Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus
Es war mitten in einem der vielen Corona-Lockdowns, als Nina Schnider ihr Smartphone erschöpft zur Seite legte. Sie wollte informiert bleiben, doch was sie bekam, waren nur Infektionszahlenmeldungen und die Nachricht, wie katastrophal sich die Lockdowns auf die Psyche der Kinder auswirkten.
„Ja, den Kindern geht’s schlecht. Und was jetzt?“, dachte sich Schnider, selbst eine alleinerziehende Mutter. Dann bekam ihre Tochter Corona. Wieder vertraute sich Nina Schnider den Medien an, suchte im Internet nach den Schlagworten: „Corona Infektion, was tun“. Doch anstatt nützlicher Tipps für Betroffene wurden ihr nur Zahlen darüber geliefert, wie viele Menschen gerade hospitalisiert sind.
Nur zufällig erfuhr Schnider über Bekannte und Freunde von Nachbarschaftshilfen, ehrenamtlichen Projekten der Kinderbetreuung und verschiedenen Möglichkeiten medizinischer Versorgung. In den Medien hörte sie höchstens sporadisch von solchen zivilgesellschaftlichen Initiativen. Auch in den sogenannten Qualitätsmedien.
Etwa zur gleichen Zeit, im Jahr 2020, taten sich in Österreich mehrere Initiativen für soziales Unternehmertum zusammen, darunter Ashoka, der Impact Hub Vienna und das Social Entrepreneurship Network Austria (SENA). Ähnlich wie Nina Schnider, fragten sich auch die Social Entrepreneurs: Es wird so viel Nützliches und Positives auf die Beine gestellt, warum wird nirgends darüber berichtet?
Also starteten die Sozialunternehmer:innen eine Ausschreibung: Ein sogenannter „Impact Newsroom“ sollte geschaffen werden, eine Plattform, die nicht nur berichtet, sondern auch zum konkreten Handeln und Mitdenken anstößt.
„Wir wollen einen Mutausbruch für die Gesellschaft auslösen.“
Gemeinsam mit Lisa Binderberger bewarb sich Nina Schnider bei der Ausschreibung mit dem Projekt einer unabhängigen Online-Plattform für lösungsorientierten Journalismus. Und gewann. „Wir wollen einen Mutausbruch für die Gesellschaft auslösen“, steht heute auf der Homepage von „relevant.news“. Letzten Oktober ging das neue Medium an den Start.
Probleme ja, aber nicht ohne Lösungsvorschläge
Lösungsorientierter Journalismus: Was ist das, und was will der eigentlich?
Pionier dieser innovativen Form der Berichterstattung ist der amerikanische Journalist David Bornstein, der bei der New York Times die Kolumne „Fixes“ eingeführt hat. Hier berichten er und seine Berufskollegen seitdem von Lösungen für gesellschaftliche Probleme und davon, wie sie funktionieren.
Vom Erfolg der Kolumne überwältigt, haben David Bornstein und seine Mitstreiter 2013 das Solutions Journalism Network gegründet, eine Plattform, die in ihrem ambitionierten Ziel keine falsche Bescheidenheit zeigt: Es soll ein globaler Wandel im Journalismus stattfinden.
Auch Nina Schnider hat sich durch die Plattform inspirieren lassen. Sie hat Bornstein bereits 2015 kennengelernt, als sie noch für Ashoka, eine Non-Profit-Organisation zur Förderung von sozialem Unternehmertum, arbeitete. Schon damals, so erzählt sie, sah sie ihre Berufung darin, Menschen zusammenzubringen, um gemeinsam an Lösungen zu arbeiten. Als Projekt-, Kommunikations- und Kampagnenmanagerin hat Schnider demokratiepolitische Plattformen wie Demokratie21 und Österreich entscheidet mitbegründet. Weder sie noch ihre Mitstreiterin Lisa Binderberger haben einen journalistischen Hintergrund.
Dass hier nicht wieder irgendwelche Medienmacher:innen am Werk sind, die sich mit einem neuen Produkt kreativ austoben wollen, sondern Menschen, die vor allem selbst Nachrichten konsumieren, merkt man am Aufbau der Beiträge, die fast immer mit konkreten Handlungsoptionen oder mit nützlichen Links für die Leser:innen enden.
