BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
BARFUSS LogoSüdtiroler Onlinemagazin

Support Barfuss

Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus

BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
Simon Windegger
Veröffentlicht
am 27.12.2013
Leben

Mit Nadel und Tinte

Veröffentlicht
am 27.12.2013
Ein Tattoo hält statistisch gesehen länger als die meisten Ehen. Dennoch macht BARFUSS den Selbstversuch und tritt in die Fußstapfen Ötzis.
Damit BARFUSS weiterhin hinterfragen, aufklären, erzählen und berühren kann, brauchen wir DEINE Unterstützung!
Werde Teil unserer Community.
Teile unsere Story
1526360_10152070930680851_319238351_n.jpg

Tattoos – in vielen Kulturkreisen ein fester Bestandteil der Gesellschaft, stehen sie doch für Kraft und Stärke. Bei vielen indigenen Völkern gewinnt man mit den Verzierungen am Körper an sozialem Status, steigt auf. Und in unseren Breitengraden? Nicht so sehr, denn noch überwiegen die Vorurteile. Das kann nur eines bedeuten, diese Herausforderung nehme ich an: Ich lasse mich tätowieren!

In Chile wurden 7.000 Jahre alte Mumien entdeckt, deren Haut mit Tinte verschönert war. Der älteste dokumentierte Südtiroler mit offen zur Schau gestellten Tattoos dürfte wohl Ötzi sein. Ja, genau, DER Ötzi. Ich hingegen hatte noch keine Tätowierung. Darüber nachgedacht habe ich in den letzten zehn Jahren aber wohl. Bis vor kurzem hat die Angst gesiegt, immerhin würde ich das Motiv ein Leben lang mit mir spazieren tragen. Was, wenn es mir irgendwann nicht mehr gefällt? Was, wenn ich es entfernen lassen will? Was, wenn es einfach schlecht gemacht wird? Schlussendlich fehlte einfach der Mut, mich auf etwas so Endgültiges einzulassen.

Ein endgültiger Entschluss

In letzter Zeit war ich von immer mehr tätowierten Menschen umgeben – aus welchem Grund auch immer. Und ich spreche nicht von Alibi-Tattoos wie einem chinesischen Schriftzeichen am Unterschenkel, das man nur hat, um sagen zu können, dass man eh auch tätowiert ist und überhaupt nicht so angepasst und bieder, wie man vielleicht nach außen hin scheint. Ich meine „richtige“ Tattoos, die an kleine Kunstwerke erinnern, an denen man bei genauerem Hinsehen immer wieder neue Details entdeckt.

Immer wieder schaute ich mir diese Tattoos an. Mit jedem Mal war ich faszinierter davon: Da gibt es Quallen, Eulen, Blumen, aber auch Totenköpfe, Sterne oder die Unterschrift von Jimmy Hendrix. Jeder der „Gestochenen“ sagte mir mehr oder weniger dasselbe: „Denk nicht so viel darüber nach. Wenn du eines möchtest, dann machs, ganz einfach.“

Die Fragen und die Unentschlossenheit waren aber immer noch da. Die beste Antwort, die ich erhielt, war folgende: „Klar kann dir das in zwanzig Jahren vielleicht nicht mehr gefallen. Aber jedes einzelne Tattoo erinnert dich an eine gewisse Zeit in deinem Leben und auch wenn dir das Motiv vielleicht nicht mehr gefallen wird, dann ist es die Erinnerung an diese Zeit, die dich mit dem Tattoo verbindet.“

Das genügte mir als Antwort. Denn je mehr ich mit tätowierten Leuten in Kontakt war, umso mehr verlor ich die Angst davor. Der Entschluss war also gefasst, jetzt musste ein geeigneter Laden her. Über einen Arbeitskollegen bin ich zu dessen Schwester gekommen, einer angesehenen Tätowiererin. Nur sechs Wochen später hatte ich einen Termin. Für eine gefragte Tätowiererin ist das relativ flott. Beziehungen helfen eben bei vielem im Leben – so auch beim Tätowieren.

Sechs Wochen sind eine lange Zeit, um über so eine Entscheidung nachzudenken. Immer wieder kamen mir Zweifel, immerhin hatte ich mich für ein Motiv auf meinem Unterarm entschieden, also jenseits der sogenannten „T-Shirt-Grenze“. Weil ich mir aber selbst beweisen wollte, dass ich den Mut dazu hatte, hörte ich auf, darüber nachzudenken. Das funktionierte ganz gut. Für fünf Wochen und sechs Tage.

Die Nadel beginnt zu surren

In der Nacht vor dem großen Termin schlafe ich schlecht bis gar nicht. Sobald ich am Tag danach das Studio betrete, weicht die Angst zu meiner Überraschung aber der Vorfreude. Ja, ich will das und jetzt ist es endlich so weit. Meine Tätowiererin, Maui, begrüßt mich und gemeinsam gehen wir das Motiv durch. Beginnen will ich mit etwas Kleinem: zwei parallelen Bändern am Unterarm. Damit will ich mir selbst eine Grenze setzen. Das Ziel ist, mich von hier den Oberarm entlang „nach oben zu arbeiten“. Ich fühle mich gut aufgehoben: Das Telefon klingelt pausenlos und immer wieder kommen Leute, die explizit mit Maui sprechen wollten. Das kann ja nur Gutes heißen.

Nachdem die Konturen eingezeichnet sind, lege ich mich auf die Liege und dann kommt die Frage: „Alles klar? Legen wir los?“ Das ist die letzte Möglichkeit, abzuspringen. Aber nein. Ich will mir ja auch etwas beweisen. „Ja“, ist meine knappe Antwort. Dann setzt die Nadel an. Der Schmerz ist überraschend angenehm, wie ein leichter elektrischer Schlag. Nach zwei Stunden ist Maui fertig. Und ich tätowiert.

Frage ich mich noch oft, ob es eine kluge Entscheidung war? Eigentlich nicht. Ich habe über ein Tattoo zehn Jahre lang nachgedacht, das sollte reichen. Hätte ich bereits damals damit angefangen, wäre ich auch heute noch glücklich. Und was, wenn es mir in zehn Jahren nicht mehr gefällt? Ich habe beschlossen, mich erst dann damit zu beschäftigen, wenn es so weit ist und mich nicht mit einer Möglichkeit zu befassen, die vielleicht irgendwann einmal eintreffen könnte. Mit Vorurteilen werde ich unter Umständen leben müssen. Aber ich bezweifle, dass mich jemand für einen Ex-Knacki oder Seemann halten wird. Und Ötzi scheint sein Tattoo auch niemand übel zu nehmen.

Dienste

  • News
  • Wetter
  • Verkehrsbericht

BARFUSS


Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support

© 2023 SuTi GmbH
© 2023 SuTi GmbH . Rennstallweg 8 . 39012 Meran . MwSt: 02797340219
DatenschutzCookiesImpressum