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Matthias Mayr
Veröffentlicht
am 25.10.2017
LeuteInterview mit Alexandra Illmer

„Es ist ein nachhaltiger Ansatz“

Veröffentlicht
am 25.10.2017
Die Algunderin Alexandra Illmer arbeitet für das Kinderhilfswerk UNICEF. Sie will dazu beitragen, dass die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe reduziert wird.
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Alexandra Illmer

Alexandra Illmer stammt aus Algund, besuchte das Humanistische Gymnasium in Meran und studierte von 1998 bis 2003 Politikwissenschaft und Französisch in Salzburg. Ihre Diplomarbeit schrieb sie über die französische Entwicklungszusammenarbeit. Nach einigen Jahren Arbeit an der Uni und beim European Health Forum Gastein absolvierte sie ein Masterstudium in Entwicklungszusammenarbeit in London und arbeitete in diesem Bereich für Universitäten und Think Tanks.
Nach vier Monaten unbezahlter Arbeit in Kambodscha für die UN-Agentur UNAIDS für die Bekämpfung von HIV/AIDS (ohne Felderfahrung vor Ort ist es kaum möglich, eine bezahlte Stelle zu bekommen), bewarb sie sich 2009 beim Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF für einen Job in Burundi. Seit 2010 arbeitet Alexandra Illmer in verschiedenen Funktionen für UNICEF. Auf Burundi folgte Bangladesch, seit Jänner ist sie in Dschibuti.

Die UNICEF ist den meisten ein Begriff. Es ist aber auch eine Riesenorganisation, in der wohl nicht immer alles zum Besten steht. Wie ist es, für so einen „Konzern“ zu arbeiten?
Es ist in der Tat eine Riesenorganisation mit strenger Hierarchie. Ich habe mich anfangs etwas schwer damit getan, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt und Wege gefunden, wie man das System nutzen kann, um eigene Ideen umzusetzen. Man kann als Individuum immer versuchen, das Starre zu durchbrechen und im Rahmen seiner Möglichkeiten zu flexibilisieren.

Was sind deine Aufgaben bei der UNICEF?
Angefangen habe ich in der Evaluierung von Projekten und beim Aufbau von Monitoringsystemen. Ich habe sektorale Programme zu Bildung, Ernährung, Gesundheit, Wasserversorgung und Kinderschutz unterstützt. Jetzt bin ich Deputy Representative und damit für Programmkoordinierung allgemein zuständig. Ich leite das Team, das die Programme umsetzt und schaue, dass eine enge Zusammenarbeit und Kohärenz zwischen den Programmen da ist.

„Wir versuchen, die Kapazitäten der Regierungen zu stärken, damit sie dann alleine weitermachen können.”

Das klingt nicht nach Entwicklungsarbeit, wie sie sich Max Mustermann vorstellt.
UNICEF arbeitet in der Regel mit den jeweiligen Regierungen zusammen, um Systeme aufzubauen. Gesundheitssysteme, Bildungssysteme und so weiter. Es geht nicht um Projekte, bei denen für 30 Kinder eine Schule gebaut wird. Wir versuchen die Qualität von Bildung allgemein zu verbessern, zum Beispiel durch Lehrerausbildung zu neuen pädagogischen Methoden. Wir versuchen die Kapazitäten des Gesundheitspersonals bei der Behandlung von Kinderkrankheiten oder Mangelernährung zu stärken oder aber die Etablierung eines Netzwerks an Sozialarbeitern für den Kinderschutz zu unterstützen.

Habt ihr damit Erfolg?
Ich bin überzeugt, dass es ein nachhaltiger Ansatz ist. Ich sehe viele kleine Projekte, die zwar funktionieren, aber nur wenigen Menschen helfen und keine Wirkung über diese einzelnen Leute hinaus haben. Diese Projekte können durchaus Sinn machen, wenn sie gut durchdacht sind. Aber komplementär dazu braucht es die systemische Arbeit, die wir machen. Und wir versuchen, die Kapazitäten der Regierungen zu stärken, damit sie dann alleine weitermachen können.
Die Kindersterblichkeitsraten sinken, es findet eine Entwicklung statt. Halt nicht immer in dem Rhythmus, den wir uns wünschen würden. Und natürlich gibt es in manchen Ländern immer wieder Krisen, bei denen Kinder dann leider unter den ersten Leidtragenden sind und Fortschritte oft relativ schnell wieder zunichte gemacht werden. Burundi war auf einem vielversprechenden Weg und wurde dann wieder zurückgeworfen.

