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Illustrations by Sarah
Barbara Plagg
Veröffentlicht
am 17.12.2018
MeinungKommentar über Fake News

Die Dekonstruktion der Realität

Millionen Nutzer reproduzieren in sozialen Medien falsche Fakten, wissentlich oder nicht. Das größte Problem mit der digitalen Dekonstruktion der Realität bleiben aber die analogen Konsequenzen.
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Christopher Blair, der König der Fake News, hatte eigentlich nur einen Witz machen wollen. Dass „Allah“ Gehirnkontrolle bedeutet, zum Beispiel. Blairs Ironie, die ironischerweise von vielen für bare Münze gehalten wurde, hat zu ihren Bestzeiten mithilfe von russischen Fake-News-Seiten bis zu sechs Millionen Menschen erreicht. Noch immer ist der Facebook-Account bei konservativen Trump-Unterstützern populär, die den Witz im Witz nicht verstehen. „Je extremer wir werden, desto mehr Leute glauben es“, sagt Blair. Und: „Egal wie rassistisch, wie bigott, wie beleidigend, wie offensichtlich unecht wir werden, die Leute kommen immer wieder.“ Für Fake News scheint es keine Anstandsgrenze zu geben, im Gegenteil – je abstruser, desto besser.

Die Wirkmacht der sozialen Medien ist enorm. So richtig einschätzen kann keiner, wohin das alles führen soll. Der Datenskandal um Cambridge Analytica in der US-Wahl ist dabei nur die Spitze des Zuckerbergs. Inzwischen versucht die UN herauszufinden, wie sehr Fake News auf Facebook etwa die völkermordsähnlichen Ausschreitungen gegen die Rohingya in Burma befeuert haben. Die Lynchmorde in Indien, die über WhatsApp-Gerüchte immer wieder wütenden Mob mobilisieren, lassen jedenfalls ahnen, dass ein Sportpalastrede-Effekt potenziell nur ein paar Klicks entfernt ist.

Die Geister, die Zuckerberg rief

Zuckerberg, der bei seinen Anhörungen vor dem EU-Parlament und dem US-Senat aussah wie einer, der sich das alles mal ganz anders vorgestellt hatte, hat sich dieses Jahr bereits bis Mai dreimal entschuldigt. Es täte ihm leid, sagt er und klingt wie der Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nun auch nicht mehr los wird: So genau wisse er jetzt auch nicht, wer die Menschheit in seinem digitalen Mikrokosmos beaufsichtigen kann. Regulierung sei notwendig.

Wenn man den Rechten ihre Märchen verbietet, muss man die dann auch den linken Impfgegnern nehmen?

Nach der Rohingya-Katastrophe löschte Facebook kopflos 1,3 Millionen Accounts. Aber abgesehen davon, dass man eine Regulierung der Fake News rein praktisch gar nicht bewerkstelligen kann, weiß niemand so genau, ob man das theoretisch überhaupt soll. Wo sollte man denn da beginnen? Wenn man den Rechten ihre Märchen verbietet, muss man die dann auch den linken Impfgegnern nehmen? Und ist es schon Manipulation oder nur Malen nach Zahlen, wenn ein Algorithmus stupide die thematisch und ideologisch immer gleich eingefärbten Daten eines Users reproduziert? Wo beginnt Wahrheit, wo endet Freiheit und was wird man wohl noch sagen dürfen?

Unter dem Flaggschiff Meinungsfreiheit segelt das humanistische Ideal unserer zivilisatorischen Errungenschaften in den digitalen Kontrollverlust. Derweil verbreitet Trump im Herbst 2017 kohärenterweise die Fake News, dass er den Begriff Fake News erfunden hat. Hat er natürlich nicht. Weder der Begriff Fake News noch das Konzept ist neu, man erinnere sich etwa an die Dolchstoßlegende oder die Protokolle von Zion, aber in seiner Breitenwirkung sind Fake News bisher am Zenit: Nie zuvor waren so viele Menschen in so vielen Ländern ständig online. Nie zuvor war die Wahrheit so sehr eine Interpretation ihrer selbst. Millionen von Nutzern bedienen sich ihrer als sei sie eine dehnbare Masse, generieren und reproduzieren falsche Fakten, wissentlich oder nicht.

Keiner bei Facebook will Fake News, sagt Zuckerberg und man darf es ihm glauben, er wollte eigentlich nur Studentinnen abchecken und nicht unbedingt Trump, den Brexit oder einen Genozid. Wer das jetzt alles aufräumen soll, bleibt ungewiss. Bedenklich scheint das übrigens nicht jedem: Nach Zuckerbergs Anhörung im Kongress ging die Aktie Facebook mit einem satten Plus von 4,5 Prozent aus dem Handel. Allerdings – seine Frau Priscilla Chan trennte sich nach sechs Ehejahren von ihm.

Das größte Problem mit der digitalen Dekonstruktion unserer Realität bleiben die analogen Konsequenzen.

