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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 31.10.2018
LebenSelbstversuch: Patientenverfügung

Leben oder Tod?

Veröffentlicht
am 31.10.2018
Seit Anfang des Jahres sind Ärzte in Südtirol dazu verpflichtet, sich im Notfall an Patientenverfügungen zu halten. Unsere Autorin hat ihren letzten Willen verschriftlicht.
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Ich liege abgemagert, hilflos und in weiße Laken gehüllt in einem Krankenhausbett. Aus Nase und Armen hängen durchsichtige Schläuche, die mit Flüssigkeiten gefüllt sind. Mein Gesicht ist verzogen, meine Augen geschlossen. Ausscheidungen werden von einer übergroßen Windel aufgefangen. Was um mich herum passiert, kriege ich schon lange nicht mehr mit. Und trotzdem halten mich die Maschinen am Leben. So in etwa sieht die Horrorvorstellung meines Lebensendes aus.

Seit Anfang dieses Jahres kann ich einem solchen Horrorszenario nicht nur in meiner Fantasie, sondern auch in der Realität den Garaus machen. Gesetz Nummer 219/2017 macht es rechtlich möglich, den eigenen Willen im Hinblick auf lebenserhaltende oder nicht mehr lebensverlängernde, medizinische Behandlungen im Voraus in einer Patientenverfügung festzuhalten. Im Fall der Fälle muss sich der behandelnde Arzt daran halten.

Ein ganzes Jahr lang denke ich schon darüber nach, meinen Willen in einer solchen Patientenverfügung festzuhalten und schiebe den ernsten Moment der Verschriftlichung meiner Gedanken doch immer wieder vor mir her. Als ich neulich alte Formulierungsversuche wieder ausgekramt habe, musste ich verzweifelt feststellen, dass ich alle das Thema betreffenden Informationsabende der Provinz bereits verpasst habe. Befreundete Ärzte, die ich schon am Anfang meiner Recherche um Hilfe gebeten hatte, wollten sich nicht der Verantwortung stellen und hatten mich schon damals lieber an Fachkollegen weiterverwiesen.

Bevor ich mich nun aber endgültig dransetze, will ich doch noch mit jemandem über meine Ideen sprechen, der mich beratend unterstützen kann. Obwohl am Ende immer nur ich es sein werde, der mit einer solchen Verfügung die Verantwortung über das eigene Leben und den eigenen Tod in die Hand nimmt, fühlt es sich gut an, einen Experten zurate zu ziehen. Schließlich weiß ich als Laie ja nicht, was es zu beachten gilt und welche medizinischen Maßnahmen meinen Tod unnötig hinauszögern oder eben auch verhindern könnten.

Also rufe ich eine Ärztin aus meiner Gemeinde an, von der ich weiß, dass sie solche Gespräche führt. Am Telefon werde ich vertröstet: Die Zeit sei knapp, ich solle doch lieber einfach zu meinem Hausarzt gehen, so sei es üblich. Also wähle ich die nächste Nummer und lande bei der Sekretärin meines Hausarztes, die mich mit Warteschleifenmusik an den Herrn Doktor weiterleitet.

Ein Telefonat mit meinem Hausarzt genügt, um zu verstehen, dass es im italienischen Gesundheitssystem neben all den zu erledigenden Formalitäten nicht wirklich Platz für die Wünsche und Sorgen eines Patienten gibt. Zwischen Altersheimbesuchen, Arbeit im Ambulatorium, Papierkram und sonstigen Visiten hätte mein Hausarzt eigentlich keine Zeit, um sich mit mir und meiner Patientenverfügung auseinanderzusetzen. Ob ich ein solches Dokument denn wirklich machen wolle, fragt er und hofft wohl darauf, dass ich mit Nein antworte.