In Burundi gab es in den 1990er-Jahren einen schlimmen Bürgerkrieg, der abgeschwächt bis 2009 andauerte. Nach einigen Jahren des Aufschwungs ist das Land nach der Präsidentenwahl von 2015 wieder in eine Krise geschlittert und die angespannte soziopolitische Situation dauert weiterhin an.

Wie reagieren die Menschen und Staaten vor Ort? Seid ihr eine willkommene Hilfe oder empfindet man euch als Einmischung?
UNICEF ist in einer relativ glücklichen Situation: Die wenigsten haben etwas gegen ein Kinderhilfswerk. Wir versuchen, so apolitisch wie möglich zu sein und ich habe mich nie bedroht gefühlt.

Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF wurde 1946 gegründet und ist eine Unterorganisation der Vereinten Nationen (UNO). Erste Aufgabe war die Kinderhilfe nach dem Zweiten Weltkrieg, heute ist die UNICEF in rund 190 Staaten vertreten und unterstützt vor allem in Entwicklungsländern Kinder und Mütter in den Bereichen Gesundheit, Wasserversorgung und Hygiene, Ernährung, Bildung und Kinderschutz. UNICEF leistet in Notsituationen humanitäre Hilfe.

Wie viele seid ihr?
Das hängt vom Land ab, sowohl von der Größe des Landes, als auch von bestimmten Entwicklungsindikatoren wie Pro-Kopf-Einkommen, Kindersterblichkeit und so weiter. In Dschibuti mit seiner knapp einen Million Einwohner sind wir 25 bis 30 Personen im Büro, in Bangladesch mit 170 Millionen Einwohnern waren wir 200. Ich arbeite meist von der Hauptstadt aus, in größeren Ländern haben wir Feldbüros, in Dschibuti fahren wir einen oder mehrere Tage selbst hinaus aufs Land.

Wie finanziert ihr euch?
Jedes Länderbüro bekommt einen Beitrag vom Hauptquartier in New York, das ist Geld aus den Mitgliedsbeiträgen der Staaten und aus Spenden. Weitere Ressourcen muss jedes Büro selbst mobilisieren, von bilateralen Gebern, wie der italienischen Entwicklungshilfe, oder multilateralen Gebern. Außerdem gibt es in vielen europäischen Ländern – auch in Italien – die UNICEF Nationalkomitees, die Fundraisingaktionen machen. Die Büros in den Entwicklungsländern selbst nehmen keine Einzelspenden an.

Was muss man für den Job können?
Es gibt kein Rezept. Man braucht ein Studium und Felderfahrung. Viele Ärzte sind dabei, die umsteigen. Für Generalisten wie mich, mit meinem Studium, ist zum Beispiel der Bereich Monitoring naheliegend.

Seit Jänner bist du in Dschibuti, wie ist es da?
Heiß und trocken. Über 40 Grad im Sommer und kaum Niederschlag. Das Leitungswasser ist zu heiß zum Händewaschen. Die Stadt ist sehr, sehr ruhig. Im Vergleich zu Bangladeschs Hauptstadt Dhaka ist Dschibuti-Stadt ein Provinznest. Es gibt sehr wenig Verkehr, es ist recht verschlafen.

Wie ist der Alltag?
Von Arbeit und Familie geprägt. Ich habe im Grunde einen normalen Bürojob und verbringe die Abende mit Familie und Freunden. An Freizeitangeboten gibt es nicht viel. Manchmal ein Ausflug mit dem Boot am Wochenende, es gibt hier sehr schöne Inseln. Es gibt außerdem einen faszinierenden Salzsee, der schaut aus wie schneebedeckt.

Illmers Ehemann stammt aus Burundi. Sie hat ihn während des Studiums kennengelernt, die beiden haben eine gemeinsame Tochter.

