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Vera Mair am Tinkhof
Veröffentlicht
am 02.10.2013
MeinungOne Song One Story

Weil ich ein Mädchen bin

Veröffentlicht
am 02.10.2013
Man muss in keine Schublade rein und in keiner bleiben, wenn man das nicht will.
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Ich bin mit der Gesamtsituation unzufrieden, so nennt man das, glaube ich.

Ich mache jetzt was, was ich eigentlich nie tun wollte: Ich springe auf den Zug der jammernden Frauen auf, die sich stets beschweren, dass es ihnen im Berufsleben so schwer gemacht wird, und dass die Gleichberechtigung faktisch immer noch nicht in der Gesellschaft angekommen sei.

Dieses Jahr im Frühling war ich bei einer Podiumsdiskussion zu dem Thema, ich sollte den Standpunkt junger Studenten erklären. Die Gleichstellungsrätin Simone Wasserer war dabei und noch einige andere, die es ganz süß und ein wenig naiv fanden, wie überzeugt ich davon war, dass Frauen nichts mehr zu jammern hätten. Ich meinte damals ehrlich und aufrichtig, dass die letzten Barrikaden in den Köpfen der Frauen selbst liegen, weil sie sich nichts zutrauen und so weiter, aber wenn sie nur wollen, dann geht’s ganz easy.

Ich muss diese Meinung ein wenig revidieren.

Ich arbeite ja für dieses schöne Onlinemagazin. Dazu kam es folgendermaßen: 2012 ging ich für ein Praktikum nach Köln und sammelte in einer Wirtschaftsredaktion erste Erfahrungen im Bereich Journalismus. Wir waren Textzulieferer für die Financial Times und andere seriöse Magazine. Praktikanten wurden richtig eingespannt, das fand ich gut. Am zweiten Tag saß ich in einer Telefonkonferenz mit dem Pressesprecher einer großen deutschen Bank und einem derer Rohstoffexperten, und sollte mit denen über den Ölpreis reden. Es war schrecklich. Wir waren auch noch in einem Großraumbüro, mein Chef saß hinter mir und hörte meine ganzen dummen Fragen, mit denen ich meine Unwissenheit über Brent und WTI und Fracking nur dürftig zu verschleiern wusste. Aber es lief irgendwie. Drei Monate lief es, und in der Zeit lernte ich viel dazu. Dann ging´s zur ff. Auch da durfte ich Texte schreiben, zu diversen Themen: Portraits, Politik, Prostituiertenproblematik.
Letzteres, in Kombination mit einem Portrait über eine Südtiroler Pole-Dancerin, muss der Grund gewesen sein für alles Weitere. Erkennt man als Frau erst einmal an, dass es so was wie Sex und Erotik gibt, kommt man von der Schiene nie wieder runter.

So Anfang dieses Jahres kontaktierte mich einer der Initiatioren von BARFUSS, dieser schönen Plattform hier, und fragt mich, ob ich bei ihrem neuen Onlinemagazin mitmachen möchte. Ja, auf jeden Fall, sagte ich, und wir verabredeten uns auf einen Kaffee, um die ganze Sache mal durchzusprechen. Wir kamen auf mögliche Inhalte meiner Mitarbeit zu sprechen. Der Vorschlag war der einer Sex-Kolumne, die bräuchte es noch. Ach so, sagte ich. Ich wusste nicht, was mich dazu qualifizieren sollte, außer dass ich weiblich bin und in einem Alter, in dem Sex noch ein Thema ist. Ich hatte mich bislang nie über mein Sexleben geäußert, ich hatte keine Ahnung, warum gerade ich. Ich hatte auf dem Gebiet in journalistischer Hinsicht nichts abgeliefert. Ich hatte über den Forschungsstandort Österreich geschrieben und den Ölpreis und über Gold als Vermögenswert. Aber eben, ich hatte für die ff dieses Pole-Dance-Portrait gemacht, und anlässlich des damaligen Mordes an einer Prostituierten ein Interview mit einem Puffbesitzer. Dieses war Teil einer größeren Berichterstattung unter der Leitung von Norbert Dall´O (zu der Zeit noch Chefredakteur), der die restliche Reportage über das Rotlichtmilieu schrieb – ich würde gern wissen, wie viele Angebote für Sex-Kolumnen er im Anschluss bekommen hat.

Natürlich war meine Mitarbeit nicht ausschließlich an eine Sex-Kolumne gekoppelt. Ich schrieb also mit allen Freiheiten über andere Themen, und alles war gut. (Wenn ab und zu das Wort „vögeln“ im Text vorkam, war natürlich noch besser, denn das treibt Klicks in ungeahnte Höhen.) Ich dachte also nicht mehr groß über die Sache nach.