Ich beharre und treffe mich eine Woche später zur Mittagszeit mit ihm im Büro. In meiner Tasche trage ich zwei DIN A4 Blätter voller Fragen mit und habe bereits im Wartezimmer nicht das Gefühl, dass ich heute Antworten darauf finden werde. Die Sekretärin geht in die Mittagspause und Herr Doktor bittet mich ins Ambulatorium. Ich packe meine Liste aus und merke, dass auch sein Magen schon knurrt. Trotzdem fange ich an, Frage für Frage abzuarbeiten und spiele verschiedene Szenarien durch. Doch irgendwie scheint es so, als gäbe es darauf keine wirklichen Antworten. Zu unterschiedlich seien die Situationen, in die man als Patient geraten könnte. Und manchmal, da würde es künstliche Ernährung und Dialyse eben brauchen. Man könne sich nicht immer eindeutig bereits im Vorfeld dagegen aussprechen, meint er. Außerdem trage am Ende doch immer der Arzt die Verantwortung und müsse seine finale Entscheidung nach den Regeln von „scienza und coscienza “ treffen.

Was Leben und Tod für mich bedeuten oder wie ich zu einer Organtransplantation stehe, interessiert ihn scheinbar ebenso wenig, wie mich darüber zu informieren, welche Punkte man unbedingt in einer Patientenverfügung nennen sollte. Ich entscheide, das Gespräch, das mich augenscheinlich nicht weiterbringt, abzubrechen und mich stattdessen im Internet selbst schlauzumachen. „Solange es Hoffnung gibt, macht man als Arzt weiter“, meint er und verabschiedet mich mit einem festen Händedruck.

Wenig später scrolle ich zu Hause durch verschiedene Seiten mit Anweisungen und Leitfäden zum Erstellen einer Patientenverfügung, vor allem aus Deutschland. Dort scheint man sich bereits seit Jahrzehnten intensiv mit dem Thema zu beschäftigen und will seine Bürger aufklären. Laut einer Umfrage des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands haben mittlerweile 43 % aller Deutschen ihren letzten Willen in einer Patientenverfügung verschriftlicht.

Hierzulande scheinen die meisten Menschen die Verantwortung über ihr Leben hingegen lieber in die Hände anderer zu legen. Sie vertrauen auf das Wissen des Arztes und haben keine Lust, über ihren eigenen Tod nachzudenken. Das bestätigt auch mein Hausarzt.

Irgendwann kommt man schließlich zum Schluss, dass unser Verstand zu endlich ist, um das Unendliche zu begreifen.

Als mein Bruder vor acht Jahren bei einem Motorradunfall umgekommen ist, wurde ich sozusagen gezwungen, mich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Wie viele Stunden ich damals damit zugebracht habe, mich über unser Lebensende, die Seele oder ein Jenseits zu unterhalten, kann ich gar nicht mehr zählen. Irgendwann kommt man schließlich zum Schluss, dass unser Verstand zu endlich ist, um das Unendliche zu begreifen und legt sich seine ganz eigene Definition von Leben und Tod zurecht. Mit dieser fange ich schließlich auch die Einleitung meiner Patientenverfügung an.

Die Gestaltung des Textes bleibt völlig dem Patienten überlassen. Trotzdem suche ich im Internet nach den nötigen Informationen, die ich bisher von niemandem erhalten habe. Was ich finde, sind einige Seiten der Provinz mit Abstracts von verschiedenen Ärzten, Daten von Informationsveranstaltungen, die ich schon verpasst habe und einer Broschüre zum Thema. Letztere ist bei meinem Vorhaben die erste wirkliche Hilfe. Sie klärt über das Konzept Patientenverfügung und deren Wichtigkeit auf. Darüber, welche Rechte geschützt werden und wie die rechtliche Situation in Italien dazu aussieht. Das entsprechende Gesetz dazu findet man natürlich auch online, ist jedoch in Juristenitalienisch verfasst und deshalb nicht ganz so einfach zu entschlüsseln. Die wichtigsten Ausschnitte sind in der Broschüre übersetzt.

