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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 26.05.2014
LeuteAuf a Glas'l

„Katastrophale Zustände“

Veröffentlicht
am 26.05.2014
Christine Losso ist eine Tausendsassa: Die Journalistin, Buchautorin und Gastronomin über ihr bewegtes Leben und ihr aktuelles Hilfsprojekt.
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Christine Losso

Fast zeitgleich kommen wir im Cafè Walter in Lana an. Christine Losso hat ihre zweijährige Mischlingshündin und Fotos von ihrer letzten Äthiopienreise mitgebracht. Sie strahlt übers ganze Gesicht. Die Autorin und Journalistin, die viele Jahre für die „Südtiroler Tageszeitung“ gearbeitet hat, wohnt gemeinsam mit ihrem Mann Roland in Plaus. Viel lieber ist sie aber in der ganzen Welt unterwegs, wo sie mit ihrer Organisation Hope for a better world an etwa 50 Hilfsprojekten arbeitet. Sie hat mit ihren 54 Jahren schon viel erlebt: Sie hat das Leid und die Armut in der Welt gesehen, persönliche Schicksalsschläge haben sie geprägt. Ihr Vater erkrankte schwer, die Firma der Eltern ging bankrott, ihre Schwester starb an einer Überdosis. Dennoch ist sie eine fröhliche, bodenständige und starke Frau geblieben. Sie hat eine gewinnende Art. Losso setzt sich hin, bestellt einen Macchiato und einen halben Liter Mineralwasser. Nach dem Interview startet sie für vierzehn Tage nach Alaska. Sie unterstützt dort ihren Mann, der als Kletterlehrer mit einer Gruppe auf dem Mount McKinley unterwegs ist. „Wir sind schon eine norrete Familie“, sagt sie und das Interview beginnt.

Sie sind Vorsitzende der Organisation Hope for a better world. Welche Geschichte verbirgt sich dahinter?
Das Reisen um die ganze Welt war schon immer eine große Passion unserer Familie. Irgendwann, nachdem ich so viel Leid gesehen hatte und es uns hier so gut geht, dachte ich: Man kann auch mal etwas von dem, was man hat, anderen abgeben, die es brauchen. 1994 habe ich dann mit dem Hilfsprojekt in Indien gestartet. Ich und fünf weitere reisten damals für fast drei Monate nach Indien. Wir lebten in einem Dorf, mitten in der Pampa. Dort, wo sich die Kobra und der Wüstenfuchs gute Nacht sagen. (lacht) Es war damals ein Kulturschock. Wir waren aber auch sehr fasziniert, motiviert und erfreut. Heute haben wir in Indien etwa 30 Projekte laufen. Und die sind auch notwendig, wenn man an die schlimmen Schlagzeilen denkt, die uns hier in Europa zu Ohren kommen: besonders die Vergewaltigungen und Unterdrückung der Mädchen und Frauen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass die Mädchen eine Schulbildung erhalten.

Wie gehen Sie konkret vor, um zu helfen?
Vor Ort suchen wir uns immer Partner, mit denen wir zusammenarbeiten. Mit viel Einsatz und Arbeit sammeln wir Geld und starten mit unseren Projekten. Wir haben verschiedene Straßenkinderprojekte, eine Mädchenschule für 3.000 Mädchen unterstützt, einem Jungen die Schule und ein Universitätsstudium finanziert, Witwen ein Startkapital ermöglicht, um ein Geschäft aufzubauen … Unser Motto ist: „Hilfe zur Selbsthilfe“ und „Wissen bringt Zukunft“. Wir teilen kein Geld in den betroffenen Ländern aus, damit es vielleicht irgendwelche Politiker einstecken. Wir arbeiten vor Ort, damit Projekte auf die Beine kommen und sich die Menschen selber helfen können.

Jetzt startet das neue Hilfsprojekt in Äthiopien, wo es vordergründig um die Alphabetisierung von Frauen und um ihre Kinder geht. Wie sind die Zustände vor Ort?
Ich war jetzt knapp einen Monat in Äthiopien. Das Land, welches eineinhalb Mal so groß ist wie Spanien, gehört heute noch zu den 25 ärmsten der Welt. Im Land können 60 bis 70 Prozent der Menschen nicht lesen und schreiben. Es herrschen katastrophale Zustände. Es gibt ständig Hungersnöte. Gott sei Dank hat es die Regierung mittlerweile geschafft, Getreidekammern einzurichten und auf Vorrat die Getreideart Teff zu lagern.

Was haben Sie geplant, um vor Ort zu helfen?
Unsere Partnerin vor Ort ist die Schwester Eudoxa (Odoscha). Sie betreut die Frauen, die fast alle Witwen sind. Sie leben ohne Strom und bekamen von uns ein Startkapital von 1.000 Birr, das sind etwa 35 Euro. Damit kauften sie sich eine Ziege oder ein Schaf und bauten ihr eigenes kleines Geschäft auf, um ihre Familie zu ernähren. Wir versuchen nun, hier Geld zu sammeln, um den Frauen eine Schulbildung und den Start für ihr eigenes Business zu ermöglichen.

Sie schrieben in einem Artikel: „Wer dies sieht, kann dann nicht mehr nach Hause fahren und sein normales Leben gleichgültig fortsetzen.“
Ich sicher nicht. Vielleicht andere, die nur die Touristenorte besuchen, aber selbst hier sieht man die Armut auf den Straßen. Ich kenne bisher niemanden, der von diesem Land nicht berührt war. Ich kann meine Energie, meine Kraft und meinen Willen einsetzen, um für den Rest der Welt etwas zu tun. Deswegen haben wir die Hope. (lächelt) Und ich bin auch nicht allein, wir haben viele Helfer.

