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Von der Straße nach Prad Richtung Sulden sieht man sie bereits, die bemalten Steine, Eisengebilde und die Totempfähle, an denen hunderte Knochen baumeln. Ein schmaler Pfad führt dazwischen hindurch, hinunter auf eine kleine Wiese. Irgendwo zwischen all den stehenden und im Wind tanzenden Gegenständen kommt er heraus, der Indianer von Prad. Genau so hatte ich ihn durch all die Fernsehreportagen in Erinnerung. Er grinst und ist sofort bereit, mir sein Reich zu zeigen. Fast wirkt er so, als hätte er nur darauf gewartet, dass jemand kommt, der sich für seine Werke interessiert. „Man kann diese Welt nicht erklären, man muss in sie eintauchen“, sagt Lorenz Kuntner und setzt sich seinen Schamanenhut auf. Ohne will er nicht auf ein Foto. „Ich habe den Indianischen Geist in mir, er hat von mir Besitz ergriffen", sagt er und wirkt dabei auf die meisten Besucher sicherlich ein bisschen verrückt. In Wahrheit traut er sich aber lediglich etwas, was viele nicht wagen: Er lebt sein Leben so, wie er es für richtig hält, abseits der Norm. Der Prader lebt im Einklang mit der Natur, in seiner eigenen Welt, wie er sagt. Und spätestens als er von seinen Ansichten und Weisheiten erzählt, wird klar, ein bisschen verrückt zu sein hat durchaus etwas Gutes.
Kuntner lebt umgeben von seinem eigenen Freiluftmuseum neben dem Suldenbach. Geld braucht er so gut wie keines, er versorgt sich selbst durch seinen kleinen Garten. Die paar Euro, die er besitzt, bekommt er von Besuchern seines Museums. „Touristen melken", nennt er es. Aber er knöpft auch Einheimischen die eine oder andere Münze ab. Einen Euro kostet es, sein Reich zu besichtigen. „Offiziell heißt es freiwillige Spende, in Wirklichkeit ist es erzwungen. Wenn du kommen willst, gerne. Aber ohne einen Euro kannst du wieder gehen“, sagt er und bricht in Lachen aus. Ohne Geld gehe es nun mal nicht im Leben, so der Freigeist. Erst dann beginnt er die vielen Werke zu erklären, die er manchmal auch an Passanten verkauft.
Neben seinem grünen und bemalten Auto steht ein Totem, welches ihm besonders wichtig zu sein scheint. Es zeige das Anhimmeln von Werten, die gar keine Werte seien. Der selbst ernannte Indianer ist Feuer und Flamme und sein Redeschwall bricht nicht mehr ab. Dieses Totem sei dem ganzen „Pokalscheiß“ gewidmet. Die Menschen seien eitel von Kopf bis Fuß, jeder strebe nach Anerkennung, wolle der Schönste und Größte sein. „Das ist immer der gleiche Schmarren. Im Grunde genommen sind wir alle gleich“, sagt Kuntner euphorisch. Er fuchtelt mit den Händen, zeigt Details am Totem, lacht und strahlt über das ganze Gesicht, während er darüber spricht.
