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Die Fußballweltmeisterschaft 1990 in Italien ist meine erste Kindheitserinnerung, die mit Fußball zu tun hat. Ich erinnere mich daran, wie ich mit meinem Vater vor dem Fernseher saß. Ich war für Italien. Keine Ahnung, warum. Er war für Deutschland. Keine Ahnung, warum. Als Italien im Halbfinale ausgeschieden ist, habe ich geweint. Weil man das so macht, wenn die Mannschaft verliert, zu der man hält. Im Finale dann war ich für die Deutschen. Weil dort Lothar Matthäus, Andreas Brehme und Jürgen Klinsmann spielten – die Helden meines Vereins Inter Mailand.
Man kann oder muss (je nachdem, wie locker oder ernst man das sieht) sich in Südtirol für irgendeine Nationalmannschaft entscheiden, um bei Weltmeisterschaften und Europameisterschaften mitzufiebern. Manche sind dann für Deutschland. Manche für Italien. Manche für Holland, weil die ja angeblich so einen attraktiven Fußball spielen. Für Österreich ist selten jemand, wahrscheinlich, weil die so selten dabei sind. Als Kind war ich einmal auch für Brasilien, ich weiß auch da nicht mehr warum. Vielleicht, weil mir die Hymne so gut gefiel.
Nationalmannschaften, Nationalhymnen, Nationalfahnen – Relikte aus einer vergangenen Zeit. Dunkelstes 20. Jahrhundert. Eigentlich braucht man das alles ja nicht mehr. Jetzt, 2014. Und doch scheint das irgendwo in einem drin zu sein, aus einem raus zu müssen, irgendwie. Spätestens alle zwei Jahre, während einer WM oder einer EM. Das Wir-gegen-die. Das Kräftemessen. Das Zusammenhalten. Das Gemeinsam-Jubeln. Das Gemeinsam-Weinen. Fußball ist so. Das ist das Schöne am Fußball. Dass das einem nicht egal ist, was da auf dem Platz passiert. Dass man mitfiebert. Man entscheidet sich irgendwann, für wen man ist, und für den ist man dann halt. Konsequenterweise sein ganzes Leben lang. Wenn man in einem Land lebt, dann ist man für das Land. Meistens. Deutsche für Deutschland. Holländer für Holland. Italiener für Italien. Wenn man Südtiroler ist, dann ist das etwas komplizierter.
„Und für wen bist du denn jetzt eigentlich?“, fragen mich meine deutschen Freunde regelmäßig, wenn wieder ein Turnier ansteht.
„Für Italien.“
„Aber du bist doch gar kein richtiger Italiener.“
„Nein, bin ich nicht.“
Eigentlich bist du ja ein Deutscher. Also kannst du ja auch mit uns für Deutschland sein.
„Nein, will ich nicht.“
„Du wärst also gerne ein Italiener …“
„Nein, ich bin eigentlich ganz zufrieden mit dem, was ich bin. Ihr Deutschen, ihr wollt doch immer etwas anderes sein, als ihr eigentlich seid. Entspannt euch mal.“
Für Deutschland sein? Müsste doch eigentlich möglich sein. Schließlich lebe ich in diesem Land. Seit bald zehn Jahren schon. Meistens gerne. Für Deutschland sein? Nein, es geht nicht. Es ist so ein Gefühl, wenn man zwei Mannschaften gegeneinander spielen sieht. Man ist automatisch für eine. Ich bin kein Italiener. Will ich auch nicht sein. Trotzdem: Wenn die Deutschen gegen die Azzurri spielen, bin ich für die Italiener. Ich sage „die“ Italiener. Mir würde nie einfallen, „wir“ Italiener zu sagen. Trotzdem bin ich für sie.
Ich mag die italienische Nationalmannschaft. Sie hat so etwas Hinterfotziges, Abgeklärtes. Ich mag das beim Fußball. Ich mag keine Nutella-Boys, die wie kleine Schuljungen über den Platz laufen und, immer wenn ihnen ein schöner Trick gelingt, zum Trainer rüberschauen, in der Hoffnung, sie bekommen nach dem Spiel ein Sternchen fürs Stickeralbum von ihm.
Für Deutschland mag ich nicht sein. Die Deutschen gewinnen viel und oft im Sport und wenn sie mal nicht gewinnen, dann erklären sie einem immer lang und breit, warum sie eigentlich hätten gewinnen müssen. Die Deutschen schauen jedes Freundschaftsspiel, als wäre es ein Endspiel. In Italien schaut kein Mensch Freundschaftsspiele. Noch heute muss ich mir anhören, dass bei der WM 2006, das ist jetzt acht Jahre her, dass, wenn damals im Halbfinale der Frings nicht gesperrt gewesen wäre … Das muss man sich mal vorstellen. Es ging nicht um Christiano Ronaldo oder Maradona … Nein, sie wollen mir ernsthaft heute, acht Jahre später, noch immer klarmachen, dass, wenn Torsten Frings damals …
Die WM 2006 in Deutschland. Eine meiner schönsten Fußballerinnerungen. Ich in Berlin. Mittendrin. Gelassene Party-Stimmung. Deutschland gegen Italien, Halbfinale. Ich sitze mit deutschen und italienischen Freunden in der Brauerei am Pfefferberg in Prenzlauer Berg. Großleinwand. „Heute schlagen wir die Spaghetti“, oder so ähnlich titelten die Berliner Boulevardzeitungen am Morgen.
Eins zu Null durch Grosso in der 119., Zwei zu Null durch Del Piero in der 121. Minute. Einer meiner italienischen Freunde holt ein paar Packungen Barilla aus seinem Rucksack, öffnet sie, lässt es Spaghetti regnen. „Ecco qua gli spaghetti!“, jubelt er.
Deutschland wird auch in diesem Sommer nicht Weltmeister werden. Ganz sicher nicht. Vielleicht treffen sie auf Italien. Vielleicht schlagen sie die Italiener endlich einmal. Dann ist zumindest Ruhe. Dann muss ich mir das mit dem Frings, wenn der damals …, dann muss ich mir das nicht mehr anhören.
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