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Simon Kienzl
Veröffentlicht
am 14.12.2022
LebenInterview mit Riccardo Dello Sbarba

„Keinen Elitarismus, sondern Empathie“

Veröffentlicht
am 14.12.2022
Sind die Klima-Aktivist*innen mit ihren immer radikaleren Aktionen auf dem richtigen Weg? Der Grüne Riccardo Dello Sbarba gehörte der italienischen Studentenbewegung der 70er-Jahre an und sagt: Die Menschen dürfen nicht belehrt, sie müssen für einen gesellschaftlichen Wandel gewonnen werden.
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Aktivisten vom Aufstand der Letzten Generation blockieren gemeinsam mit Scientist Rebellion den World Health Summit in Berlin.

Blockierte Autobahnen, besetzte Vorlesungsräume oder Tomatensoße auf Van Gogh: Seit Wochen polarisieren diese und andere radikale Aktionen von Klima-Aktivist*innen im In- und Ausland. Sie sollen die Menschen für die drohende Klimakrise sensibilisieren, stoßen dabei aber immer wieder auf vehemente Kritik. Einige Stimmen gehen sogar so weit, von „Klima-Terrorismus“ oder der „Klima-RAF“ zu sprechen. Der Abgeordnete der Grünen im Landtag Riccardo dello Sbarba hat als politisch aktiver Student in den 1970er-Jahren diesen radikalen Widerstand gegen den Staat selbst miterlebt. Wir haben mit ihm deshalb über diese neuen und alte Formen des Widerstandes gesprochen und die Frage gestellt: Wie können die Menschen für einen wirklichen gesellschaftlichen Wandel gewonnen werden?

Was halten sie von den radikalen Formen des Klimaprotests der letzten Wochen?
Es gibt eine schöne Redewendung: Quando il saggio indica la luna, lo stolto guarda il dito. Wenn der Weise auf den Mond zeigt, starrt der Dumme auf den Finger. Deshalb sollten wir beim Mond beginnen. Der Mond meint die derzeitige Lage, in die wir uns in Sachen Klimaschutz manövriert haben. Es ist eine mehr als dramatische Situation, das ist der Punkt. Und das wissen wir seit Jahrzehnten. Abgesehen von Absichtserklärungen auf Weltklimagipfeln ist aber noch nicht viel passiert. Auch in Südtirol nicht. Und in allen Krisensituationen gibt es nur zwei Alternativen: Entweder das System ist bereit und fähig, sich zu reformieren oder es bilden sich radikalere Formen des Protests gegen das System. Seit der französischen Revolution ist dem so. Und ich bin überzeugt, dass vor allem die jüngeren Generationen die Dringlichkeit und die Krise dramatisch wahrnehmen. Sie werden einmal auf diesem erwärmten Planeten mit Millionen Klimaflüchtlingen leben müssen, sie sehen die Auswirkungen der Klimakrise auf ihr eigenes Leben real vor sich und sind zu Recht enttäuscht von der Untätigkeit der Regierungen.

Riccardo Dello Sbarba sitzt für die Grünen im Südtiroler Landtag.

Aber was halten sie von den Protesten? Oder um in ihrem Bilde zu bleiben: Ist es nicht ein Mittelfinger, mit dem hier auf dem Mond gezeigt wird?
Diese radikalen Formen des Protests sind sicher provokant, aber vielleicht kontraproduktiv, weil sie genau die falsche Reaktion in den Menschen hervorrufen. Ich persönlich würde keine Tomaten auf einen Van Gogh werfen, ich hätte nicht den Mut (lacht). Aber auch weil Van Gogh allen Menschen gehört, ebenso wie das Klima des Planeten. Ich möchte diese Proteste aber verstehen und würde sagen, sie entstehen aus der Enttäuschung und der Notsituation, in der wir uns befinden, und versuchen die Verantwortlichen in Staat und Politik zum Handeln zu bringen.

