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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 23.11.2020
LebenTransgender

Fremd im eigenen Körper

​Immer mehr junge Menschen in Südtirol haben den Wunsch, das biologische Geschlecht zu wechseln. Wie es ist, im falschen Körper geboren zu sein.
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Wenn Julian an seine Kindheit zurückdenkt, denkt er nicht an ein Leben als Mädchen. Er denkt an einen kleinen Jungen. Dabei wurde Julian Kuen 1996 als Stephanie geboren. Über 15 Jahre lang lebte er als Mädchen, bis er seine Identität als Transmann erkannte und akzeptierte. Als transidenter Südtiroler ist Julian damit nicht allein.

Die Begriffe transident, Transgender oder Transmensch bezeichnen Personen, die sich nicht oder nicht vollständig mit ihrem angeborenen Geschlecht identifizieren. Viele von ihnen unterziehen sich geschlechtsangleichenden Maßnahmen wie Hormontherapien oder Operationen. Wurden Betroffene vor einigen Jahren noch stigmatisiert, ist das Thema mittlerweile in der Gesellschaft angekommen. Durch die langsame Enttabuisierung trauen sich immer mehr Menschen, zu ihrer gefühlten Geschlechtsidentität zu stehen. Damit steigt die Zahl der Betroffenen – auch in Südtirol.

Psychotherapeut Michael Peintner

Der Psychotherapeut, Sexualberater und Sexualpädagoge Michael Peintner begleitet mit seinen Kollegen derzeit etwa zwanzig Transmenschen in Südtirol und Nordtirol. Genaue Daten zu transidenten Menschen in Südtirol gibt es bislang keine. Peintner weiß aber: Derzeit sind mehr Transmänner als Transfrauen in Südtirol in therapeutisch-psychiatrischer Behandlung. Und waren die jüngsten transidenten Patienten vor zehn bis 15 Jahren noch um die 30 Jahre alt, begleitet er heute viele Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 13 und 22 Jahren. „Dieses Alter ist typisch, weil in diesem Lebensabschnitt die Pubertät stattfindet. In dieser Phase bilden sich die sekundären Geschlechtsmerkmale, mit denen sich einige Menschen nicht identifizieren können, wie die Brüste, die Regel oder der Bartwuchs“, erklärt Peintner.

Ähnlich war es auch bei Julian. In der Pubertät bemerkte er, dass etwas nicht stimmte: „Ich konnte mich mit meinen Brüsten und der Regel einfach nicht identifizieren. Alle pubertären Prozesse fühlten sich nicht wie ein Teil von mir an.“ So wagte Julian, damals noch Stephanie, mit 14 einen Neustart. Er schnitt sich die Haare, kleidete sich maskulin und outete sich als lesbisch. Doch etwas fühlte sich für ihn immer noch nicht richtig an. Für Julian stand fest, dass er an Frauen interessiert ist. Als homosexuell fühlte er sich aber nicht.

Im Urlaub sah er eine Dokumentation über den Transmann Balian Buschbaum. „Während alle zum Strand gingen, blieb ich vor dem Fernseher. Ich musste diese Dokumentation fertig anschauen, weil ich mich das erste Mal in meinem Leben total wiederfinden konnte“, sagt er. Seit diesem Tag verfolgte Julian ein Gedanke: Vielleicht bin ich im falschen Körper geboren.

Das Outing

Seine damalige Freundin unterstützte ihn. Sie war vor Julian – damals Stephanie – immer an Männern interessiert. „Mit mir als erste Freundin hatte sie nie ein Problem. Heute glaube ich, dass der Grund dafür war, dass ich nie wirklich eine Frau war“, sagt Julian. Nachdem er sich seiner Freundin gegenüber geöffnet hatte, drängte sie ihn, einen Psychologen aufzusuchen. Ein Jahr lang war der 16-Jährige in psychologischer Behandlung. „Mit jeder Sitzung merkte ich, dass ich mich als Mann wohler fühle“, erzählt er.

Die Arbeit mit transidenten Menschen unterteilt Psychotherapeut Peintner in zwei Phasen. In der ersten Phase suchen die meisten von ihnen Psychotherapeuten und Sexualberater auf. Betroffene sind sich ihrer Geschlechtsidentität meist unsicher. Sie sind zwar biologisch als Mädchen oder Junge geboren, bemerken aber, dass etwas nicht passt und fühlen sich unwohl. In der Therapie geht es darum zu erkennen, was Betroffene brauchen, um sich sicher zu fühlen.