„Die Entscheidung auf eine medizinische Behandlung zu verzichten, bedeutet nicht mangelnden Respekt vor dem medizinischen System, sondern den Verzicht auf lebenserhaltende Maßnahmen, die den/die Patienten/in in eine für ihn/sie nicht akzeptable Lage bringen würden.“

Schließlich folgen Textbausteine, die bei der Formulierung der Patientenverfügung nützlich sein können und tatsächlich auch sind. Ich gebe an, wann meine Patientenverfügung gelten soll, arbeite mich dann Punkt für Punkt durch und beschreibe, wie ich zu Schmerz- und Symptombehandlung, künstlicher Ernährung und Flüssigkeitszufuhr, Dialyse, Wiederbelebung, künstlicher Beatmung, Blut- und Organspende stehe. Die Angaben sind recht allgemein gehalten, da ich mich mit den detaillierten medizinischen Situationen ganz einfach nicht auskenne und mein Hausarzt gemeint hat, dass nicht jede mögliche Situation im Detail aufgelistet werden muss. Mittlerweile frage ich mich aber, ob er bei dieser Aussage eher an seine Mittagspause oder an meine Patientenverfügung gedacht hat. Jedenfalls habe ich ein etwas flaues Gefühl im Magen, als ich hier ganz alleine entscheide, ob ich unter bestimmten Umständen lieber ersticken oder verhungern will.

Am Ende steht mein letzter Wille auf fünf vollgeschriebenen Seiten fest. Mindestens fünf Mal lese ich ihn noch Wort für Wort ganz genau durch und frage mich, ob ich wohl etwas vergessen habe. Notfallsituationen lasse ich bewusst aus, da ich noch keine eindeutige Meinung dazu habe. Sollte sich dies ändern, kann eine Patientenverfügung jederzeit wieder erneuert oder verändert werden. Wichtig dabei ist nur, dass man das in der Gemeinde hinterlegte Original ersetzt. Dort wird das Dokument nämlich registriert und aufbewahrt. So wissen die Ärzte, wo sie im Notfall nach einer eventuell vorliegenden Verfügung fragen können.

Als ich den Papierstapel in Folie verpackt in meine Gemeinde trage, fühle ich mich geradezu so, als würde ich mein Todesurteil in der Hand halten. „So jung machst du das?“, fragt mich die Beamtin vom Standesamt ganz verblüfft, als ich durch die Tür in ihr Büro gehe, „ich dachte das machen nur alte Leute.“ Naja, sterben kann man zu jeder Zeit, denke ich mir und lasse die Aussage unkommentiert und nett lächelnd im Raum stehen. In den letzten Monaten wäre hier immer wieder mal jemand mit einer Patientenverfügung eingetrudelt, meint die Beamtin weiter und betont, wie wichtig sie das findet. Selbst habe sie sich aber noch nicht mit dem Thema beschäftigt.

Muss dem Gedanken an den Tod eigentlich immer ein Schickschalsschlag oder eine Beerdigung vorangehen? Warum setzen wir uns nicht viel früher schon damit auseinander, dass unser Leben, vom Moment der Zeugung an zu jedem Zeitpunkt plötzlich zu Ende sein kann?

Mein Blick fällt auf ein hölzernes Jesuskreuz an der Wand des Büros. Die Beamtin ist mit meinen unterschriebenen Papieren zum Kopiergerät verschwunden. Während ich auf einem grauen Bürostuhl warte, dass sie zurückkommt, frage ich mich, ob meine Verfügung klar genug formuliert ist oder ob sie einen Arzt im Notfall viel eher vor ethische Probleme stellen würde. In der Schweiz können Ärzte in weniger als einem von zehn Fällen dem Dokument überhaupt die Informationen entnehmen, die sie wirklich brauchen würden. Erfahren werde ich das wohl erst, wenn es vermutlich schon zu spät ist.

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