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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 13.08.2021
LebenSchwanger in der Pandemie

Wie man’s auch macht…

Die Schwangerschaft kann ein Minenfeld der falschen Entscheidungen sein - vor allem in der Pandemie. Klarheit schafft unsere Autorin und Dozentin für Hygiene und Prävention.
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Das allerletzte, was Sie jetzt brauchen, ist der x-te Beitrag zur Coronaimpfung. Er wäre auch hinfällig, weil sich von Hinz bis Kunz, von der Kolumnistin über den Künstler bis hin zum Klempner jetzt wirklich alle schon dazu geäußert haben. Seit die globale Public Health-Sphäre zu einem Gauditorium voller Gaukler, Gauner und Klugscheißer geworden ist, ist eine weitere Meinung einer weiteren Wissenschaftlerin das, was die Welt gewiss am allerwenigsten braucht. Deswegen lassen Sie es mich kurz machen: Es geht nicht um Sie, es geht nicht um Ihre Impfentscheidung, hier geht es jetzt ausschließlich um Schwangere. Um die geht es nämlich in der kollektiven Kakophonie der Schreier auf beiden Seiten deutlich zu wenig.

Die Schwangerschaft ist bekanntlich eine Zeit, die man vollständig ausklammern muss als Referenzrahmen für Normalerwachsene. In dieser Zeit gelten Regeln, die sonst nicht gelten. Urplötzlich sind Dinge gefährlich, die sonst völlig unbedenklich sind. Frische Erdbeeren aus dem Garten, ein Speckbrot zur Marende, das Handdesinfektionsmittel beim Bäcker oder das Katzenklo ausräumen zum Beispiel. Und hallo, warum wacht hier niemand auf und stellt endlich die richtigen Fragen: Wollen Katzen die Menschheit ausrotten und die Weltherrschaft an sich reißen? Ist Speck und Rohmilchkäse die geheime Biowaffe einer außer Kontrolle geratenen Kompatscherdiktatur, die die Weltbevölkerung erst halbieren und dann versklaven will?

Scherz beiseite, das mit dem Speck ist in Wirklichkeit sogar noch komplizierter, als eine simple Verschwörungstheorie: Gekocht tut er nichts, roh verzehrt kann er als Toxoplasmoseschleuder potenziell Schäden anrichten, wobei die Wahrscheinlichkeit der Übertragung aufs Baby mit Dauer der Schwangerschaft zunimmt, die Schwere des Krankheitsbildes hingegen abnimmt. Aspirin ist hingegen bis zur Woche 28 zweite Wahl, Desinfektionsmittel am besten immer ohne CMR-Inhaltsstoffe. Das mit Aspirin gilt allerdings nicht für Frauen, die das Risiko für eine Präklampsie haben und das sogar regelmäßig einwerfen, das mit dem Desinfektionsmittel gilt für alle, das mit der Katze und dem Speck wiederum nur für den Großteil aller Schwangeren, die Toxoplasmose-negativ sind.

Verwirrt? Ja, so ist eine Schwangerschaft nun mal: Ein Minenfeld an potenziellen Fehlentscheidungen und wehe, die werdende Mutter trifft eine falsche. Und jetzt auch noch die Pandemie.

Zwischen Infektion und Impfung ist Impfung das kleinere Übel. Das kleinere Übel ist aber in der Schwangerschaft nicht für jede Frau die bessere Wahl.

Nun kann eine Corona-Infektion in der Schwangerschaft nach aktuellem Stand der Wissenschaft mit einem potenziell schwereren Verlauf einhergehen, der eine intensivmedizinische Betreuung nötig machen kann. Sprich: Zwischen Infektion und Impfung ist Impfung das kleinere Übel. Das kleinere Übel ist aber in der Schwangerschaft nicht für jede Frau die bessere Wahl. Sondern nur für einige: Für solche, die ein hohes Expositionsrisiko haben, die Vorerkrankungen haben, deren Anamnese nach einer Kosten-Nutzen-Rechnung und der Frage, ob man die Impfung um ein paar Wochen bzw. Monate nicht aufschieben kann, deutlich zugunsten der Impfung ausfällt.