Julian half in dieser Zeit die Unterstützung von Freundinnen und Freunden und seiner Klasse. Vor ihnen outete er sich zuerst als Transmann. Sie reagierten gelassen und ermutigten ihn, weiterzumachen. Er vertraute sich seiner Klassenlehrerin an, die eine Klassenratssitzung einberief. Grinsend erinnert sich Julian: „Ich saß mit meinen Lehrerinnen und Lehrern an einem Tisch, ich als capo tavolo. Mir war wichtig, mich persönlich zu outen und sie zu bitten, mich in Zukunft mit Julian anzusprechen.“ Als letztes outete er sich bei seiner Familie – für den damals 18-Jährigen einer der schwierigsten Schritte.

Julian 2016, mit 20 Jahren.

Einen transidenten Menschen zu akzeptieren, ist für dessen Eltern besonders schwierig. Sie müssen einen individuellen Trauerprozess verarbeiten. Peintner dazu: „Eltern haben etwa ein biologisches Mädchen geboren und müssen sich nun von ihr ‚verabschieden’. Erst dann können sie ihren Sohn neu kennenlernen.“ Das braucht Zeit. Auch transidente Menschen brauchen oft über zehn Jahre, um die gefühlte Geschlechtsidentität zu akzeptieren. Viele tragen das Unbehagen gegenüber der eigenen Identität seit dem dritten oder vierten Lebensjahr mit sich herum. In dieser Zeit kristallisiert sich entwicklungspsychologisch die Geschlechtsidentität heraus.

Das Outing vor seinen Eltern kam für Julian anders als erwartet. Er erzählt: „Bei meinem Vater war mir klar, dass er nicht sehr positiv reagieren wird. Er hatte sich öfters negativ zur LGBTIQ+ Community geäußert. Bei meiner Mama war ich mir sicher, dass sie mich verstehen würde, weil sie auch positiv auf mein Outing als Lesbe reagiert hatte.“ Julians Mutter aber war sprachlos und sein Vater machte sich Vorwürfe, was er in der Erziehung falsch gemacht hatte. Erst nach einigen Monaten konnte er seinen Sohn akzeptieren.

Die Hormontherapie

Psychotherapeuten klären in der Arbeit mit transidenten Menschen ab, ob die gefühlte Geschlechtsidentität wirklich vorhanden und konstant ist. Die entsprechende Diagnose Genderdysphorie oder Geschlechtsinkongruenz ist die Voraussetzung für die medizinischen Maßnahmen der zweiten Phase. Eine klare Diagnose ist wichtig, weil sich die meisten geschlechtsangleichenden Maßnahmen nicht rückgängig machen lassen. Das kann zum Problem werden, weiß Georg Pfau, Sexualmediziner und Männerarzt aus Oberösterreich. Er spricht beim Thema Transgender auch von einer Modeerscheinung. Pfau sagt: „Viele Menschen bezeichnen sich heute als Transgender, ohne es wirklich zu sein.“

Sexualmediziner Georg Pfau

Julians Psychologe riet zu einer Hormontherapie, um die körperlichen Veränderungen spürbar zu machen. Für die Therapie trug er zwei Monate lang täglich Hormongel auf seine Haut auf. Diese Behandlung ist eigentlich für biologische Männer mit Hormonmangel gedacht. Da er zu Beginn eine geringe Dosis Testosteron bekam, hätte sich Julian nach etwa einem Monat noch umentscheiden können.

Das Geschlecht ist biologisch betrachtet am stärksten von der hormonellen Situation und nicht von den äußerlichen Geschlechtsausprägungen betroffen. Diese Sexualhormone sind das Östrogen bei Frauen und das Testosteron bei Männern. Möchte eine biologische Frau wie Julian zum Mann werden, muss Testosteron verabreicht werden, da der Transmann zunächst noch Eierstöcke besitzt, welche weibliche Sexualhormone produzieren. Das Testosteron unterdrückt diese weiblichen Hormone. Die Sexualhormone müssen ein Leben lang genommen werden, weil der Transmensch diese trotz geschlechtsangleichenden Maßnahmen und Operationen nie selbst produzieren kann.

