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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 02.10.2014
LebenBesuch des Siegesdenkmals

Der Südtiroler Mauerfall

Veröffentlicht
am 02.10.2014
Zwei Bozner auf zwei Seiten der Mauer: der deutsch- und der italienischsprachigen. Ein gemeinsamer Besuch im neuen Museum des Siegesdenkmals.
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Christian Pezzolato vor dem Siegesdenkmal Bozen

„Hier an den Grenzen des Vaterlandes setze die Zeichen. Von hier aus bildeten wir die Übrigen durch Sprache, Gesetze und Künste.“ Diese zwei Sätze haben Südtirol jahrzehntelang Diskussionen und Demonstrationen beschert, die rechten Parteien beider Sprachgruppen zu Hochform auflaufen lassen und in manch einem heimlich die Frage aufkeimen lassen, ob Pizza auch zur Südtiroler Kultur gehöre und wenn ja, ob das nun schlecht sei. Das Siegesdenkmal in Bozen steht seit 86 Jahren wie eine Mauer an der Talfer und teilt die Stadt in eine italienische und eine deutsche Seite. Das neue Museum soll die imaginäre Mauer nun endlich zu Fall bringen.

Zwei Seiten einer Stadt

Christian Pezzolato, italienischsprachiger Bozner aus dem „italienischen“ Teil, besucht mit mir, einer deutschsprachigen Boznerin aus dem „deutschen“ Teil, dieses Museum. Wir sind im selben Alter, aus derselben Stadt und doch aus einer anderen Welt. Denn während er das italienische klassische Gymnasium besuchte, war ich auf jenem in deutscher Sprache. Er natürlich im italienischen Teil der Stadt, ich im deutschen. Und wäre er auch zufällig im selben Kindergarten in der Altstadt gewesen wie ich, wir hätten uns trotzdem nicht gekannt: denn unsere Spielplätze wären durch einen Zaun getrennt gewesen.

„Quasi tutti italiani guardano questo monumento come i tedeschi guardano i monumenti nazisti: è una cosa bruttissima, ma sono necessari per ricordarci.”

Das war Mitte der 90er-Jahre. Wir mussten bis zum Jahr 2014 warten, damit die Bedeutung dieser Mauer entschärft wurde. Christian Pezzolato sagt bei unserem Treffen: „Era ora. Quasi tutti italiani guardano questo monumento come i tedeschi guardano i monumenti nazisti: è una cosa bruttissima, ma sono necessari per ricordarci. Ma immagini se i tedeschi avessero lasciato questi monumenti senza spiegazioni.”
Diese Einstellung ist nicht nur Grundtenor der Bozner, sondern auch der Ausstellung: Projektoren werfen Interviews an die Wand, in denen Deutsche und Italiener gefragt werden, was mit dem Siegesdenkmal geschehen sollte: Alle sind sie der Meinung, dass es uns erinnern, mahnen soll. „Le idee estreme vengono solo dai partiti di estrema destra, sia dalla destra tedesca, sia dalla destra italiana. Ma sono stronzi“, fasst es Christian Pezzolato zusammen. Wer legt schon Kränze vor Ausschwitz hin? Und wer fordert schon, Ausschwitz zu sprengen?

Die Diskussionen rund um das Siegesdenkmal werden im Museum aufgenommen. Eindrucksvoll hängt in der Krypta das Schild „Friedensplatz“, das im Jahr 2002 für einige Monate auf dem heutigen Siegesplatz stand. Es wurde nach einem Referendum wieder abgenommen, bei dem 62 Prozent der Bozner gegen den Namen „Friedensplatz“ stimmten. Christian Pezzolato meint: „Anch’ io vedo il nome ‚piazza della pace‘ molto critico. A me sembra molto ironico chiamare una piazza con una storia del genere ‚piazza della pace‘ – ironico come il nome ‚piazza della vittoria‘ , ovvio. Ci serve un nome nuovo, forse ‚piazza della memoria‘.

Ein Platz der Erinnerung

Zu so einem Platz der Erinnerung ist das Siegesdenkmal nun tatsächlich geworden. Einzelne Leute gehen andächtig durch die dunkle Krypta, schauen sich Filmaufnahmen über Bozen in der faschistischen Zeit an, die die Anstrengungen dokumentieren, der Stadt ein italienisches Gesicht zu verleihen: Filme über den Bau der Freiheitsstraße und der technischen Oberschule, die Einweihungsfeiern in faschistischem Prunk. Die Pläne des Architekten Marcello Piacentini für das Siegesdenkmal, aber auch für das restliche Bozen; die Idee, von der Freiheitsstraße aus eine direkte Allee bis zu den Lauben zu bauen, alles mit Ausrichtung auf den Rosengarten. Daneben Aufnahmen des zerstörten Bozens nach dem Krieg, Aufnahmen, wie Südtiroler in Tracht zu faschistischen Festtagen aufmarschieren. Man sieht den Widerstand in ihren Augen.

„Non sento nessuna colpa – soprattutto, perché la mia famiglia ha anche sofferto sotto i fascisti.”

Christian Pezzolato beantwortet die Frage, ob sich die italienische Jugend in Bozen dafür verantwortlich fühle, mit Nein: „É storia, é successo 90 anni fa. Non sento nessuna colpa – soprattutto, perché la mia famiglia ha anche sofferto sotto i fascisti.”
Es ist die Geschichte vieler Italiener in Südtirol, wenn man sie danach fragt: Der Hunger und Faschismus trieb sie aus zerbombten Dörfern nach Südtirol, weil hier eine neue Industrie aufgebaut worden war. Christians Opa pendelte anfangs noch am Wochenende nach Hause – doch irgendwann schaffte er das nicht mehr. Also zog er mit seiner Frau in eines der Semirurali-Häuser. „Anche lui avrebbe preferito un’altra vita, una vita nel suo paese in pace. Lui ha combattuto come partigiano contro i fascisti, ma a quel tempo in Europa non gli era possibile come voleva lui. Abbiamo tutte storie simili – non ha senso che guardiamo ancora nel passato e ci incolpiamo a vicenda”.

Der erste Schritt zur gemeinsamen Erinnerung an diese schreckliche Zeit ist getan – nun liegt es an allen, das Siegesdenkmal nicht mehr als Mauer, sondern als Mahnmal zur Aufarbeitung zu sehen.

Das Museum in der Krypta des Siegesdenkmals ist von Dienstag bis Samstag von 10.30 bis 12.30 und von 14.30 bis 16.30 Uhr geöffnet, am Sonntag von 10.30 bis 12.00 und von 15.00 bis 17.00 Uhr. Der Eintritt ist kostenlos.

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