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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 18.11.2014
LeuteAuf a Glas'l mit Ariane Löbert

„Ich trage die Mauer in mir“

Veröffentlicht
am 18.11.2014
Ariane Löbert war 20, als die Mauer fiel. Nun erzählt die Wahlsüdtirolerin, was es bedeutet, als „Ossi" aufzuwachsen.
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Ariane Löbert im Jahr 1990, auf dem Foto über ihr: SED-Chef Erich Honecker.

Ariane Löbert wuchs in Potsdam im Schatten der Mauer auf. Sie erlebte die Wende und den Untergang der DDR hautnah und blieb auch nach 1990 im „Osten”. 2004 zog sie nach Bozen. Seither arbeitet sie als freie Journalistin unter anderem für RAI Südtirol. Ich treffe die Mutter einer Tochter in der Bar Picchio in der Quireinerstraße in Bozen und wir probieren, wie ein Veneziano mit Campari schmeckt.

Wie hast du den Mauerfall erlebt?
Ich habe mein ganzes Leben in Sichtweite der Mauer verbracht. An dem Tag aber war ich zweihundert Kilometer weit weg, mit Kollegen auf Außendreh im Harz. Ich habe damals für das Spielfilmstudio DEFA gearbeitet. Ich sah die berühmte Pressekonferenz, bei der Schabowski die Reisefreiheit verkündete, live im DDR-Fernsehen. Uns schien das aber eher unspektakulär. Wir haben noch die halbe Nacht diskutiert, wie das wohl werden wird, wie es in der DDR weitergeht und ob wir vielleicht noch vor Weihnachten reisen dürfen. Dann sind wir schlafen gegangen. Ich habe in dieser Nacht sehr gut geschlafen. (lacht)

Wann hast du von der Öffnung der Mauer erfahren?
Am nächsten Morgen wollten wir einen Ausflug machen. Als wir uns trafen, saßen ein paar vor dem Fernseher und sagten, die Mauer ist offen. Ich dachte erst, die spinnen, aber wir sahen tatsächlich, wie Menschen auf der Mauer saßen. Ich war fassungslos, wir waren alle fassungslos. Was fällt denen ein, die Mauer einzureißen, wenn ich nicht da bin, dachte ich.

Wolltet ihr nach Berlin?
Nach Berlin hätten wir ewig gebraucht, alle Straßen waren verstopft. Aber wir waren ja in der Nähe Westdeutschlands. Wir haben sehr lange diskutiert, manche hatten Angst, am Ende machten wir uns zu viert auf den Weg. Wir fanden einen Taxifahrer, der sagte: ‘Darauf warte ich schon den ganzen Tag!’ und los ging es auf Feldwegen durchs Sperrgebiet Richtung innerdeutsche Grenze. Und wir konnten nie ganz ausschließen, dass nicht plötzlich ein Grenzer mit Maschinengewehr hinter dem nächsten Busch hervorspringt.

Wie war der „Westen”?
Irgendwie eher unspektakulär. Man erwartet sich weiß Gott was, aber es sah alles irgendwie „normal” aus.

Was fällt denen ein, die Mauer einzureißen, wenn ich nicht da bin.

Bist du im Westen geblieben?
Nein, ich musste am nächsten Tag ja arbeiten. Das war ein Samstag. Anschließend fuhr ich nach Potsdam zurück, und am Abend wollte ich meine Familie bei Verwandten in West-Berlin treffen.
Die Mauer stand kaum zwei Tage offen, da warteten in Potsdam Busse, die uns in den Westen brachten. Es hätten genauso gut Ufos dort stehen können, die zum Mond fliegen, das wäre nicht weniger absurd gewesen. Später musste ich mit der S-Bahn weiter. Ich traf unterwegs einen West-Berliner, der sich Potsdam angesehen hatte und mir helfen wollte, mein Ziel zu finden. Ich wusste ja kaum, wo ich hin musste. Am Ende haben wir uns beide verfahren, und landeten in einer Kneipe. Von dort aus habe ich meine Verwandten angerufen, und meinem Papa gesagt: „Hallo, ich bin jetzt da”. Und in dem Moment bin ich in Tränen ausgebrochen.