Wenn etwa vom Hausärztemangel in Österreich berichtet wird, erfährt man zunächst vom Problem: Wie viele Ärzt:innen fehlen zurzeit und welche Folgen hat das? Das kennt man auch aus anderen Medien. Doch wo eine konventionelle Nachricht aufhören würde, fängt der lösungsorientierte Beitrag erst an. Er zeigt auf, welche konkreten Lösungen es gibt und wie sie funktionieren, führt Belege für ihre Wirksamkeit an und nimmt eventuelle Schwachstellen unter die Lupe.
Im Fall des Hausärztemangels bestehen die Antworten auf das Problem unter anderem in einer facharztäquivalenten Vergütung und in der Erhöhung der Attraktivität des Jobs bereits in der Ausbildung, wie es beim Projekt „Landarzt Zukunft“ der Medizinischen Uni Graz geschieht. Hier können Studierende im Rahmen einer mehrwöchigen Lehrpraxis Hausärzt:innen mit Ordinationen im Oberen Ennstal und der Südoststeiermark durch den Praxisalltag begleiten.
„Es wird schon so viel richtig gemacht“, sagt Nina Schnider mit Nachdruck. „Oft muss man die Ideen nur noch hernehmen und kopieren.“ Doch dazu brauche es eben eine Plattform, wo das, was gut läuft, anschaulich vorgestellt wird. Was die Uni Graz vorbildlich macht, könnte dann bald auch schon in Wien oder in Südtirol umgesetzt werden.
Die neue W-Frage: Wie geht es weiter?
Vom konstruktiven Journalismus, der vor allem im skandinavischen Raum gepflegt wird und der den etwas allgemeineren Anspruch hat, ein demokratisches Narrativ zu stärken und für etwas einzustehen anstatt nur gegen etwas zu sein, unterscheidet sich der lösungsorientierte Journalismus vor allem durch seinen klaren Aufbau. Ein klares Problem-Lösung-Potential-Muster ist erkennbar.
„Zusätzlich zu den klassischen W-Fragen – Was?, Wer?, Wie?, Wann? und Wo? – stellt er [der konstruktive Journalismus] auch die Fragen: Warum? und Wie kann es weitergehen?“
Gemeinsam ist beiden Strömungen der Anspruch, die herkömmlichen Formen der Berichterstattung nicht zu ersetzen, sondern zu ergänzen. Maren Urner, Co-Gründerin des deutschen Online-Magazins für konstruktiven Journalismus Perspective Daily, beschreibt es so: „Zusätzlich zu den klassischen W-Fragen – Was?, Wer?, Wie?, Wann? und Wo? – stellt er [der konstruktive Journalismus] auch die Fragen: Warum? und Wie kann es weitergehen?“
Wer bezahlt den Aufwand?
Das stärkste Argument für lösungsorientierten beziehungsweise konstruktiven Journalismus ist vielleicht auch seine größte Schwäche. Die Frage nach dem „Und jetzt?“, die den Leser:innen einen Mehrwert bringen soll, bedeutet für die Journalist:innen vor allem eins: mehr Aufwand.
„Es macht mehr Mühe, sich Best-Practice-Beispiele herauszusuchen. Sich die Geschichten, die auch Menschen bewegen, anzuschauen, ist auch eine Ressourcenfrage“, sagte einmal Alexandra Föderl-Schmid, von 2007 bis 2017 Chefredakteurin bei der österreichischen Tageszeitung „Der Standard“.
Damals saß beim Standard ein Mann am Newsdesk, der mit dem ständigen Produzieren schlimmer Nachrichten haderte. „Ich habe mich immer mit Themen beschäftigt, die traurig machen: Armut, Klimawandel, Arbeitslosigkeit. Wenn man nur die Probleme beschreibt, ist das ziemlich unlustig“, erinnert sich Andreas Sator an diese Zeit.
Als er irgendwo las, dass Menschen, die mehr Nachrichten konsumieren, ein pessimistischeres Weltbild hätten, wurde es dem jungen Journalisten zu viel.
