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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 12.06.2019
LebenInterview mit Thomas Aichner

„Sonst riskieren wir Massentourismus“

Wie viele Besucher verträgt Südtirol? Der frühere IDM-Marketingchef kritisiert den Status Quo und fordert eine offene Diskussion.
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Jedes Jahr steigt die Anzahl der Ankünfte und Nächtigungen um weitere durchschnittlich drei Prozent. Im Tourismusjahr 2017/18 kamen 7,5 Millionen Besucher in Südtirol an, bei insgesamt 33,2 Millionen Übernachtungen. Ist das zu viel? Thomas Aichner, der früher Marketing-Chef von IDM war und heute für Salewa arbeitet, sieht den Südtiroler Tourismus an einer Weggabelung.

Herr Aichner, Sie haben gute 20 Jahre lang daran gearbeitet, Südtirol als Tourismus-Destination attraktiv zu machen. Wofür steht die Marke „Südtirol“ heute?
Südtirol steht heute für erstklassigen Service und gilt als Schnittstelle zwischen dem Mediterranen und dem Alpinen. Diese Schnittstelle haben wir aktiv und mit Erfolg vermittelt. Außerdem kommen die Menschen wegen der regionalen Kultur und Natur hierher. Beides, Kultur und Natur, hängt in Südtirol eng zusammen.

Damit hat man es geschafft, auch immer mehr Besucher ins Land zu holen. Der Tourismus ist heute ein zentraler wirtschaftlicher Faktor. Wie unverzichtbar ist er für die Südtiroler Wirtschaft tatsächlich?
Ich möchte den ersten Teil Ihrer Frage kurz korrigieren: Dass immer mehr Menschen Südtirol besuchen, ist nicht nur der Vermarktung Südtirols zu verdanken, sondern einem allgemeinen Trend, der von fernen Destinationen hin zu näheren Zielen führt. Davon profitieren zurzeit alle alpinen Regionen.

Ein Trend zum regionalen Urlaub also?
So kann man es durchaus nennen. Städtetrips quer durch Europa haben an Attraktivität verloren, jetzt geht es den Menschen mehr um die sogenannten „hidden places“. Davon hat Südtirol profitiert.

Nochmal die Frage: Wie unverzichtbar ist der Tourismus für die Südtiroler Wirtschaft?
Der Tourismus gehört zweifellos zu den tragenden Pfeilern der Südtiroler Wirtschaft, vor allem in Verbindung mit der Landwirtschaft. Der Tourismus ist im Grunde der beste Werbeträger für Südtiroler Produkte. Wer die Region bereits aus dem Urlaub kennt, greift im heimischen Supermarkt gerne wieder zu Äpfeln, Wein oder Speck, die aus Südtirol kommen.

Thomas Aichner mit seinem Sohn Jakob. Auch für dessen Zukunft wünscht er sich den Erhalt der Südtiroler Landschaft.

Sprechen wir über Zahlen: 7,5 Millionen Ankünfte verzeichnete Südtirol im Tourismusjahr 2017/18. Zum Vergleich: Bayern hatte nur fünf Mal mehr Ankünfte als Südtirol (37 Mio.) bei 26 Mal mehr Einwohnern.
Von solchen Zahlen halte ich, ehrlich gesagt, wenig. In Bayern ist allein schon München, eine Millionenstadt, mit seinem Oktoberfest für ein Millionenpublikum verantwortlich. Außerdem ist Bayern zum größten Teil flach, während Südtirol eine gebirgige, alpine Gegend ist. Das sind unterschiedliche Parameter, die beide Regionen in Hinsicht auf ihre Tourismusverträglichkeit völlig unvergleichbar machen. Die Frage, wie viele Menschen eine Region verträgt, ist deswegen sehr spezifisch zu stellen. 200 Leute, die ins Pfossental gehen, fallen auf, aber auf dem Marienplatz in München machen sie keinen Unterschied.