Oder zu zwingen? Es gibt Stimmen, die in den Klima-Aktivist*innen eine neue „Klima-RAF“ sehen. Sie selbst waren in den politisch umkämpften Jahren nach 1968 in der Studentenbewegung aktiv. Damals wurde tagtäglich auf die Straße gegangen, um sich gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung zur Wehr zu setzen. Immer wieder kam es bei Straßenkämpfen zu Toten. Was sagen sie zu diesem Vergleich mit der RAF?
Ich habe zwischen 1973 und 1979 an der Universität Pisa studiert, genau in den Jahren des gewaltbereiten und bewaffneten Widerstandes gegen den Staat und war schon seit 1969 in der Gruppe Il Manifesto selbst aktiv. 1976/77 waren die Jahre der RAF, 1978 wurde der italienische Ministerpräsident Aldo Moro von den Brigate Rosse entführt. Ich habe diese Jahre des Terrorismus leider in actu miterlebt. Deshalb kann ich vor allem eines sagen: Wer sich für den Terrorismus entschied, ging gleich danach in den Untergrund. Man sah diejenigen plötzlich nicht mehr auf den öffentlichen Versammlungen an der Universität. Es ging ihnen sicher nicht darum, zu provozieren oder zu sensibilisieren und auch nicht politische Entscheidungsträger zum Handeln zu bringen, sondern sie umzubringen! Töten oder den Fabriksleitern in die Beine schießen war für sie keine „Propaganda“ für die Bewegung. Sondern das, was es zu tun galt, war, die Feinde der Revolution direkt zu treffen. Dies ist ein wesentlicher Unterschied.

Sie sahen sich sozusagen als Soldat*innen der Revolution?
Ja! Sie sahen sich als Soldat*innen der Revolution und wie Militärs ging es ihnen darum, den anderen zu verletzen oder zu töten, ohne dabei selbst etwas zu riskieren. Die eigene Haut retten, nicht gefasst werden, ihr Ziel war es schließlich eine nächste Aktion durchzuführen. Wie eine bewaffnete Guerilla. Jetzt sehe ich aber: Die jungen Protestierenden gehen zuallererst selbst ein Risiko ein, sie stellen sich auf die Straße. Und vor allem: Es ist keine gewalttätige Form des Protests. Die Protestierenden haben keine anderen Menschen angegriffen. Ihre Aktionen richten sich gegen symbolische Gegenstände, ihr Ziel ist sozusagen eine aufsehenerregende Aktion, damit die Menschen die Augen öffnen. Sie richten sich an eine Öffentlichkeit. Die Terrorist*innen hingegen wollten Personen treffen, die in ihren Augen, wie zum Beispiel Hans Martin Schleyer in Deutschland, Klassenfeinde waren, die der Revolution im Wege standen.

Der Protest wurde somit seinerseits autoritär?
Genau. Er wurde somit prätentiös, bevormundend und herablassend, und letzten Endes autoritär. Tatsächlich haben diese Gruppierungen Todesurteile ausgesprochen, ohne eine Rechtsprechung, auf die sie sich berufen konnten. Die Klima-Aktivist*innen fällen keine Urteile, setzen sich selbst nicht an die Stelle anderer oder einer Bewegung, sie wollen die öffentliche Meinung sensibilisieren. Mit den Aktionen an sich kann man dann natürlich einverstanden sein oder nicht.

Ich hoffe und würde alle einladen, auf dieser Ebene der Gewaltlosigkeit zu bleiben.

Sind sie mit diesen Aktionen einverstanden?
Ich bin nicht unbedingt einverstanden, da sie polemisieren und kontraproduktiv zu sein drohen. Statt den Menschen das Thema Klimakatastrophe näherzubringen, polarisieren sie, erhitzen die Gemüter und entfernen sicherlich auch einige vom Thema des Klimawandels. Aber man muss es noch einmal wiederholen: Bis jetzt sind es nicht gewalttätige Aktionen. Ich hoffe und würde alle einladen, auf dieser Ebene der Gewaltlosigkeit zu bleiben. Aber ich würde sagen, es gibt auch andere Wege und Formen des Protests. Was mich nachdenklich stimmt: Auch in diesen Protestformen ist eine gewisse Form des Elitarismus erkennbar. Was sich mir zeigt: die Klimaaktivistin*innen als Elite, die alles verstanden hat, während der Rest der Bevölkerung nichts begreift. Und das ist, davon bin ich überzeugt, falsch. Es stimmt nicht, dass die Menschen die Dringlichkeit nicht sehen. Sie brauchen aber konkretere Alternativen. Ich würde weiter an diesen Alternativen arbeiten.

