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Judith Dietl
Veröffentlicht
am 10.12.2013
Leben

Zusammen weniger allein

Veröffentlicht
am 10.12.2013
Junge Menschen finden in Bozen kaum bezahlbare Wohnungen, ältere Leute fühlen sich oft einsam. „Vivere insieme“ bringt beide zusammen.
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Alma Ruatti (links) und Annamaria Celso.

„Sono contentissima. Almeno sono più sicura“, sagt Alma Ruatti. Immer wieder erzählt sie, wie zufrieden sie sei. Denn seit September hat die 81-jährige Boznerin eine Untermieterin: Die 31-jährige Annamaria Celso. Die junge Kalabresin geht mit Alma in die Kirche, setzt sich mit ihr vor den Fernseher, verbringt Zeit mit der älteren Dame. Dafür wohnt sie kostenlos bei Alma Ruatti – eine Wohngemeinschaft mit Vorteilen für beide Seiten.

„Vivere insieme – Jung und Alt wohnt zusammen“ nennt sich das Ganze und wurde von der Sozialgenossenschaft Socrates ins Leben gerufen. Die Idee dazu hatte der Koordinator, Stefano Di Carlo. Er kannte ähnliche Projekte aus Bologna und Mailand und fragte sich, „warum soll so was nicht auch in Bozen funktionieren?“ Die Mietpreise in der Landeshauptstadt sind, vor allem für junge Menschen, kaum bezahlbar. Und ältere Leute sind froh, wenn sie nicht alleine sind. Also startete Socrates 2005 mit „Vivere insieme“. Jedes Jahr hätten sie seitdem zwei bis drei dieser besonderen Wohngemeinschaften, sagt Di Carlo. Es sei nicht einfach ältere Menschen zu finden, die mitmachen wollen. Die Skepsis ist groß. Anfragen von jungen Leuten gebe es dagegen genug.

Familienanschluss inklusive

Annamaria Celso erfuhr durch einen Bekannten von dem Projekt. Sie erzählt ganz offen, was ihr anfangs durch den Kopf ging: „All'inizio pensavo soltanto ai soldi.“ Sie kommt trotz ihrer Arbeit als Lehrerin und zusätzlicher Supplentenstellen nicht über die Runden. Ein kostenloses Zimmer mit Nutzung von Bad und Küche kam da sehr gelegen. Mittlerweile, sagt sie, mache sie es nicht mehr wegen des Geldes; Alma Ruatti sei wie eine Oma für sie geworden, wie eine Art Ersatzfamilie. Ihre eigene lebt mehr als 1.000 Kilometer weiter südlich, in Kalabrien. Seit fünf Jahren ist die 31-Jährige in Südtirol, arbeitet als Religionslehrerin und studiert nebenbei am „Istituto Superiore di Scienze Religiose" in Bozen.

Die jungen Mitbewohner kommen meistens aus anderen italienischen Provinzen oder dem Ausland, erzählt Stefano Di Carlo. Es waren auch schon welche aus Kolumbien und Tunesien dabei. Für die jungen Leute bedeutet das Zusammenleben mit älteren Menschen nicht nur eine kostenlose Unterkunft, sondern auch Familienanschluss fernab der eigenen Heimat. Angst vor dem Zusammenleben mit einer älteren Dame hatte Annamaria nicht. Sie habe sich lediglich Sorgen gemacht, dass Alma sie nicht leiden könnte, sagt die Kalabresin.

Zeit zusammen verbringen

Damit so etwas gar nicht erst vorkommt, wählt der Socrates-Koordinator die Interessenten vorher aus, bringt sie zusammen, betreut die Wohngemeinschaften und hilft bei Konflikten oder Alltagsproblemen. Bis auf einen Ausnahmefall habe das Zusammenleben immer funktioniert, sagt Di Carlo. Auch Annamaria Celso und Alma Ruatti kommen gut miteinander klar. An den Wochenenden gehen sie oft zusammen einkaufen, frühstücken gemeinsam, gehen in die Kirche, machen einen Spaziergang. Unter der Woche ist die 31-Jährige dagegen selten zu Hause, am Vormittag arbeitet sie, am Nachmittag muss sie lernen. Für Alma kein Problem: „Telefono quando si manca“, sagt die ältere Dame und lacht. Die 81-Jährige erzählt vom Zusammenleben mit Annamaria, der Name fällt ihr nicht immer sofort ein. Das sei das Alter, sagt die Rentnerin. Neben ihr sitzt Tochter Renata, die sich mindestens genauso über den Familienzuwachs freut. Sie muss sich keine Sorgen mehr machen, dass ihre Mutter abends ängstlich in der Wohnung sitzt: „La mamma è molto affezionata ad Anna. Anche perché Anna è molto dolce."

Wenn Annamaria abends nach Hause kommt, verbringt sie Zeit mit Alma. Die beiden Frauen unterhalten sich über Gott und die Welt, sie lesen gemeinsam Zeitung, hören Musik oder schauen sich Telenovelas im Fernsehen an. „In cambio dell'affitto io faccio compagnia notturna“, erklärt die junge Kalabresin das Projekt.

Regeln fürs Zusammenleben

Das ist eine ganz wichtige Bedingung, sagt Stefano Di Carlo. Die Wohngemeinschaft vereinbart bestimmte Regeln, das ist auch in Studenten-WGs nicht anders. Wichtig bei „Vivere insieme" ist aber, dass die jungen Leute sich bereit erklären abends und nachts in der Wohnung zu bleiben, damit sich die älteren Mitbewohner sicher fühlen. Für Annamaria ist das kein Problem, sie geht ohnehin nicht gerne feiern. Und sollte es abends doch mal später werden, spricht sie sich vorher mit Alma ab. Wenn sie über Weihnachten oder im Sommer zu ihrer Familie nach Kalabrien fährt, kümmert sich Tochter Renata um die Mutter. Alles nur eine Frage der Organisation, sagen die drei Frauen.

Mit Annamaria und Alma haben sich zwei gefunden, die gerne Zeit zusammen verbringen und sich gegenseitig brauchen. Für die 31-Jährige ist es ein tolles Gefühl zu helfen, und wenn sie ihrer Mitbewohnerin nur ein Glas Wasser bringt: „Lei mi ringrazia, mi ringrazia tantissimo. È così bello“, sagt sie ganz begeistert. Und Alma fügt noch hinzu: „Contenta lei, sono contento io, contenta la figlia.“

Mehr Informationen zu „Vivere insieme" gibt es hier.

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