Im digitalen Zeitalter liegt die Wahrnehmung der Wirklichkeit in der Definitionsmacht derer, die mit ihrer Version der Fakten die meisten Klicks erreichen. Wenn Trump sich aus seinem postfaktischen Ideenkatalog bedient, erreicht er etwa 55 Millionen Nutzer – inklusive der gekauften Fake Follower. Noch so eine Blüte aus dem legalen Graubereich der sozialen Medien, mit der Beliebtheit suggeriert wird und dass man eben irgendwie wichtig und glaubwürdig ist: Mit gekauften Likes und Followern lässt sich durch wettbewerbsrechtliche Irreführung und politischer Einflussnahme vom Duschschaum bis zur politischen Gesinnung alles an den Mann zu bringen.

Überspitzt gesagt bieten in Sozialmedien Menschen, die man so ohne weiteres am frühen Morgen auch nicht mit ihrem Profilbild in Verbindung bringen würde, Produkte, Meinungen und Gesinnungen an, deren Richtigkeit man nicht oder nur schwer überprüfen kann. Das ist nun ein bisschen schade, wenn es sich um Produktplatzierungen handelt, wird aber katastrophal, wenn sich zum Beispiel ein Land aus Versehen aus der EU lügt. Unser Realitätsbegriff ist nun mal dehnbar, weil unsere Wahrnehmung manipulierbar ist.

Die Dekonstruktion unserer Realität

Das größte Problem mit der digitalen Dekonstruktion unserer Realität bleiben die analogen Konsequenzen: Wenn die Realität schwammig wird, wackelt das ganze Wertekonstrukt dahinter. Es wird beschwerlich, wenn man als Gesellschaft wieder von vorn überlegen muss, ob man Ertrinkende aus dem Wasser zieht, Kinder von Müttern trennt, sich über Behinderte lustig macht oder seinen Plastikmüll in den Fluss kickt.

Wer sich durch die sozialen Netzwerke klickt, weiß inzwischen schon gar nicht mehr, ob ihm die schiere Quantität an Nonsense oder die gezielte Propaganda mehr Angst machen soll. In der Welt passiert viel, unabdinglich können wir nur einen sehr bescheidenen Ausschnitt überblicken. Welchen Ausschnitt man wie sieht, trimmen Sozialmedien ihren Usern zurecht. Das kann ganz nett sein, wenn man gern Vintage-Möbel anschaut, aber eben auch dazu beitragen, dass man kondensierte Flugzeugabgase für Giftwolken hält.

Bots sind da moralisch anspruchslos. Sie wissen nicht, was Antisemitismus oder Chemtrails sind. Sie schlagen automatisch und stumpf ähnliche Beiträge vor und schaffen damit konturierte Informationsblasen. Nur weil ich etwa ständig Nachrichten über kriminelle Zuwanderer lese, ist es jetzt nicht so, dass es keine Südtiroler Kriminellen gibt. Allein, der Trugschluss liegt nah. Zwangsläufig emotionalisieren Sozialmedien ihre User und generieren ein Realitätsgefühl, das ganz schön verzerrt sein kann.

Wer Angst hat vor dem schwarzen Mann, dem schlagen Social Bots Gründe vor, bald noch mehr Angst zu haben.

Und wenig hat die selbstreflexive Endlosschleife, in der man seine Weltsicht bestätigt bekommt, mit der von uns so geschätzten Freiheit zu tun. So richtig frei ist es ja auch nicht, wenn ich nach rechts rutsche, weil ich nur noch Alt-Right Memes in meiner Timeline finde. „Man bekommt Lügen eingetrichtert“, sagte der Kommunikationswissenschaftler Quandt in einem Interview, „und weiß irgendwann nicht mehr, ob sie nicht doch wahr sein könnten.“

Es ist freilich schon länger bekannt, dass Angst Menschen „rechter“ macht. Wer Angst hat vor dem schwarzen Mann, dem schlagen Social Bots Gründe vor, bald noch mehr Angst zu haben. Gezielte Desinformationskampagnen sollen, so eine Studie von 2017, das Vertrauen der Bürger in Institutionen zerstören und damit die Demokratie schwächen. Gelogen, sagte der vielzitierte Bismarck bekanntlich einst, wird nie so viel wie im Krieg, vor der Wahl und nach der Jagd. Eine Wahlbeeinflussung kann man für 400.000 US-Dollar im Darknet bestellen, die Provokation von Protesten gibt’s um läppische 200.000 Dollar.

Eigentlich geht es uns gut, die Einkommensverhältnisse sind stabil, die Lebenserwartung steigt weiter. Weil man sich aber eher durch die Timeline, als durch den Armutsbericht oder die standardisierte Sterberate scrollt, bleibt das dumpfe Gefühl, dass alles den Bach runtergeht. So sieht radikaler Konstruktivismus 2.0 aus: Die Realität eines jeden Einzelnen konstruiert sich weiter aus der Summe seiner Sinnesleistungen und Erfahrungen – allerdings empfindlich beeinflusst von Bots und Algorithmen.

Weil abzuwarten bleibt, wie sich die Sozialmedienlandschaft weiterentwickelt, müssen wir uns um die Geister, die wir riefen, vorerst selbst kümmern: Quellen überprüfen und recherchieren. Dann kommt man auch drauf, dass Bismarck das mit den Lügen so tatsächlich nie gesagt hat. Und dass Priscilla immer noch mit ihrem Zuckerberg verheiratet ist.

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