Die STIKO, ein Kürzel, das übrigens für „Ständige Impfkommission“ und nicht für „Ständige Opportunistenkommission im politischen Windschatten“ steht, hält sich seit Mai mit einer pauschalen Impfempfehlung für Schwangere (und auch für Kinder) zurück, weil die Datenlage noch nicht ausreichend beurteilt werden kann. Im Wortlaut: “Alleine auf Grundlage der kürzlich publizierten Beobachtungen aus den USA wird die STIKO keine generelle Impfempfehlung für Schwangere aussprechen. Der freien Entscheidung der Schwangeren für eine Impfung soll jedoch durch die aktualisierte STIKO-Empfehlung mehr Raum gewährt werden. Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem daraus resultierenden hohen Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung oder mit einem erhöhten Expositionsrisiko aufgrund ihrer Lebensumstände kann nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher ärztlicher Aufklärung eine Impfung mit einem mRNA-Impfstoff (Anm. d. A.: mRNA-Impfstoffe sind „Comirnaty“ von BioNTech/Pfizer und „Spikevax“ von Moderna) ab dem 2. Trimenon angeboten werden.”

Auch die WHO empfiehlt momentan nicht pauschal, sondern vordergründig bei Schwangeren nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung und bei bestehenden Vorerkrankungen die Impfung, die deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe spricht sich hingegen bereits seit Mai für eine Impfung in der SSW aus (gibt dabei interessanterweise aber nur den empfohlenen Impfstoff, allerdings keinen Zeitraum an). Die Staaten handhaben das nun wiederum grundsätzlich unterschiedlich, einige halten sich zurück, andere empfehlen die Impfung grundsätzlich und ohne Einzelfallentscheidung — ob sie das nun tun, weil ihnen die Datenlage ausreicht oder ob sie sich möglicherweise aufgrund anderer, z.B. wirtschaftlicher Überlegungen, der „Herdenimmunität“ auf Kosten von u.a. Schwangeren schnellstmöglich annähern wollen, bleibt dabei spekulativ.

Nach den bisherigen Daten scheint es, dass eine Impfung keine Folgen für Schwangerschaft, Ungeborenes und Mutter hat.

Und Italien? Italien stellt sein Fähnchen nach dem Wind — was der Prozesshaftigkeit der Wissensgenerierung über die Impfung gerecht wird — und hat jetzt erstmal für Schwangere die Impfung bis zum 30. September 2021 aufgeschoben. Bis dahin sollen Schwangere mit einer Bescheinigung vom Hausarzt testfrei ins Theater dürfen. Im Sinne der Public Health-Kriterien Sicherheit, Niederschwelligkeit und Effizienz ist das allerdings nicht die beste Lösung. Einfacher, unbürokratischer und sicherer wäre es, wenn der Mutterpass (den jede Schwangere in Italien ausgestellt bekommt) wie ein Greenpass gehandhabt wird — ohne zusätzliche Bescheinigung und Interaktion im Wartezimmer vom Hausarzt — und dass Schwangeren außerdem kostenloser Zugang zu Tests ermöglicht wird. Weil ob eine Schwangere positiv ist oder nicht, ist ja trotzdem eine wichtige Info für alle.

Nun bedeutet, etwas nicht sicher zu wissen, nicht, dass etwas schlecht ist. Es bedeutet einfach nur, dass im Moment nicht sehr viele belastbare Daten vorhanden sind und das ist das der Wissenschaft inhärentes Merkmal: Sie ist ein Prozess. Wissen wird generiert. Die aktuelle Datenlage im Moment hinsichtlich Schwangerschaft ist dabei nicht besorgniserregend, sondern beruhigend: Nach den bisherigen Daten scheint es, dass eine Impfung keine Folgen für Schwangerschaft, Ungeborenes und Mutter hat. Während das für viele ausreichend ist und deswegen auch einer Impfung von Schwangeren nicht grundsätzlich etwas im Wege steht, ist das kleine Wörtchen „scheint“ dabei der Knackpunkt, auf den die Wissenschaftler*innen im Moment in jeder Originalarbeit hinweisen und weswegen viele Ärzte das Abwarten empfehlen: Das sind erste Daten, wir brauchen noch mehr Daten.