Die Protestierenden in den 70er-Jahren hatten noch das Ideal einer Welt der Gleichen vor Augen, die Alternative hieß Sozialismus. Bleibt im Klimakollaps der jungen Generation nur der Kampf für ein Überleben?
Natürlich geht es heute zuallererst um das Überleben, weil eben dies zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte auf dem Spiel steht. Wenn dies der Ausgangspunkt ist, glaube ich aber, dann führt die Lösung automatisch dazu, über ein anderes Leben und über Alternativen nachzudenken. Die Welt, in der weniger CO2 ausgestoßen wird, wird meines Erachtens notwendig nicht nur zu einer Welt, die neue Technologien anwendet, sondern eine Welt mit einer anderen, neuen Gesellschaft. Die Lösung kann nicht nur eine technische sein. Wer glaubt, es reiche Solarzellen, Wärmepumpen zu produzieren, irrt sich. Diese Techniken gäbe es ja schon. Wir müssen uns also vielmehr fragen, warum sie nicht angewendet werden. Und dahinter stehen soziale Realitäten. Deshalb muss die gesamte gesellschaftliche Funktionsweise überdacht werden. Und in der Umweltbewegung, bei Fridays for Future beispielsweise, ist dieser Geist, eine neue Welt zu denken, sehr stark und wächst.

Hätten Sie ein konkretes Beispiel hierfür? Wie soll ein solcher Umbau der Gesellschaft funktionieren?
Ich bin zum Beispiel überzeugt, dass die Länder mit hoher sozialer Ungleichheit auch die Länder sind, die am meisten CO2 ausstoßen. Deshalb ist der Schlüssel, um die Klimakrise anzugehen auch und vor allem Klima-Gerechtigkeit: den Kampf gegen den Klimawandel mit sozialer Gerechtigkeit zu vereinen. Hin zu einer Gesellschaft, die anders funktioniert, nicht auf die Logik des maximalen Profits und der Ausbeutung aufbaut. Denn wer die Natur ausbeutet, beutet auch die Menschheit aus.

Und in der Umweltbewegung, bei Fridays for Future beispielsweise, ist dieser Geist, eine neue Welt zu denken, sehr stark und wächst.

Eine Verknüpfung dieser beiden Herausforderungen scheint tatsächlich zentral. Der technische Fortschritt hat zu einer Ausbeutung von Mensch und Natur geführt. Die linken Strömungen der 70er Jahre scheinen eben diese Verbindung nicht erkannt zu haben?
Nein. Es ist deshalb klar, dass die Alternative nicht die des alten theoretischen Instrumentariums der Linken sein kann. Ich bin aus den linken Basisbewegungen der 70er-Jahre ausgestiegen, da für mich die „klassische“ kommunistische Linke in Kategorien aus dem 19. Jahrhundert verharrte. Sie sah als einzigen Widerspruch jenen zwischen Arbeiter*innen und Ausbeutern und hat die Alternativen in eine einfache Realität gefasst, in der zwei Klassen aufeinandertreffen: Die eine befreit die Welt, die andere unterdrückt sie und die Proletarier haben deshalb nichts zu verlieren außer ihren Ketten. Ich habe mich mit dem Gefühl entfernt, dass die moderne und postmoderne Gesellschaft viel komplexer sei.

Doch wie kann man dieser komplexen gesellschaftlichen Realität begegnen?
Konkret bin ich aus den Bewegungen ausgestiegen, da ich das Gefühl hatte, einige Herausforderungen werden übersehen. Vor allem die Umweltproblematik, aber auch die Frage nach den Geschlechterverhältnissen, dem Verhältnis zwischen Mann und Frau, und die Unterdrückung, die auch hier herrscht, auch innerhalb der Arbeiterbewegung. Sexismus, Umweltschutz, das waren Fragen, mit denen sich die Arbeiterbewegung nicht auseinandergesetzt hat. Feministische Strömungen wurden von vielen sogar als eine Spaltung der Bewegung abgelehnt. Und ich war auch zunehmend überzeugt, dass bei all den Fortschritten, die die Arbeiterbewegung in Europa und Amerika erreicht hat, auch andere, die sogenannte „dritte Welt“ den Preis dafür bezahlt haben. Der Kuchen zum Verteilen zwischen Arbeiter*innen und Besitzenden wurde größer, die Löhne und Profite stiegen, aber die Zutaten für diesen Kuchen lieferte ein anderer Teil der Welt: die Ausbeutung der Ressourcen und Menschen in den Entwicklungsländern.

