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Das Gefühl von Sand zwischen den Zehen, das Meeresrauschen im Ohr, wenn man an einer Muschel lauscht, klebriges Eis auf den Zähnen und Coccobello-Geschrei von braungebrannten Muskelprotzen. Das war Fernweh für mich, als Sandburgenbauen noch zum Freundefinden gut war. Mittlerweile ist dieses Fernweh erwachsen geworden. Es ist einer Sehnsucht nach Freiheit, einer Lust nach Abenteuer und Veränderung gewichen, die diese ganze Generation treibt.
Ich gehöre nicht zu den After-Matura-Asia-Backpackern. Die Thailanditis hat mich verschont. Monatelanges Herumtreiben an den schönsten Stränden der Welt, das Schlürfen von Cocktails in Cocosfaserhängematten, wilde Full-Moon-Parties, billiges Asia-Bier und was man sonst noch so auf dem Trip seines Lebens im Land des Lächelns erlebt: das alles ist mir fremd. Und nein, ich war zu der Zeit auch weder irgendwo in Südamerika unterwegs, noch in Afrika.
Ich habe studiert und ab und an einmal einen Abstecher an den einen oder anderen Ort auf dem sicheren europäischen Kontinent gewagt. Irgendwie fühle ich mich dieser Generation an Getriebenen noch nicht ganz zugehörig. Bei langen Flugzeugreisen, Impfungen und Einreisegesuchen kitzelt es mich nicht in den Zehen. Und trotzdem plagt mich dieses Generationen-Fernweh. Diese Sehnsucht nach dem Unbekannten, nach dem, was da draußen in der großen, weiten Welt auf mich warten könnte.
Linderung verschafft bei dieser Art von innerem Schmerz nur eines: das Reisen. Darum wird jeder Groschen, der bei den Ypsilonern auf dem Konto landet, sofort in neue Lebenserfahrungen investiert. Das Sparen überlassen sie Oma und Opa. Sie nehmen lieber jede Gelegenheit mit und hauen das bisschen Kohle, das sie haben, auf den Putz.
Bei den kleinen Reisebudgets sind wir uns natürlich auch für nichts zu schade. Während eine meiner Freundinnen zur Aufbesserung der Reisekasse schwere Kürbisse auf australische Traktoren stemmte, übernachtete die andere auf einem Stück Zeitungspapier am Boden eines thailändischen Zuges. Reisen macht kreativ. Aber vor allem stillt es das ständige Fernweh. Und dafür sind wir bereit, alles zu geben.
Nicht immer haben wir das Glück, genug Reisegroschen auf den kleinen Konten zu finden. Zur Überbrückung der Fernwehphasen ist in Kreisen der Ypsilonern ein neues Phänomen geboren, das ich seit einer Weile beobachte. Von mir getauft: Der Trekking-Student.
Immer wieder begegne ich einem von ihnen. Statt auf dem klassischen, alten Stadtrad kommt er mit dem Mountainbike zur Uni geradelt. Wird es dunkel, schaltet er nicht sein Fahrradlicht, sondern seine Stirnlampe ein. Wenn es stürmt und schneit, zieht er sein Regenoutfit über die Uniklamotte und radelt weiter. Er stillt das Fernweh auf seine Weise. Inmitten des Großstadtdschungels, in dem er unermüdlich nach seinen eigenen Abenteuern sucht.
Über dem schicken Mantel tragen diese Trekking-Studenten auch keine herkömmliche Ledertasche, sondern den altbewährten Trekkingrucksack. Warum sie das machen, habe ich mittlerweile auch schon verstanden: So haben sie in langweiligen Vorlesungsstunden immer ihr eigenes Souvenir dabei, das sie an die guten Zeiten erinnert, in denen das Fernweh in ihnen ruhte und das Abenteuer lebte. Aus den Taschen ihrer bunten Funktionsrucksäcke fallen dann einige Körner Sand vom letzten Panama-Urlaub, die sie bereits auf dem Weg zur Uni wie Hänsel hinter sich verstreuten. Allzeit bereit, dieser Spur in die entgegengesetzte Richtung wieder zu folgen, sollte das Fernweh doch wieder Überhand nehmen.
Auch auf meinem Rücken hängt so ein Teil, wenn ich jeder Witterung trotzend zur Uni radle. Knallgrün. Meine Sandspur stammt derzeit aus Frankreich. Doch die Krümel neigen sich dem Ende zu. In einer Woche kehre ich um und folge der Spur. Das Fernweh hat mich wieder gepackt.
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