Bei Julian folgte auf die Gelhormone eine Spritze mit höherem Testosterongehalt. Die injiziert er sich alle zehn Wochen selbst. Seine körperlichen Veränderungen dokumentierte er, indem er seine Stimme täglich aufnahm und seinen Körper fotografierte. Zuerst wurde seine Stimme tiefer, im Gesicht wuchs ein Flaum. Der Körperbau veränderte sich und der 16-Jährige nahm 15 Kilo ab, weil er aufhörte, aus Frust zu essen. Julian gewann an Selbstbewusstsein. Er sagt: „Vorher konnte ich nicht einmal etwas alleine in einer Bar bestellen, so schüchtern war ich. Heute spreche ich fremde Leute auf der Straße an. Endlich fühle ich mich wohl in meiner Haut.“

Julian 2017, mit 21 Jahren.

Auch während der geschlechtsangleichenden Maßnahmen begleitet Peintner Transmenschen. Die psychotherapeutische Begleitung ist in dieser Phase besonders wichtig, weil zu den körperlichen auch emotionale Veränderungen kommen. Psychotherapeuten helfen, damit umzugehen und sich im Umfeld zu outen. Diese Begleitung dauert einige Jahre, weil die Transition – also die Angleichung zum „richtigen“ Geschlecht – im Grunde nie abgeschlossen ist.

Vor Gericht

Transidente Menschen in Italien kommen nicht am Gericht vorbei. Denn wer seinen Personenstatus oder seinen Namen ändern will, braucht einen Anwalt, der einen entsprechenden Antrag stellt. Ob der Richter dem stattgibt, hängt allein von seinem Gespür für und seinem Wissen über das Thema Transgender ab.

Julian hatte Glück. Noch kurz vor seiner Hormontherapie durften rechtliche Schritte wie die Namensänderung erst nach allen geschlechtsangleichenden Maßnahmen inklusive Operationen folgen. Heute ist das anders. Die Änderung des Personenstandes oder des Namens sind die Voraussetzung für operative Eingriffe. Julian brauchte neben dem Attest seines Psychologen und seines Arztes auch Zeugenaussagen von Verwandten und Freunden um zu bestätigten, dass er seit geraumer Zeit als Transmann lebt und Hormone einnimmt. Ein Jahr nachdem seine Anwältin den Antrag gestellt hatte, konnte seine Geburtsurkunde geändert werden. Das war der Start für die geschlechtsangleichenden Operationen.

Kein Zurück

Der erste Schritt der Geschlechtsangleichung von Frau zu Mann ist meist die Brustentfernung, die sogenannte Mastektomie. Georg Pfau sagt: „Diesen operativen Eingriff wünschen sich die meisten Transmänner als erstes. Durch die ausgeprägte Brust werden sie von außen als Frau wahrgenommen.“ Auch Julian ließ sich zuerst die Brust entfernen. „Ich hatte sehr große Brüste und auch wenn sie durch die Hormone zurückgegangen sind, habe ich sie immer weggebunden und mir damit teilweise selbst die Luft abgesperrt“, erzählt er. Für den Eingriff suchte er einen Arzt in Deutschland auf. In Südtirol gibt es keine Transgendermediziner. Betroffene werden daher von den Abteilungen der Urologie oder Gynäkologie in Bozen an Operateure im Ausland überwiesen, damit die Krankenkasse die Kosten übernimmt.

Julian heute, nach den geschlechtsangleichenden Maßnahmen.

Nach den Brüsten werden meist die Eierstöcke entfernt. Pfau erklärt, dass damit die Produktion weiblicher Hormone gestoppt wird, die Menstruation bleibt aus. Der letzte Eingriff ist aber der Aufbau der Genitalien – die komplizierteste Operation. Dabei wird aus einem weiblichen äußeren Geschlechtsorgan ein männliches äußeres Geschlecht gemacht. Zum Eingriff gehören der Penis- und Hodenaufbau, aber auch kosmetische Eingriffe wie die Pigmentierung und der Einbau einer Penispumpe. Letztere soll Erektionen ermöglichen.

Auch Julian wünscht sich einen Penisaufbau. Vorher muss er sich dafür aber die weiblichen Geschlechtsorgane, also die Gebärmutter und Eierstöcke entfernen lassen. Weil beim Penisaufbau Nervenenden miteinander verbunden werden, kann es passieren, dass das Gefühl der Klitoris und damit die Fähigkeit, Orgasmen zu haben, verloren gehen. Deshalb will sich Julian mit der Operation Zeit lassen. Er sagt: „Ein Penis wäre toll, nicht nur für Sex, sondern auch um aufs Klo zu gehen, aber es ist derzeit nicht lebenswichtig für mich. Ob ich einen habe oder nicht, ändert nichts an meiner Geschlechtsidentität als Transmann.“

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