Begegnen die Protestbewegungen der Gegenwart dieser Komplexität?
Ich bin überzeugt, dass in den jungen Generationen und in der Umweltbewegung eine starke Reflexion und Bewusstsein für diese Fragen vorherrscht. All das ist im Vergleich zu den 70er-Jahren, in denen die Revolution hinter der Ecke zu warten schien, immer zum Greifen nah, eine viel komplexere Aufarbeitung und ein viel fortschrittlicher Aufbruch, hin zu einer wirklich neuen Gesellschaft. Wenn wir also all diese Schritte nach vorne, die in der politischen Kultur in den letzten Jahrzehnten gemacht wurden, mit der Klimakrise vereinen, dann bin ich überzeugt, dass sich hier ein Antrieb für eine neue Bewegung und eine wirkliche Alternative bildet. Diese Bewegung darf aber, das würde ich gerne wiederholen, nicht gewalttätig und nicht elitaristisch sein.

Die Jugendlichen und auch die Wissenschaftler*innen, die am meisten verstanden haben, sollten sich nicht als eine Elite sehen, die den Rest der Welt belehrt. Es braucht keinen Elitarismus, sondern Empathie.

Ist die Klimabewegung derzeit etwa elitaristisch?
Nein, aber darin sehe ich eine reale Gefahr: Die Jugendlichen und auch die Wissenschaftler*innen, die am meisten verstanden haben, sollten sich nicht als eine Elite sehen, die den Rest der Welt belehrt. Der Schlüssel muss sein, dass die Menschen die Klimakrise inzwischen real wahrnehmen. Die Gefahren werden immer deutlicher. Deshalb braucht es keinen Elitarismus, sondern Empathie. Die Menschen leben ohnehin schon in einer schwierigen alltäglichen Realität mit zahlreichen Herausforderungen und wollen deshalb nicht akzeptieren, dass sie von oben herab belehrt werden, vielmehr muss man ihnen mit Empathie begegnen.

Das klingt natürlich schön und gut. Aber was kann und soll das heißen?
Ich würde hierzu zum Beispiel vorschlagen, den häufig gehörten Slogan „Weniger ist mehr“ in „Anders ist mehr“ umzuformulieren. Die Menschen erleben tagtäglich selbst dieses Weniger und dann kommen noch Umweltschützer*innen, die ihnen die Notwendigkeit und Aussicht auf Verzicht vor Augen halten. Die sagen: Ihr müsst verzichten! Die Herausforderung ist aber nicht zu verzichten, sondern die Dinge anders und neu zu gestalten. Und wenn wir das schaffen, fühlen wir uns am Ende vielleicht sogar reicher. Wir können zum Beispiel viel von anderen Menschen und Gemeinschaften lernen.
Für einen Dokumentarfilm bin ich 2007 nach Nairobi gereist und habe im Slum Korogocho die Armut und das Leid der Vorstädte, der baraccopoli erlebt, aber auch eine ganz eigene Form der Freude und des Reichtums in den Dörfern fernab dieser Realität am Rande der westlichen Hochhausviertel. Und die Sache ist: All diese Menschen und Völker müssen nicht unsere Lebensweise übernehmen, sondern vielmehr muss unsere Lebensweise dekonstruiert werden. Es geht darum, andere Lebensweisen zu denken, von anderen Lebensweisen zu lernen. Und all dies mit etwas Bescheidenheit. An der Idee eines anderen Reichtums mitzuarbeiten. Das Problem ist dann nicht mehr der Verzicht, wir müssen auch auf die Lust, die Freude bauen, die Dinge anders zu machen.

Warum sollten die Menschen auf ihre Privilegien verzichten und Lust darauf haben, die Dinge anders zu machen?
Im Corona-Lockdown hatte man das Gefühl, dass sich eben hierfür ein Fenster öffnet. Natürlich haben wir damals alle unter den Einschränkungen gelitten. Aber gleichzeitig haben viele entdeckt, dass man die Dinge auch anders machen kann. Weil man abends eben nicht schnell mal den günstigsten Flug buchen konnte, musste man das Naheliegende entdecken. Und auch in Bozen haben viele zunächst notgedrungen die Stadt spazierend erkundet, dabei aber zunehmend eine Schönheit erkannt, eine Freude daran, durch die Stadt zu schlendern, Dinge wahrzunehmen, die sie vorher nicht gesehen hatten. Das ist damals zwangsläufig so passiert. Aber wir müssen jetzt alle bewusst daran arbeiten, zu erkennen und zu zeigen, dass der Reichtum greifbar ist. Ein anderer Reichtum, den wir nicht sehen und der uns auch vorenthalten wird.

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