Was kann man machen, wenn man auch helfen möchte?
Spenden wäre nett. (lacht) Auf der Facebookseite Hope for a better world findet man alle notwendigen Informationen dazu. Ich garantiere mit meinem Namen, dass diese Gelder ankommen. Wenn jemand Lust hat, kann er auch hier in Südtirol mithelfen. In Schluderns gibt es den Flohmarkt Kribus Krabus, deren Erlös an Hope geht.

Zu ihrer eigenen Geschichte: Ihr Vater erkrankte schwer, die Ehe ihrer Eltern zerbrach, ihre Schwester starb an einer Überdosis. Sie hätten sich sicherlich eine einfachere Kindheit und Jugend erwünscht. Wie schafft man es trotzdem, immer stark zu bleiben und dann noch so ein soziales Engagement zu entwickeln?
Vielleicht gerade deshalb. Die Steine, die mir in den Weg gelegt werden, kann ich auf die Seite räumen und dann geht es weiter. Ich war schon am Boden. Mir haben die eigenen persönlichen Geschichten oft mehr weh getan und mich mehr hinuntergezogen, als diese hier. Aber man muss stark sein, immer positiv denken und sagen: Es geht weiter. Die Einstellung ist das Wichtigste. Mit Leuten zu arbeiten, denen es noch schlechter geht, ihnen zu helfen, das wirkt bei mir Wunder.

Entmutigt es nicht, wenn man sieht, dass man niemals allen helfen kann?
Man kommt oft an seine Grenzen. Aber wenn ich nur einem Menschen helfen kann, bin ich zufrieden. Je mehr, desto besser natürlich. Wenn ich die Straßenkinder in Addis Abeba oder solche Sachen sehe (zeigt ein Foto von einem Kind mit Verbrennungen), treibt es mir Tränen in die Augen. Ich kann nicht allen helfen und sie nicht alle retten, aber vielleicht kann ich eine Kleinigkeit machen. Ich habe zu Hause eine tolle Familie und ein tolles Leben und ich habe die Möglichkeit zu helfen, dann kann man doch etwas tun, oder? Und man bekommt es hundertfach zurück. Es ist so schön, wenn die Leute dankbar sind. Daraus schöpfe ich meine Kraft.

Über den Tod ihrer Schwester haben sie ein Buch geschrieben. Wie war das?
Beim Buch meiner Schwester war ich drei Jahre lang blockiert. Ich hatte ihre Story im Kopf, die auch zum Teil meine ist, aber ich konnte sie nicht schreiben. Ich hatte so einen Schmerz in mir, ich konnte sie nicht beschreiben. Schon nur an sie zu denken, hat mir sehr weh getan … Man hat sie im Bahnhofsklo in Bozen mit einer Spritze im Arm gefunden.
Irgendwann saß ich zu Hause, habe inzwischen schon „Verkaufte Liebe, das Tagebuch einer Prostituierten“ geschrieben und fing an zu schreiben. Ich habe geweint und geweint, die ganze Nacht und nicht mehr aufgehört zu schreiben. Ich habe in ihren Sachen gewühlt, bei der Polizei und im Spital recherchiert.

Hat das Schreiben geholfen, ihren Tod zu verarbeiten?
Ja, ich habe mich dadurch mit ihr versöhnt. Zuerst hatte ich einen „Mordszorn“. Schreiben kann viel bringen, andere malen oder gehen auf den Berg. Wenn man es hinunterschluckt, ist es schlimmer. Man muss durch den Schmerz hindurchgehen, das ist vielleicht der Grund dafür, dass ich ein gesunder Mensch geblieben bin, weil ich es in die Welt hinausschreie oder -schreibe.

Es gab aber auch Freuden in ihrem Leben. Sie sind schon mit 38 Oma geworden. Welchen Gedanken gingen Ihnen damals durch den Kopf?
Es war wunderschön, aber ein Schock für alle. Meine Tochter Denise war 16 und ging damals in die dritte Klasse Oberschule. Aber wir haben danach alle eine wahnsinnige Freude gehabt. Meine Enkelin Jana ist jetzt 16 Jahre alt. In meinem ersten Buch „Über den Schatten springen“ habe ich ihre Geschichte erzählt. Auch in der „Tageszeitung“ habe ich viel über solche Außenseiterthemen berichtet, ich war die Sozialtussi.

Apropos „Südtiroler Tageszeitung: Sie waren dort 15 Jahre lang tätig. Warum sind Sie ausgestiegen?
Es hat sich so ergeben, dass viele Sachen nicht mehr zusammengestimmt haben. Ich hatte ein Burn-out, es war mir irgendwann zu viel. Ich habe wahnsinnig viel gearbeitet und hatte auch irgendwann keine Lust mehr auf das Provinzielle, über Hasenstalleinweihungen zu berichten zum Beispiel. (lacht) Die Politiker gingen mir mit der Zeit alle auf die Nerven. Ich bin mehr die Frau für investigativen Journalismus. Eine, die umherreist und weltweit Reportagen bringt. Ich bin der Tageszeitung dennoch dankbar, es war eine schöne Zeit, aber sie war zu Ende. Ich bin eine, die weitergehen muss. Ich kann nicht 50 Jahre am gleichen Ort arbeiten, da drehe ich durch. Ich gehe auch nie mehr zurück in alte Geschichten, ich blicke mit Freude aber nie mit Reue zurück.

Haben Sie einen Traum, den Sie sich unbedingt erfüllen möchten?
Ich lebe meinen Traum. (lacht) Ich habe nichts ausgelassen. Wenn ich jetzt sterben würde, kann ich sagen: Danke, ich habe alles gehabt. Ich bin dankbar und demütig.

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