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Julia Tappeiner
Veröffentlicht
am 22.07.2022
LebenWirtschaft- und Außenpolitik

Ende einer falschen Freundschaft?

Veröffentlicht
am 22.07.2022
Italien galt bisher als „trojanisches Pferd“ des Kremls. Warum eigentlich? Und wie ändert sich die Beziehung zwischen den beiden Ländern seit dem Krieg?
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Putin und Conte
Wladimir Putin und Ex-Premier Giuseppe Conte

Italien wird unter Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler gerne als das “Trojanische Pferd” des Kremls bezeichnet. Innerhalb der EU gehört es zu den wenigen Mitgliedsstaaten, die sich immer wieder auf die Seite Moskaus stellten.

Im März 2015 zum Beispiel war der italienische Premierminister Matteo Renzi der erste europäische Regierungschef, der nach der Krim-Annexion Putin in Moskau besuchte. Auch als Russland im Syrienkrieg die Stadt Aleppo bombardierte, verhinderte die Regierung in Rom härtere Sanktionen der EU gegen Russland. Und in diesem Jahr löste ein Treffen zwischen Putin und italienischen UnternehmerInnen international Empörung aus: Es fand wenige Tage vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine statt, als Russland schon seine Truppen an der Grenze stationiert hatte.

Seit Russlands Angriff auf die Ukraine tut sich der »Russlandversteher« Italien zunehmend schwer, seine Verflechtungen mit Moskau zu rechtfertigen. Auch in der Bevölkerung häuft sich die Kritik. So kam es im Mai zum Eklat, als der Berlusconi-Kanal Rete 4 dem russischen Außenminister Sergei Lawrow rund 40 Minuten Redezeit gab. Darin verglich Lawrow den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskyj mit Hitler, kritische Nachfragen gab es keine.

Gleichzeitig strebt die italienische Regierung, ähnlich wie Deutschland und die meisten EU-Staaten, eine wirtschaftliche Umorientierung an – weg von russischem Gas, weg von Moskau und hin zu (Handels-)Verbindungen mit den Ländern, die ähnliche Werte teilen.

Hat es sich Russland mit seinem „best friend in Europe“ also endgültig verscherzt? Eine kleine Geschichte der Italien-Russland-Beziehungen und eine Aussicht darauf, wie sie sich ändern.

Wie Italien zum “Trojanischen Pferd” des Kremls wurde
Italien und Russland pflegen enge kulturelle und politische Beziehungen seit Beginn des Kalten Krieges. Unter anderem deshalb, weil sich in Italien nach dem Zweiten Weltkrieg die größte und einflussreichste kommunistische Partei Europas entwickelte: der „Partito Comunista Italiano“ (PCI). In den 1970er Jahren gelang dem PCI als einzige europäische Partei der Einzug in die Regierung mit einem Stimmenanteil von fast 35%. Sie bildete für das sowjetische Regime ein wichtiges Band zum Westen.

Selbst nach dem Ende der Sowjetunion und der Auflösung der Kommunistischen Partei Italiens, riss das Band nicht. Es folgten italienische Ministerpräsidenten, die engere Beziehungen zum Kreml pflegten als andere europäische Regierungschefs. So war Enrico Letta (PD) 2014 der einzige Premierminister der EU, der an den Olympischen Spielen im russischen Sotschi teilnahm; sein Nachfolger und Parteikollege Matteo Renzi tauchte als Einziger 2016 beim Internationalen Wirtschaftsforum in Sankt Petersburg auf.

Die engste und legendärste Beziehung war jene zwischen Ex-Premier Silvio Berlusconi (Forza Italia) und Wladimir Putin. Sie verbrachten sogar einige Sommerurlaube in Sardinien und am Schwarzen Meer zusammen.

Italiens Ex-Premier Silvio Berlusconi besucht seinen Freund Wladimir Putin auf der Halbinsel Krim (2015) am schwarzen Meer und wird von den Bewohnerinnen bejubelt.

Lange schwieg Berlusconi zum Krieg. Im April äußerte er sich erstmals in der FAZ über seinen langjährigen Freund Putin und dessen Einmarsch in die Ukraine.

Zudem teilen viele ItalienerInnen eine Skepsis gegenüber den USA und ihrer Interventionspolitik. Der Einmarsch in den Irak 2003 etwa wurde zwar von mehreren Seiten in der EU kritisiert; doch Teile der italienischen Bevölkerung pflegen seit jeher einen grundsätzlichen Anti-Amerikanismus. Dieser Teil der öffentlichen Meinung sieht in Russland eine Alternative zum amerikanischen Interventionismus und Neoliberalismus.

Ein weiterer Grund für die enge Verflechtung zwischen Rom und Moskau: Italien verfolgt eine sehr pragmatische Außenpolitik im Vergleich zu anderen liberalen Demokratien. Wirtschaftliche Interessen leiteten etwa Italiens Beschluss, mit China ein Handelsabkommen für große Infrastrukturprojekte im Wert von 20 Milliarden Euro abzuschließen. Damit ist Italien der erste G-7-Staat, der sich der chinesischen Seidenstraßeninitiative anschließt. Diesen Schritt wägen andere EU-Länder wie Deutschland oder Frankreich noch vorsichtig ab, vor allem wegen Chinas fehlender Demokratie- und Umweltstandards bei der Umsetzung der Infrastrukturprojekte.

Viele Italienerinnen sehen in Russland eine Alternative zum amerikanischen Interventionismus

Ebenso zeigte sich Rom gegenüber der politischen Fehltritte Russlands stets kulant – zugunsten wirtschaftlicher Interessen. Kein Wunder: Das Wirtschaftssystem, der Bankensektor, der Tourismus – all diese Bereiche sind in Italien eng mit Unternehmen aus Russland verwoben. Im Energiesektor herrscht eine große Abhängigkeit von Russland: Über 40% seines Gases bezieht das Land aus Russland.