Eine rezente große Studie weist etwa darauf hin, dass vor allem Daten zu Impfungen in den ersten Schwangerschaftswochen fehlen. Die oft zitierte Studie zugunsten einer Impfung erwähnt, dass sich ihre Aussagen vordergründig auf das dritte Trimester (28.- 40. SSW) beziehen — was man dringend präzisieren sollte, wenn man sie als Entscheidungsgrundlage hernimmt. Just gestern hat nun CDC wiederum in den USA aufgrund der zunehmenden Verbreitung von Delta eine Impfempfehlung für Schwangere ausgesprochen, wenngleich die Datenlage noch immer limitiert ist, aber doch stetig wächst, wie sie anmerken. Was Früh- oder Fehlgeburten angeht weiß man etwa schon mehr (nicht häufiger als bei Ungeimpften) als im Hinblick auf embryotoxische Folgen und zwar schlicht deswegen, weil die Gattung Mensch bekanntlich 40 Wochen das Baby im Bauch brütet.

Will umgerechnet auf die Impfsituation heißen: Jene, die vor kurzem entbunden haben, waren entweder noch nicht geimpft, weil bis zum Frühjahr die Impfung für Schwangere dezidiert nicht empfohlen war oder sind im dritten Trimester geimpft worden — deswegen fehlen belastbare Analysen von jenen, die im ersten oder zweiten Trimester geimpft haben, denn die sind jetzt vielfach erst im dritten. Die Datenlage hierzu wird allerdings laufend ausgewertet. Wo man sich, ich wiederhole es für alle, die vor lauter Pandemie auf dem ausgewogenen Auge blind geworden sind und nur noch schwarz-weiß lesen können, zwischen den unterschiedlichen Empfehlungen dennoch einig ist: Für Schwangere mit erhöhtem Risiko ist die Impfung die bessere Wahl.

Das Fehlen von belastbaren Daten ist Grund für Besonnenheit und besondere gesundheitspolitische Maßnahmen für Schwangere

Die gute Nachricht ist: Bald werden wir mehr wissen und belastbare Daten haben. BioNTech hat eine weltweite Studie mit Schwangeren begonnen und das Pharmakovigilanz- und Beratungszentrum für Embryonaltoxikologie „Embryotox“ führt aktuell Auswertungen und eine größere Erhebung mit dem Paul Ehrlich Institut durch, um das Sicherheitsprofil in Hinblick auf das ungeborene Kind zu untersuchen. Das Blöde ist: Das dauert noch. BioNTech erwartet Ergebnisse etwa für August 2022, Embryotox startet gerade erst los. Es ist allerdings zu erwarten, dass die STIKO ihre Empfehlungen schon früher anpassen wird, die nächste Überarbeitung der Empfehlungen hat sie bereits für Ende August angekündigt.

Das ist derweil kein Grund für hysterisches Geschrei oder Verschwörungstheorien, sondern ausschließlich Grund für Besonnenheit und besondere gesundheitspolitische Maßnahmen für Schwangere: Dass Frauen mit Mutterpass, denen ohne Vorerkrankungen und mit geringem Expositionsrisiko von der Impfung im Moment abgeraten wird, kostenlose Tests angeboten werden. Dass Schwangere von Arbeiten mit hohem Expositionsrisiko für die Zeit der SSW bezahlt freigestellt werden oder ins Homeoffice können – das sollte bei Wunsch auch für geimpfte Schwangere gelten, denn auch unter vollständig Geimpften kann es potenziell zu sogenannten Impfdurchbrüchen, also einer Infektion, kommen. Dass ihrer besonderen Situation und der besonderen Sorge für den Fötus Rechnung getragen wird und differenzierte Aufklärungsgespräche und kein Bagatellisierungsblabla angeboten wird. Dass Schwangere mit einem erhöhten Risiko und solche, die sich auch ohne Risikoprofil impfen lassen wollen, weil sie sich damit sicherer fühlen, mit dem richtigen Impfstoff im empfohlenen Trimester geimpft werden. Dass es die Sicherheit gibt, dass nach der Impfung die Gesundheit von Mutter und Fötus engmaschig und bis nach der Geburt kontrolliert wird, was voraussetzt, dass es dafür Anlaufstellen und Fachpersonal gibt. Dass Sie als Nicht-Schwangere*r das tun, was Sie (hoffentlich!) auch mit ihrer Zigarette tun, wenn Sie eine Schwangere neben sich sehen: Werfen Sie Ihre Kippe weg und das Hirn an: Halten Sie sich an die AHA-Regeln, auch wenn sie geimpft, genesen, getestet oder von Gottes Gnaden sind.