Warum gerade da?
Mit den Worten „Ich bin jetzt da” habe ich erst begriffen, was geschehen war. Ich bin dann zu den Verwandten, da herrschte Totenstille! Alle waren in Schockstarre, auf jeder Beerdigung ist es lustiger. Es war einfach zu viel, und zu plötzlich. Wenn du Käfighühnern sagst, flattert mal, ihr seid jetzt frei, wissen die mit ihrer Freiheit auch nichts anzufangen. Es hat uns ja niemand ausgewildert.

War die Freiheit so, wie du sie dir vorgestellt hattest?
Sicher nicht. Denn du hast jetzt alle Möglichkeiten, aber du weißt nicht, wie du sie nutzen sollst. In der DDR war man überbehütet, der Staat kümmerte sich um alles. Das war nun nicht mehr so, und ich war ziemlich schnell arbeitslos. So was gab es bisher nicht. Plötzlich warst du auf dich allein gestellt. Es war Freiheit von allem, auch von jeglicher Sicherheit.

Gab es etwas, auf das du dich freutest, was du bisher nicht durftest?
Reisen! Ich war im Mai 1990 in Südfrankreich, das war unvorstellbar. Die Welt sehen zu dürfen, war ganz wichtig.

Aus den versprochenen „blühenden Landschaften” wurde nichts. Wolltest du, als du arbeitslos wurdest, in den Westen?
Nein, ich wollte im Filmbusiness bleiben, und das war in Berlin. Weggehen war keine Option. Ich hab mich durchgeschlagen. Ich hab aber auch seit damals, bis auf eine kurzzeitige Ausnahme, nie mehr eine fixe Stelle gehabt.

Wolltest du vor dem Mauerfall aus der DDR fliehen?
Das Wegwollen war ein ständiges Thema in unserer Familie, meine Eltern haben sich aber nie getraut. Mein Vater war Dissident, er war auch wegen Beihilfe zur Republikflucht verurteilt worden. Er hatte einem Freund bei einer Protestaktion geholfen, der kam dann für eineinhalb Jahre ins Gefängnis. Das war vor allem für meine Mutter abschreckend. Ich selbst habe aber keine besonderen Repressalien erlebt, es ging uns nicht so schlecht, als dass wir unbedingt abhauen mussten.

Wurdet ihr überwacht?
Wir wurden bespitzelt. Über meinen Vater gibt es eine Stasi-Akte, von der aber nur mehr ein Teil erhalten ist. Ob es über mich auch eine gibt, weiß ich nicht. Ich habe mich nie darum gekümmert. In diesen Akten steht ohnehin hauptsächlich Schwachsinn drin.

Die Erinnerung an die ehemalige DDR laviert zwischen Aufarbeitung der Taten eines Unrechtsstaates und „Ostalgie”. Wie siehst du das? Wird da eine Diktatur verharmlost oder war alles nicht so schlimm?
Es ist beides. Es war vielleicht weniger ein Unrechtsstaat als ein Willkürstaat. Die Rechtsprechung war absurd und wurde geändert, wie es den Machthabern in den Kram passte. Natürlich ist es Unrecht, die Menschen einzusperren und sie zu erschießen, wenn sie abhauen wollen. Ein größeres Unrecht kann es kaum geben. Mir wird jetzt erst deutlich, was für eine Verwüstung es in meiner Seele angerichtet hat, eingesperrt zu sein. Und wie sehr ich diese Mauer immer noch in mir habe.
Davon abgesehen hatten wir aber alles, was man so braucht. Wir konnten innerhalb des Ostblocks reisen, wir waren nicht arbeitslos, jeder hatte genug zu essen, es gab keine großen sozialen Unterschiede, du bekamst einen Kindergartenplatz und einen Urlaubsplatz, du warst „versorgt”. Aber daneben gab es Leute, die unter dem Regime so massiv gelitten haben, dass ihnen nichts anderes blieb, als unter Einsatz ihres Lebens die Flucht zu versuchen.

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