Doch vor dem Eindruck des Krieges in der Ukraine wendet sich selbst Russlands “Trojanisches Pferd” Italien von seinem östlichen Freund ab.

So ändert sich die russisch-italienische Freundschaft gerade
Im Umgang mit Russland scheint Italien diesmal nicht aus den europäischen Reihen zu tanzen, sondern sich der kritischen Position der EU anzuschließen. Serena Giusti forscht am „Istituto per gli studi di politica internazionale“ (ISPI) unter anderem zur italienischen Außenpolitik und zu Russland. Sie bestätigt: “Die Einstellung gegenüber Russland hat sich seit dem Angriffskrieg verändert.” Das zeige sich zum Beispiel daran, dass Italien den Erlass von immer härteren Sanktionen der EU befürworte.

Zwar schloss sich Italien auch 2014, nach der Annexion der Krim, an die europäischen Sanktionen an. Jedoch war die wertegerichtete Entscheidung von kurzer Dauer: Kaum ein Jahr später plädierte Italien für eine Aufhebung der Sanktionen. Diesmal ist die Regierung entschlossener, auch wenn es innerhalb der großen Regierungskoalition und der Opposition Kritiker:innen der offiziellen Linie des Premiers Mario Draghi gibt. Dazu gehören Vertreter:innen rechter Parteien wie Matteo Salvini oder Giorgia Meloni.

Politikwissenschaftlerin Serena Giusti

Hat es sich Russland also bei seinem EU-Verbündeten Italien endgültig verscherzt?

Zumindest was die Energiepolitik angeht, so Giusti, sei Italien diesmal dabei, sich langfristig umzuorientieren. So führt die italienische Regierung Verhandlungen mit mehreren afrikanischen Ländern, um neue Öl- und Gasabkommen abzuschließen oder um die Menge, die bereits geliefert wird, zu erhöhen. Erst kürzlich wurde mit Algerien, Italiens zweitgrößtem Lieferanten für Gas (nach Russland), ein neuer Vertrag verhandelt.

Ein neues globales Wirtschaftsparadigma
Damit ist Italien nicht allein. Ganz Europa hat erkannt, was einseitige Abhängigkeiten (etwa von Gas aus Russland) im Extremfall bedeuten können und schlagen nun einen anderen Weg ein.

Bisher war die EU das lebende Beispiel dafür, wie Wohlstand und wirtschaftliche Kooperation Konflikte überwinden können. Dafür bekam sie sogar den Friedensnobelpreis. Doch das liberale Paradigma, internationaler Handel könne Sicherheit und Frieden in der Welt wahren, wandelt sich.

“Staaten versuchen, ihre Lieferketten zu verkürzen und vermehrt auf Regionalität zu setzen. Besonders mit Ländern, die nicht demokratisch oder die politisch instabil sind.”

Deutlich wird der Bruch des europäischen Paradigmas am neuen “Strategischen Kompass” der EU. Das Dokument wurde im März dieses Jahres als Reaktion auf den Krieg erlassen und enthält Richtlinien, wie die EU in Zukunft auf Konflikte reagieren und sich verteidigen will. Darin macht die EU klar: Sie will stärkere Partnerschaften mit “gleichgesinnten” Ländern, also westlichen Demokratien, eingehen und gleichzeitig von den Rohstoffen und Lieferketten “strategischer Wettbewerber” unabhängiger werden. Damit dürften autoritäre Staaten wie Russland gemeint sein. Noch vor wenigen Jahren sprach die EU ihn ihrem globalen Startegiepapier (2016) von globaler Kooperation zur Wahrung von Frieden. Das Dokument unterscheidet sich deutlich in Ton und Wortwahl vom neuen Strategiepapier.

Laut Expertin Giusti richtet sich auf der globalen Bühne tatsächlich die Tendenz ein, den Handel mit anderen Staaten vorsichtiger abzuwägen: “Staaten versuchen, ihre Lieferketten zu verkürzen und vermehrt auf Regionalität zu setzen. Besonders mit Ländern, die nicht demokratisch oder die politisch instabil sind, will man zumindest allzu große Abhängigkeit in Zukunft vermeiden”, so Giusti. Dieser Trend hätte bereits während der Coronapandemie und aufgrund des Handelskrieges zwischen China und den USA begonnen und werde nun verstärkt.

Eine politische Umorientierung muss aber noch nicht heißen, sich von einzelnen (autoritären) Staaten komplett abzuschotten. Denn das würde das Ende einer multilateralen Weltordnung bedeuten und uns zurückführen in die Zeit, als 2 große (Wirtschafts-)Blöcke mit wenig Verständnis füreinander die Welt bestimmten. Auch das ist eine Lektion aus dem Kalten Krieg: Isolation führt nur weiter zur Eskalation von Konflikten.

Giusti erinnert daran, dass Regierungen eines Landes sich ändern. Staaten sollten daher “flexibel” bleiben, wie sie betont: “Sollte es irgendwann einen Regimewechsel in Russland geben, sollten wir in der Lage sein, schnell unsere Wirtschaftsbeziehungen wieder anders auszurichten.”

Putin macht noch nicht das ganze Land aus und den Kurs, den es in Zukunft einschlagen wird. Wenn wir über unsere Wirtschaftsbeziehungen mit Russland nachdenken, sollten wir also die Differenzierung zwischen Staatsappart und dessen aktuellen Entscheidungen auf der einen, und dem Land und seiner Bevölkerung auf der anderen Seite im Blick behalten.

Dieser Artikel erschien in ähnlicher Form beim konstruktiven Onlinemagazin Perspective Daily.

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