Eben deswegen ist es bemerkenswert, dass Südtirol im Verhältnis zur Einwohnerzahl so viel mehr Touristen aufnimmt als Bayern. Viele Einwohner sehen aber eine Obergrenze erreicht: weil die Lärmbelastung zu hoch ist, die Mobilität leidet, die Landschaft verbaut wird…
Zuerst möchte ich Ihnen eine Gegenfrage stellen. Woraus schließen Sie, dass Südtiroler weniger Tourismus wollen? Berufen Sie sich auf persönliche Gespräche aus Ihrem Bekanntenkreis oder auf Studien?

Was mir vorliegt, ist ein Papier des Kompetenzzentrums Tourismus und Mobilität der Uni Bozen. Dort wird, auch unter Berufung auf Stimmen aus der Bevölkerung, eine Neuausrichtung des Tourismus gefordert, die auf Qualität statt Quantität setzt.
Ich meine aber eine handfeste Umfrage zum Thema. Der HGV hat nämlich eine solche Umfrage durchgeführt und die Ergebnisse zeigten, dass die Südtiroler sich mehrheitlich nicht vom Tourismus gestört fühlen. Mit zwei zentralen Einschränkungen: Die eine Einschränkung ist der zusätzliche Verkehr, der durch die Touristen entsteht, die andere Einschränkung sind die Spitzen des Touristenandrangs, also Ferragosto und Weihnachten. Ich persönlich glaube, dass es sehr wohl Grenzen braucht, aber finde es problematisch, das an reinen Zahlen festzumachen. Zahlen sind sehr abstrakt, sie berücksichtigen überhaupt nicht, ob die Menschen an bestimmten Spitzen oder übers Jahr verteilt kommen, ob sie im Auto oder mit dem Zug anreisen.

„Wir brauchen mehr Mut, den Tourismus mit gezielten Maßnahmen nach Qualität auszurichten. So, wie es jetzt läuft, riskieren wir zu einer Massentourismus-Destination zu werden.”

Wie soll man dann eine solche Obergrenze setzen?
Wir brauchen mehr Mut, den Tourismus mit gezielten Maßnahmen nach Qualität auszurichten. Dann werden die Zahlen ganz von allein begrenzt, weil es viele Menschen gar nicht mehr interessiert. So aber, wie es jetzt läuft, riskieren wir zu einer Massentourismus-Destination zu werden.

Welche Maßnahmen sollte man konkret treffen?
Ein Beispiel: Wenn man die Bergpässe für den Verkehr sperrt, dann kommen automatisch diejenigen nicht mehr, die am liebsten mit Auto und Motorrad unterwegs sind. An ihrer Stelle kommen die Menschen, die sich darüber freuen, die Berge mit dem Fahrrad oder zu Fuß zu entdecken.

Zahlen spielen keine Rolle, sagen Sie. Wie soll man dann feststellen, ab welchem Punkt solche Maßnahmen getroffen werden sollen?
Jede Region ist hier einzeln gefordert, ihre Kriterien zu setzen. Für mich gibt es zwei wichtige Parameter. Der eine ist der ökologische Parameter: Darunter fallen Faktoren wie Lärmverschmutzung, Müllproduktion, Verkehr. Der andere ist ein sozialer Parameter: Wann fühlen sich die Einwohner der Region, aber auch die Gäste selbst, vom übermäßigen Tourismus gestört? Darüber braucht es eine offene Diskussion, der sich auch die Hotellerie mutig stellen muss, ohne die Angst vor Öko-Freaks, sondern auch im Interesse langfristiger Wirtschaftlichkeit.

Wie sieht es in Südtirol aus? Gibt es eine solche Diskussion?
Die Diskussion wird auf Ortsebene bereits vielfach geführt, zum Teil sehr emotional. Ein Beispiel ist der Pragser Wildsee, aber auch in Gröden oder in Meran ist es laut geworden. Das ist gut so. Was ich bei solchen emotionalen Debatten aber vermisse, ist die Sachlichkeit. Es braucht Fakten, um gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Ohne einen Konsens wird sich nichts ändern.