Dass der Mann in der Medizin die Norm ist, bedeutet für Frauen Fehldiagnosen und falsche Medikation.

Um Schwangere indirekt zu schützen, macht es Sinn, dass sich enge Kontaktpersonen impfen lassen. Und natürlich müssen, wie es die Gendermedizin schon seit langem fordert, Frauen, Schwangere und Stillende endlich in der Entwicklung und Beforschung von Medikamenten berücksichtigt werden, weil dass der Mann in der Medizin die Norm ist, bedeutet für Frauen u.a. Fehldiagnosen und falsche Medikation. Und sie sollen nicht als Allerletzte berücksichtigt werden, irgendwann nach Phase drei, das Ding schon auf dem Markt geworfen und huch, da war ja noch was mit Frauen und Schwangerschaft und so, sondern prioritär bitte.

Und vielleicht könnte man, wenn man schon dabei ist, auch mal noch ein paar Infos für Desinfektionsmittelverwendung in der SSW ausweisen und ein paar Sensibilisierungsbildchen aufhängen, dass Schwangere nicht nur einen Sitzplatz, sondern auch besondere Vorsicht vonseiten ihrer Mitmenschen bezüglich Hygiene brauchen. Das wäre alles möglich, das wäre simpel, das wäre ein politischer Pappenstil und mit einem geringen Kostenaufwand verbunden, aber in der idiotisch verfahrenen Situation, in die wir uns hineinmanövriert haben, wird jede differenzierte Behandlung der Impfstoffe hinsichtlich Geschlecht, Alter und Zeitpunkt als Eingeständnis an Verschwörungstheorien fehlinterpretiert.

Deswegen schaffen wir nach einem Jahr Pandemie nicht mehr, was wir bei Nasenspray problemlos können: sachlich und ohne Schnappatmung das Für und Wider in der besonderen Situation Schwangerschaft abzuwägen, ohne in ein überhebliches Diktatur- oder Schwurbler-Geschimpfe, schwarz oder weiß, gut oder schlecht, zu verfallen. So bleibt kein Diskussionsraum mehr für essentiell zu verhandelnde Themen und Schwangere werden gezwungen, zwischen unterschiedlichen Empfehlungen eine Entscheidung zu treffen. Für die sie dann, wenn sie sich für das Warten auf nach der Geburt entscheiden, erstmal isoliert werden, auf eigene Kosten Tests machen müssen und blöd angemacht werden von jenen, die das für eine verantwortungslose Entscheidung halten. Andererseits bekommen die, die sich für die Impfung entscheiden, kaum Folgebetreuung und werden blöd angemacht von jenen, die das wiederum für eine verantwortungslose Entscheidung halten.

Was die Mamis auch machen, sie machen es mal wieder falsch und immerhin ist sich diesmal die Empfehlungslage so uneinig, dass das sogar stimmt. Es hat halt keine eine Glaskugel und weiß, ob das Abwarten die bessere Wahl oder ein Desaster wird. Aber egal wie sich eine Schwangere entscheidet, das eine gilt für beide: Dass sie im besten Willen, ihr Ungeborenes zu schützen, handeln. Und dass wir, auch wenn wir alle pandemüde sind und uns wünschten, dass die kompliziertesten Fragen mit einfachen Pauschalantworten zu lösen sind, im besonderen Fall der Schwangerschaft bis auf weiteres differenzierte Einzelfallentscheidungen ermöglichen und aushalten müssen.

Anm. der Autorin: Der Artikel beschäftigt sich nicht mit dem Thema Impfung in der Stillzeit, allerdings hält es die STIKO für äußerst unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für das gestillte Kind darstellt. Außerdem: Eine Impfung zu einem Zeitpunkt, an dem die Schwangerschaft noch nicht bekannt ist und nicht bedacht werden konnte, ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch

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