gemeistert. Nun ist er in seinem Maturajahr und versucht herauszufinden, welches Studium das passende für ihn wäre. Seine Entscheidung macht Alex nicht nur von seinem Abschluss abhängig, sondern am meisten von seiner neuen Leidenschaft, dem Sledge-Eishockey.

Alex in Aktion

Noch während seines Kuraufenthalts in Bad Häring bekam er eine Nachricht von einem gewissen Christoph. „Anfangs, um mich zu fragen, wie es mir geht und mir Tipps zur Prothese zu geben“, erzählt der Eppaner, „aber bald schon habe ich verstanden, dass er mich gemeinsam mit den anderen Spielern eigentlich nur in sein Team holen wollte.“ Er grinst. Die Taktik, um sich starke, neue Spieler zu holen, ist immer die gleiche.

Als Sportbegeisterter lässt sich Alex zu einem ersten Training überreden und schwört sich danach, nie mehr hinzugehen. „Am Anfang fällt man ständig hin, hat Schmerzen durch den Aufprall und zu wenig Kraft, um richtig voranzukommen. Das ist ernüchternd“, erinnert er sich. Doch Christoph gibt nicht auf. Er motiviert Alex ständig neu zum Training, holt ihn von Zuhause ab und bringt ihn wieder zurück. Heute macht das meistens Alex’ Vater, der als Betreuer der Mannschaft South Tyrol Eagles immer mit dabei ist.

Alex mit Vater Philipp

Alex ist heute fürs Training nach Kaltern gekommen. Vor der Eishalle holt er den Sledge-Schlitten aus dem Kofferraum seines Autos. Eine Sitzschale mit Gurt aus Plastik ist auf einem silbernen Rahmen mit Beinschutz angebracht, darunter ein kleiner Kufenblock. „Der hier kostet zwischen 800 und 900 Euro“, erklärt er, hievt eine große Sporttasche auf Rollen aus dem Auto und rollt sie in Richtung Umkleidekabine. Wenn Alex geht, kann man kaum erkennen, dass unter seiner beigefarbenen Hose nur ein richtiges Bein steckt. Er humpelt kaum.

Seit knapp zwei Jahren spielt der Eppaner mittlerweile Sledge-Eishockey. Er spielt in seiner Mannschaft in Kaltern und bei den Eagles, die sich in der Italienmeisterschaft gegen zwei andere Mannschaften aus Turin und Varese messen. Auch in der Nationalmannschaft hat Alex mittlerweile seinen Platz gefunden. „Leider ist Sledge-Eishockey im Rest der Welt viel populärer als bei uns“, sagt er etwas enttäuscht.

Zwischen fünf und sechs Tagen pro Woche ist der junge Spieler auf dem Eis. Und das ist ihm immer noch nicht genug. Am liebsten würde Alex den Sport zum Beruf machen, genauso wie die Spieler von Mannschaften wie Kanada oder den USA. „Die gehen zwei Mal am Tag aufs Eis und gehören zu den Besten der Welt.“

Mit solchen Mannschaften misst sich auch das italienische Sledge-Hockey-Team immer wieder. Das nächste Mal in großer Ausgabe bei den 12. Winter-Paralympics im südkoreanischen Pyeongchang. „Normalerweise hätten wir keine Chance auf ein Treppchen, aber in diesem Jahr wurde die russische Mannschaft wegen Dopings disqualifiziert“, freut sich Alex. Nun besteht die Chance auf einen dritten Platz und 25.000 Euro Preisgeld.

Zu den Paralympics nimmt Coach Massimo Da Rin nur 17 Spieler mit. Seinen Platz im Kader muss sich Alex in den verschiedenen Testspielen gerade erkämpfen, zuletzt in Norwegen. Und weil er potentieller Paralympics-Teilnehmer ist, muss sich auch der 19-Jährige den Doping-Kontrollen stellen und jeden Tag angeben, wo er sich zu welcher Uhrzeit aufhält. „Die Geldstrafen, die auf Doping ausstehen, sind extrem hoch“, sagt er.

Alex vor seinem Unfall

Vor seinem Unfall waren Fitness, Radfahren und Laufen Alex’ Hobbies. Aufgrund seiner Prothese musste er diese Gewohnheiten nun etwas anpassen. „Aber solange die Batterie hält, ist alles gut“, scherzt er. Über Bluetooth kann er sein 37.000 Euro teures elektronisches Gelenk mit dem Handy steuern. So entscheidet Alex selbst, wie stark es beim Treppensteigen, Radfahren oder Snowboarden abbremst. Auch wenn die Prothese die Schrittbewegungen so perfekt als möglich nachahmt – mit einem normalen Fuß sei das trotzdem nicht vergleichbar.

Alex mit Prothese

In der Südtirol-Mannschaft ist der Eppaner kein Einzelfall. Zehn Spieler haben dort nur ein Bein. Alex ist der jüngste Spieler. Schnell und schwerelos fühle er sich, wenn er in seinem Schlitten sitze und über das Eis brettere. „Irgendwie fühlt es sich an wie fliegen“, meint Alex. In beiden Händen hält er einen Stock, mit dem er sich vom Eis abschubst. Am vorderen Ende haben die Stöcke eine Kelle zur Puckführung. Bis auf einen kleinen Unterschied beim sogenannten Icing sind die Regeln dieselben wie beim normalen Eishockey. Körperkontakt, Schnelligkeit und Athletik sind gefragt, um bei einem Spiel mithalten zu können. „Und am besten gute Bauchmuskeln“, lacht Alex.

Für sein Studium würde er am liebsten in Bozen bleiben. „Wien würde mir zwar auch gut gefallen, aber dort spielt die schlechteste Mannschaft Europas“, meint der Eppaner und grinst. Alex kann sich vorstellen, einmal als Physiotherapeut zu arbeiten. So könnte er seine Erfahrungen mit den Patienten in der Reha teilen und dadurch besser helfen. „Jemand mit zwei Beinen kann einem schließlich nie so gut zeigen, wie man mit einer Prothese laufen soll, wie ich es kann“, sagt Alex.

Wer Sledge-Eishockey einmal ausprobieren möchte, kann sich bei Alex melden. Zuwachs wird immer gesucht.

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