„Wir können weitere Seilbahnen errichten oder Hotels an Orten bauen, wo es früher gar nicht möglich gewesen wäre. Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Wollen wir alles tun, was wir tun könnten?”

Wie schätzen Sie persönlich die Situation ein? Ist genug oder geht noch mehr?
Wir befinden uns in meiner Sicht an einem Scheideweg. Heute haben wir großen Erfolg und verfügen auch über die technischen Möglichkeiten, noch weiter zu wachsen. Wir können weitere Seilbahnen errichten oder Hotels an Orten bauen, wo es früher gar nicht möglich gewesen wäre. Die Frage, die sich nun stellt, lautet: Wollen wir alles tun, was wir tun könnten? Wir wollen erfolgreich sein, aber welche Art von Erfolg wollen wir haben? Und vor allem: Was wollen wir für die nächste Generation?

Wie sieht es innerhalb der IDM aus? Wo will man heute hin?
Meine Erfahrung ist, dass die Mitarbeiter der IDM, die sich, so wie ich, sehr intensiv mit dem Thema befassen, im positiven Sinne kritisch eingestellt sind: Sie vergleichen Vor- und Nachteile, reflektieren und überlegen, wie die Marke im Sinne von Qualität und Nachhaltigkeit weiterentwickelt werden sollte. Gleichzeitig ist die IDM einem starken Druck aus der Wirtschaft ausgesetzt. Die IDM ist zurzeit in einer Phase, sich selbst zu finden: Wie weit ist man ein Dienstleister der Wirtschaft, wie weit will man ein Korrektiv, eine Denkfabrik sein? Es hängt von der neuen Führung ab, sich zu positionieren.

Vor einem Jahr haben Sie darauf verzichtet, sich noch einmal bei der IDM für die Position des Marketingchefs zu bewerben. Dabei hätten Sie doch gerade jetzt viel bewirken können?
Ich durfte fast 20 Jahre im Südtiroler Tourismus mitarbeiten und mitbauen, einige Jahre lang sogar in einer Führungsposition. Es hätte sicher viel dafürgesprochen zu bleiben und weiter zu debattieren und mitzugestalten. Es hat aber letztlich für mich mehr dafürgesprochen, in meinem Leben noch einmal etwas Neues anzufangen. Ich finde es auch wichtig, dass jetzt neue Köpfe die Möglichkeit erhalten, dieses Thema weiterzudenken.

Während wir noch diskutieren, wurden anderswo bereits radikale Lösungen gefunden. Im Königreich Bhutan muss jeder Tourist eine Tagessteuer von 250 Dollar zahlen, erhält dafür aber auch eine organisierte Tour, Unterkunft und Transport. Das soll einen Tourismus des „low impact, high value“ sicherstellen. Könnte das auch eine Lösung für Südtirol sein?
Als junger Bergsteiger wollte ich nach Bhutan reisen, konnte es mir aber nicht leisten, weil mir das zu teuer war. Das finde ich sehr schade und unfair: Wenn ein Land versucht, den Tourismus mit Steuern zu lenken und dann nur noch die Menschen kommen, die es sich leisten können und nicht diejenigen, die es am meisten wertschätzen. Worauf es ankommt, ist etwas anderes. Ein Land muss sein Angebot, mithilfe einer entsprechenden Marke, so ausrichten, dass es nur noch die Menschen interessiert, die es wirklich wertschätzen. Und dass diese auch bereit sind, einen fairen Preis dafür zu zahlen. Aber das ist dann keine leere Steuer, sondern der Preis für ein reales, hochqualitatives Produkt, von dem am Ende alles etwas haben: der Bauer, der Handwerker und natürlich der Gast.

Vielen Dank für das Gespräch!

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