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Lenz Koppelstätter
Veröffentlicht
am 02.07.2014
MeinungAuch schon 30

Aus der Traum

Veröffentlicht
am 02.07.2014
Warum Fußballschauen für einen mit Anfang 30 eine Qual ist.
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Ich schaue ihnen in die Augen – während sie schön aufgereiht ihre Nationalhymnen singen. Mario Götze, Mario Balotelli, Neymar Junior. Alles Jungs, die in einem Jahrzehnt nach meinem Geburtsjahr auf die Welt gekommen sind. Sie sind jetzt WM-Teilnehmer. Sie haben es geschafft. Sie werden ihren Enkelkindern davon erzählen. Ich sitze vor dem Fernseher. Ich bin schon Anfang 30. Ich bin nicht mehr jung genug, um noch Profifußballer zu werden. Ich bin noch nicht alt genug, um mir das eingestehen zu können. Ich bin ein Zwischenwesen.


Fußballprofi. Der Traum eines jeden Jungen. Neben Rockstar, Astronaut oder Hollywoodschauspieler. Fußballprofi. Ich wäre es auch früher nicht geworden, aber jetzt werde ich es ganz sicher nicht mehr. Auch ganz rein theoretisch nicht mehr. Ich weiß es ja. Will es nur nicht wahrhaben. Die Talentscouts, die mich damals irgendwie übersehen haben müssen, interessieren sich nicht für Ü-30er. Klar, mein Leben kann noch schön werden. Bestimmt. Irgendwie. Aber bei einer Weltmeisterschaft so dastehen, die ganze Welt schaut zu, Anpfiff, alles geben auf dem Platz, 90 Minuten lang, gewinnen, verlieren, Legendäres erleben, dann die Karriere irgendwann beenden, später von damals erzählen – keine Chance mehr. Man nimmt sich ja vor, im Leben so viel wie möglich zu erreichen, alles auszuprobieren, auf die Schnauze zu fallen und wieder aufzustehen. Nun, Fußballprofi, das werde ich nicht mehr. Aus der Traum.


Dabei bin ich ja noch gar nicht alt. Fühle mich nicht alt. Hey, ich habe erst ganz wenige graue Haare. Robben van Persie ist ein Jahr jünger als ich und hat mehr graue Haare. Ich habe sie genau gesehen, in der Zeitlupe, als er dieses Jahrhundertkopfballtor gegen Spanien machte. Schaue ich Fußball, schaue ich WM, da werden Spieler Ü-30-Spieler wie van Persie zum alten Eisen gezählt. Von den Kommentatoren „alter Hase“ genannt. Als „trattore“ bezeichnet. Manchmal als „Fußballrentner.“


Wenn ich in meinem Heimatdorf zu Besuch bin, wenn ich dort zum Fußballplatz gehe, dann spielen da welche in der 1. Mannschaft, die kenne ich nicht. Die sind jünger als meine kleine Schwester. Wenn ich hier in Berlin, wo ich lebe und arbeite, an den Fußballplätzen vorbeikomme, dann laufen Bubigesichter über den Rasen. Früher war das anders. Oder trügt der Schein? Die erste WM, die an die ich mich erinnern kann, ist die in Italien. 1990. Das Geburtsjahr von Balotelli übrigens. Götze und Neymar waren da noch nicht mal auf der Welt. Auf dem Platz: Andreas Brehme. Totò Scillaci. Die sahen älter aus. Die hatten Männergesichter. Bauarbeitergesichter. Viele hatten Glatzen. Heute haben sie keine Glatzen. Und wenn, dann meistens nur aus modischen Gründen. Heute sagen sie „Jou, Alter!“ und „Was geht, Digga!“


Freunde von mir treffen sich jeden Samstag zum Fußballspielen. Ich spiele da nicht mehr mit. Wir spielen so langsam. Wir spielen so schwach. Wir tun uns ständig weh. Nach 30 Minuten können wir nicht mehr. Wir kriegen Krämpfe. Ich freue mich vor dem Fernseher jedes Mal, wenn ein junger WM-Spieler mit Krämpfen auf dem Boden liegt. Scheiß auf Tore. Die Krämpfe dieser jungen Zupfer sind die Highlights der Knapp-über-Dreißig-Gucker. Und Miroslav Klose! Zumindest dachte ich kurz, der Miro Klose, schau mal, der alte Hase, der kann … und dann halt doch nicht. Misslungener Salto.


Ich stelle mich auf eine Wiese. Nur mal so. Gehe in Gedanken einen Salto durch. No way! Ich breche mir dabei bestimmt alle Knochen! Ich lasse es sein. Ich gehe in die Knie. Schaue nochmal, ob auch wirklich niemand in der Nähe ist. Ich versuche einen Purzelbaum. Beim dritten Mal klappt es einigermaßen. Am nächsten Tag habe ich Muskelkater. Ich sitze wieder zu Hause auf dem Sofa. Fernseher an. WM. Ich warte auf die letzte Viertelstunde der 2. Halbzeit. Ich warte auf die Krämpfe.

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