All seine Werke sprechen Themen an, welche ihn gerade beschäftigen. Er will eine Botschaft vermitteln und Verunsicherung bei den Besuchern schaffen. Aber manchmal, so sagt er, mache er auch einen „Schofkas“. „Schau wie der Schnabel hier idiotisch aussieht“, sagt er und zeigt lachend auf das „Hennengeist- Totem“. Für das Countryfest in Prad machte er jedes Jahr ein Totem. Heute bearbeitet er viel lieber Bachsteine. Er kerbt Formen in die Steine und malt sie bunt an. Sie sehen aus wie Masken. An den meisten der vielen bunten Totems, die dem kräftigen Vinschger Wind standhalten, hängen Knochen und Geweihe. Heiligtümer der Natur, nennt Kuntner sie. „Ich gebe ihnen einen Ehrenplatz. Sie sind tot, durch den Wind werden sie wieder lebendig." Teilweise makaber, aber dennoch auf irgendeine Weise schön anzusehen. Kunst würden wir es nennen. „Was ist schon Kunst? Kunst kommt vom Nicht-können“, sagt er. Und aus diesem Unvermögen heraus versuche er seine innere Welt in eine Form zu zwingen und dem Gefühlten Ausdruck zu verleihen. Wenn der Prader spricht, klingt er manchmal fast schon poetisch. Einige Male zitiert er bei meinem Besuch nicht nur Gedichte berühmter Schriftsteller, sondern auch seine eigenen, die er in insgesamt sieben Büchern veröffentlicht hat.
Wann er ausgestiegen ist und mit seiner Kunst begonnen hat, weiß der kuriose Mann nicht so genau, denn Zeit existiert für ihn nicht. Irgendwann habe er aber bemerkt, dass er seine Berufung leben müsse. „Die paar Jahre die ich noch lebe, gehen schnell vorbei“, sagt er. „Der Sinn im Leben ist glücklich zu sein und nicht Geld anzuhäufen.“ Nur zu viele kenne er, die genug Geld hätten, aber dennoch unzufrieden und unglücklich seien. Menschen des modernen Sklaventums.
Scheinbar ohne einmal Luft zu holen, erzählt der Freigeist Geschichten. Er braucht nicht viel zum Leben. Hauptsache er hört seinen Bach, sieht den Wind, der die Knochen wie ein Windspiel tanzen lässt, und ist in der Natur. „Und man kann in der Natur alles essen“, sagt er. Um das zu demonstrieren, rupft er eine Handvoll Gras ab und steckt es in den Mund. Dem Gras folgt eine Ameise, die seien herrlich würzig, und drei Löwenzahnblüten. „Wer hat gesagt, das kann man nicht essen?“, fragt er als er mein verwundertes Gesicht sieht. „Das ist wunderbar, gut, schmeckt wie Honig“, schwärmt er mit vollem Mund. Die Leute, die ihn besuchen, würden den Mund nicht mehr zubekommen, weil sie so geschockt seien. Man kann es ihnen nicht verübeln.
Später gehen wir zum Haus auf der anderen Straßenseite. Es ist gepflastert mit Knochen, Geweihen, Fuchsschwänzen und Rehbeinen. „Wir Menschen haben eine Präpotenz, was der Mensch liebt, tötet er, er respektiert nichts“, sagt er, bevor er Brecht zitiert: „Zuerst das Fressen, dann die Moral.“
Früher wurde Kuntner, der jetzt zwei Damen, die durch sein Reich gehen, herzlich begrüßt, oft belächelt. Vorbeifahrende haben gelacht und er wurde nur zu oft als Spinner betitelt. Ob das immer noch so ist, möchte ich wissen. „Jetzt sagen sie nichts mehr, jetzt bin ich ja eine Touristenattraktion“, antwortet Kuntner. Dennoch haben viele noch Vorurteile, stecken ihn schnell in eine Schublade. Das interessiere ihn aber nicht. Er lebt einfach sein Leben und immer wenn er Lust hat, macht er ein neues Kunstwerk. Das sei Freiheit und ein erfülltes Leben. „Vorher habe ich gearbeitet. Geld verdient, funktioniert, gehorcht und konsumiert. Bis ich gesagt habe, so geht es nicht weiter“, erzählt Kuntner neben den Totempfählen. Heute ist er glücklich, will gar nicht mehr aufhören zu erzählen, und wir sollten uns vielleicht alle die ein oder andere Scheibe von seiner Lebenseinstellung abschneiden. Heute Abend wird er wieder im Freien schlafen, der Indianer von Prad. In der Natur und unter seinen Lieblingen, den Fledermäusen.
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