Dann, allerdings, vor nicht allzu langer Zeit, veröffentlichten wir hier auf BARFUSS einen schönen Kommentar von Oliver Kainz über die Südtiroler Piratenpartei. Mhm, dachte ich ein wenig neidisch, warum darf der das machen? Ich muss dazu sagen, dass ich mich mit den Südtiroler Piraten auskenne. Ich war bei ihrer Gründung im August 2012 dabei, aus rein journalistischem Interesse, natürlich. Ich war am nächsten Tag bei der offiziellen Pressekonferenz dabei. Ich habe mit Günther Mair und Andreas Mutschlechner, Parteigründer und -mitglieder der ersten Stunde, ein Interview zur Sache geführt. Ich habe darüber dann einen Bericht für die ff geschrieben, und mich mit einem Kommentar zum Thema für eine Journalistenschule in Hamburg beworben. Trotzdem sah man meine Stärken eher in anderen Bereichen. Themenvorschläge, die an mich herangetragen wurden, waren die Südtiroler Datingwelt und Begleitagenturen („Das Schnaxl-Portal“ hieß der Bericht der Tageszeitung, der mir als Input dienen sollte). Außerdem ein Vorschlag für meine Kolumne: Ich sollte doch darüber schreiben, was bei Frauen und Männern so gar nicht geht, warum bei Frauen Achselhaare unsexy sind, und bei Männern Socken beim Sex. Das sei doch sicher witzig. Ich fand das nicht so witzig. Ich will nicht über weibliche Achselhaare referieren.

Ich will das nicht auf das Geschlechterverhältnis reduzieren, ich will nicht glauben, dass man Oliver die anspruchsvollen Themen eher zutraut, bloß weil er ein Mann ist. Denn so ist es nun wirklich nicht: Natürlich werden wir Frauen hier nicht anders behandelt als die Männer in der Runde, natürlich nimmt man uns für völlig voll. Das Ganze war bei uns noch kein Thema, bis ich es jetzt zu einem mache.

Ich hinterfragte mich also selbst: Vielleicht habe ich mich selbst aus dem Schussfeld für die guten Themen gebracht, vielleicht war ich zu wenig seriös, zu wenig ernsthaft. Ich mache manchmal dumme Witze. Ich denke nicht ständig über Fukushima und Monsanto nach. Ich kann einfache Dinge ganz gut finden. Ich habe nicht die intellektuelle Aura einer Judith Butler (aber ich weiß, wer Judith Butler ist, verdammt nochmal). Wenn ich aber schreiben muss, da hatte ich noch nie ein Problem mit mir. Das lief immer ganz gut. Vielleicht muss ich das aber besser nach außen vermitteln, überlegte ich. Vielleicht sollte ich seriöser auftreten, sonst muss ich ein Leben lang über No Gos beim Sex schreiben, während alle anderen die tollen Themen absahnen. Ich werde mir eine Hornbrille kaufen, dachte ich, und von nun an zum Lachen immer in den Keller gehen.

Im selben Moment ärgerte mich dieser Gedankengang auch schon wieder. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich, dass für Frauen und Männer in der Berufswelt (unbewusst und unabsichtlich) doch vielleicht andere Standards gelten: Muss man als Frau ständig den Eindruck machen, als würde man sich in Vollzeit über den desolaten Zustand der Welt empören, um als kritischer Geist wahrgenommen zu werden? Bei Männern, so scheint es, ist es der Karriere nur zuträglich, am Feierabend auch mal einen seichten Witz zu machen und so zu tun, als fühle man sich auch abseits des Schreibtisches ganz wohl. Unser Landeshauptmann steht auf Festen nicht schüchtern im Eckchen rum. Nur Merkel sieht aus, als ziehe sie ihr Büro jeder Party vor.

In der Männerwelt ist der Beamtentypus nicht so gefragt. Da gilt es als großes Plus, wenn der Workaholic nach Feierabend zum vollwertigen Mitglied der Spaßgesellschaft wird, wenn er sich auf dem gesellschaftlichen Parkett mit ein wenig Unterhaltungswert bewegen kann: Der kann schäkern, der kann feiern, der ist auf Zack! Männer dürfen spielen. „Work hard, play hard“, scheint da das Motto. Das finde ich eine gute Einstellung. Aber für Frauen scheint anscheinend nur zu gelten: „Work hard!“ Spielfreude ist da der Kompetenz schon abträglich. (Da landet man irgendwann in einer Schublade, und aus der kommt man nie wieder raus. Ich habe euch gewarnt. Sprecht nie über Lindsay Lohan´s Nippel, oder ähnliches.)

Ein gesunder Geist in einem gesunden Körper – das Ideal ist alt, und das Ideal ist gut. Als Frau wird man aber gern entweder auf Körper oder Geist reduziert – entweder man schreibt über Brüste oder für das Feuilleton. Ich frage mich, ob man sich da wirklich entscheiden muss, denn irgendwie habe ich keine Lust dazu.

Aber natürlich muss man nicht jammern. Man ist nie nur Opfer. Ich kann das Problem zur Sprache bringen, und vermutlich ist dann eh alles gut, und ich kann über Piraten und Politik und Polysaccharide schreiben, solange ich Lust und Laune habe. Es ist wie immer alles nur halb so schlimm. Man muss in keine Schublade rein und in keiner bleiben, wenn man das nicht will – aber am besten wäre natürlich, wenn es derer keine gäbe.

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