Dein Mann managt die Umzüge.
Er macht weit mehr als das – er hat einerseits immer wieder Auszeiten genommen, um unserer Tochter den Einstieg in den Kindergarten oder in ein neues Land zu erleichtern, was für mich berufstechnisch nicht so leicht möglich ist. Andererseits hat er auch in allen Ländern, in denen wir bisher waren, gearbeitet: In Bangladesch hat er bei der französischen Handelskammer gearbeitet, in Burundi bei einer italienischen NGO.

Wie geht deine Tochter mit den Ortswechseln um?
Als wir ihr das erste Mal gesagt haben, dass wir von Bangladesch nach Dschibuti ziehen, hat sie mir gesagt „Ich werde dich vermissen, wenn du nach Afrika gehst, Mama“, weil sie wie selbstverständlich annahm, dass sie in Dhaka bleiben würde. Das war ihr Zuhause.

Dieses Leben wird man nicht ewig führen können?
Im Kleinkindalter ist es noch relativ einfach. In den ersten Monaten hat meine Tochter immer wieder gefragt, wann wir wieder nach Bangladesch gehen, aber sie hat dann bald neue Freundschaften geschlossen. Für einen Teenager wäre es sicher schwieriger, wenn man tiefere Freundschaften entwickelt. Aber ich kenne viele Kinder, die bis zur Matura mit ihren Eltern im Ausland leben. Sie gehen auf internationale Schulen, wo die Qualität passt und man später auf eine europäische oder US-amerikanische Uni darf. Ich habe einen Zweijahresvertrag in Dschibuti, wahrscheinlich werden es drei. Danach schauen wir weiter.

„Die beruflichen Möglichkeiten in meinem Bereich sind in Südtirol sehr beschränkt. Ich denke, wir würden uns als Familie in einem interkulturellem Raum wohler fühlen.”

Wäre die Rückkehr nach Südtirol eine Option?
Realistischerweise eher Westeuropa. Die beruflichen Möglichkeiten in meinem Bereich sind in Südtirol sehr beschränkt. Ich denke, wir würden uns als Familie in einem interkulturellem Raum wohler fühlen.

In Burundi verschlechtert sich die Sicherheitslage seit einigen Jahren wieder, bei einer Geiselnahme in Dhaka im Juli 2016 starben über 20 Menschen, davon neun aus Italien. Wie sicher fühlst du dich bei deiner Arbeit?
Das hängt vom Land ab. Der Anschlag in Bangladesch richtete sich ganz gezielt gegen Ausländer, das war in der ersten Zeit danach schon ein komisches Gefühl. Das war mir neu. Man musste aufpassen und sich an bestimmte Sicherheitsregeln halten, durfte zum Beispiel nicht in Parks oder Restaurants gehen. Das wurde aber mit der Zeit wieder gelockert. In Burundi, wo ich davor war, gab es zwar auch immer eine etwas unruhige Sicherheitslage, aber die richtete sich nicht speziell gegen Ausländer.

In welchem der drei Länder, in denen du gearbeitet hast, hast du dich am wohlsten gefühlt?
Am wohlsten habe ich mich in Burundi gefühlt, weil ich die Familie meines Mannes richtig kennenlernen konnte. Und das Land ist sehr schön, mit relativ guter Lebensqualität – wenn man auf eine regelmäßige Strom- und Wasserversorgung verzichten kann.

Entwicklungsarbeit allgemein: Was bleibt zu tun, was muss man verbessern, wo muss man ansetzen?
Man muss die Kapazitäten von Regierungen stärken, um fundierte Entscheidungen darüber zu treffen, wie sie ihre eigenen finanziellen Ressourcen gewinnbringend und zukunftsorientiert in in ihre Bildungs- und Gesundheitssysteme stecken. Das würde dazu beitragen, dass die Abhängigkeit von Entwicklungshilfe schrittweise reduziert wird. In Krisenländern mit sehr geringen Staatseinnahmen ist das besonders schwierig, aber in Ländern mit mittlerem Einkommensniveau ist das durchaus möglich.

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