„Ich wollte mit meiner Arbeit nicht auch noch dazu beitragen, dass es den Menschen schlechter geht“, sagt er. Lieber hätte er nach dem klaren Benennen der Probleme auch geschaut, was man konkret tun kann, um die Probleme zu beheben. Doch dafür musste er sich mit dem jeweiligen Thema sehr gut auskennen. Und dafür blieb im tagesaktuellen Betrieb schlicht keine Zeit.
Zuerst versuchte Sator, Artikel und Themen vorauszuplanen, damit er länger Zeit hatte, sich damit zu beschäftigen. Im Jahr 2017 beschloss er dann, die Wertschätzung, die man ihm bei seinem Medium entgegengebrachte, zu nutzen, um eine eigene Kolumne zu starten. Es war eine mehrteilige Serie zum Thema Geldanlagen und zugleich Sators Abschied aus dem tagesaktuellen Journalismus.
Heute versucht Andreas Sator in seinem Podcast Erklär mir die Welt, einem der beliebtesten Podcasts in Österreich, von Fachmenschen etwas über die Welt zu lernen. Daneben schreibt er weiterhin für Der Standard und hat sein erstes Buch mit dem Titel „Alles gut!? Unangenehme Fragen und optimistische Antworten für eine gerechtere Welt“ veröffentlicht.
Heute fokussiert sich der Journalist auf wenige Themen, dafür kennt er sich dort gut aus und kennt so gut wie alle relevanten Gesprächspartner:innen auf dem jeweiligen Gebiet. Das spart ihm bei der Recherche eine Menge Zeit, sodass er sich gleich auf die Lösungen fokussieren kann. „Ich bin in einer sehr privilegierten Position“, räumt Sator ein. Mit all den Aufgaben, die er als Redakteur hatte, hätte er noch sehr viel Zeit gebraucht, um diesen Punkt zu erreichen.
Für die meisten bedeutet lösungsorientierter Journalismus also nach wie vor mehr Aufwand in der Recherche. Und der muss irgendwie auch vergütet werden.
Der Ruf nach Qualitätsjournalismus wird stärker
Die Frage nach der fairen Bezahlung und vor allem nach ihrer Finanzierung treibt alle wichtigen Plattformen für konstruktiven Journalismus um. Perspective Daily musste erst im Juni eine Kampagne zur Gewinnung 2.000 neuer Mitglieder starten, damit das Medium wieder auf soliden finanziellen Beinen steht. Auch Nina Schnider beteuert, dass eine faire Bezahlung die Voraussetzung für das Fortbestehen von relevant.news sei. Die notwendigen Ressourcen dafür müssten laufend freigeschaltet werden.
Diese Kriterien machen es möglich, dass im letzten Jahr ein „Phantomradio“ wie „Hitradio Südtirol“, der faktisch nicht existiert und dessen Betreiber per Haftbefehl gesucht wird, über 92.000 Euro aus der Südtiroler Medienförderung bekommen hat.
Auf Förderungen vom Staat können lösungsorientierte Medien kaum setzen. Das aktuelle Medienfördergesetz fokussiert – in Österreich wie auch in Südtirol – bei den Förderkriterien auf die leichter messbare Anzahl anstatt auf die Qualität der Beiträge.
Diese Kriterien machen es möglich, dass im letzten Jahr ein „Phantomradio“ wie „Hitradio Südtirol“, der faktisch nicht existiert und dessen Betreiber per Haftbefehl gesucht wird, über 92.000 Euro aus der Südtiroler Medienförderung bekommen hat.
Wie sich dieser Fokus auf die Quantität auf das allgemeine Vertrauen der Menschen in die Medien auswirkt, zeigen verschiedene Studien aus den letzten Jahren. So erachteten 2021 fast neun von zehn Befragten unabhängigen Journalismus zwar als wichtig für die Demokratie, eine Mehrheit zweifelte aber daran, dass die meisten Medien tatsächlich unabhängig sind.
Der Zuspruch, den Andreas Sator für seine Formate bekommt, stammt vor allem von solchen Menschen: ehemaligen Leser:innen, die vom negativen und oberflächlichen Stil der Berichterstattung schon lange genervt sind. „Ich bekomme oft zu hören: Eigentlich hatte ich gar keinen Bock mehr auf Nachrichten. Aber durch deinen Zugang hat sich das geändert“, sagt Sator. So gesehen, könnte der lösungsorientierte Journalismus selbst eine Lösung sein.
Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support